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»Mir läuft das Wasser im Mund zusammen! – Finn, was is nu?«

Aber der hatte nur Augen und Ohren fürs Funkgerät. Während er versuchte, im weißen Rauschen irgendwelche verlorenen Silben, Wörter, Meldungen auszumachen, starrte er Löcher in den muffigbraunen Stoff, womit sein Vorgänger die ursprüngliche, vermutlich seit Jahrzehnten verschlissene Bespannung der kleinen Lautsprecherbox ersetzt hatte. Das gesamte technische Equipment hier wirkte wie ein Überbleibsel aus vorchristlichen Jahrhunderten, war vermutlich seit 1912, dem Jahr der Inbetriebnahme des Leuchtturms, nicht ausgetauscht worden. Wenn's hoch kam, mochte das ein oder andere Gerät oberflächlich überholt worden sein, wie die wenigen noch nicht ganz erblindeten Sichtscheiben der Messinginstrumente verrieten.

Schließlich stand Finn langsam auf, ging rüber zum Fenster und richtete den Blick ins Leere, als wolle er seine Gedanken draußen an der Reling des Galerieumlaufs zum Trocknen aufhängen. Während Marit den Dienstraum mit den langen Schritten eines Admirals durchmaß und dabei unverwandt aufs Funkgerät starrte, den stieren Blick nicht mal lockerte, als sie mit dem Fuß den baufälligen Stuhl anrempelte, den Petter gepachtet hatte. »Was meinste, hat er's?«

»Was?«

»Geschafft. Ob der Pott nu mal endlich vor unsre Felsen gerumst ist und schön unten auf'm Meeresgrund rumdümpelt! Stell dich doch nicht dämlicher, als du bist.«

»Keine Ahnung. Wirste schon früh genug merken. Du hast doch die Funkkiste bestens im Blick«, antwortete Finn. Er stand unbeweglich, den andern seinen merkwürdig kurzen Rücken zugewandt, und blickte gebannt aus dem Fenster, als könne er irgendwas erkennen in dieser dumpfen Schwärze da draußen, die regelmäßig vom kreisenden Lichtschweif der Leuchtturmlaterne für kurze Zeit in ein nicht weniger undurchdringbares nebliges Weiß verwandelt wurde. Marit klopfte fahrig an ihrer Pfeife herum, stopfte sie mit ihrem schwarzgelben Zeigefinger und schob sie dann, ohne die Lippen zu öffnen, zwischen die Zähne, um sich augenblicklich wieder daran festzubeißen.

»Will's aber jetzt wissen!« Sie tat zwei kräftige Züge, bis die Glut wieder durchgezogen war und stopfte noch einmal mit dem Finger nach, ohne dass ihr Gesicht auch nur den leisesten Anflug von Schmerz verraten hätte.

»Dann sei still und stell deine Lauscher auf Empfang. Sag ich doch«, kam es vom Fenster.

»Dieser Beowulf damals«, sagte sie gedankenverloren, das sei doch alles hirnverbrannter Unsinn: von wegen Held! Der sei bloß ein unglaublicher Draufgänger gewesen. Und, verdammt noch mal, ein hinterhältiger Dunkelmann, wie's in keinem Buche stehe. »Von wegen Held, von wegen! Nichts da«, raunte sie. Er habe eben nicht, wie die olle Legende erzähle, er habe den Gauten eben nicht ein halbes Jahrhundert Segen, Frieden, Reichtum beschert! Gut, möge ja sein, Reichtum womöglich schon, müsse sie zugeben vielleicht, aber auf wessen Kosten denn?! »Nein nein«, dröhnte sie und biss so fest auf das Mundstück ihrer Pfeife, dass es unter der heißblütigen Attacke vernehmlich ächzte. Die Kiefernmuskeln trieben unter ihrer alten Haut ein ungestümes Spiel, strafften die Wangen und legten sie im selben Moment wieder in tiefgründige Falten. Nein, ganze Generationen von tapferen Gauten habe dieser Raufrüpel über beide Ohren gehauen, habe seine treuesten Gefährten in den Tod gehetzt. »Ein Berserker, das Schwein.«

Niemand nahm Notiz von Marits fuchtiger Philippika.

Man solle sich doch bloß diese Geschichte aus Beowulfs Jugend vorknöpfen! Ihre Zähne knirschten auf der Pfeife, zwei Rauchfahnen stießen wie die eines feurigen Lindwurms durch die Eckzahnlücken. Wie da der Kerl im zarten Knabenalter gemeint habe, sich mit einem gleichaltrigen Burschen aus vornehmem norwegischen Geschlecht messen zu müssen. Wie die beiden sich bei Herbstwind und -wetter in die Fluten gestürzt und schwimmend tagelang mit dem Schwert auf die hochhergehenden Wellen eingedroschen und geharnischte Schläge wider die Gischt, gegen neun gräuliche Meeresungeheuer und andere Windmühlen ausgeteilt hätten! Wie Beowulf schließlich seinen Freund, den irgendeine Strömung erwischte, aus den Augen aus dem Sinn verloren habe und nach sieben Tagen irrwitzigen Gefechts gegen die Ostseestürme aus den Fluten gestapft sei. »Und aus diesem verdammten jugendlichen Leichtsinn machen die 'ne Heldensage!!«, brüllte sie. Müsse man sich vorstellen, die ollen Kelten, Dänen oder wer! Nicht zu fassen. Und übers Schicksal von dem andern armen Kerl, ob er womöglich bei Beowulf seinem Schwertgewirbel gegen irgendwas für Wellen nach unten gezogen worden sei von 'nem Strudel, sich verschluckt habe, mausetot verfangen in tausend Algententakeln oder ob er am Ende einem von Beowulfs fahrigen Schwerthieben selbst zum Opfer gefallen sei, weiß der Deibel, darüber schweige des Sängers verdammte Höflichkeit. Und sie ließ, um ihre Sicht der Dinge zu unterstreichen, ein kurzes, echoloses Husten hören.

»Finn«, zischte sie, »okay, du hast mir wieder 'n Sinn, wieder 'n Ziel gegeben. Und das, das ist das beste, was du in den Jahren, wo du jetzt hier bist, hingekriegt hast. Dass ich wieder weiß, wodrauf ich zusteuer. Zusteuern will. Aber umso mehr will ich jetzt nicht außen vorgelassen werden. Verstehste?! Wenn ich eins hasse, dann sind das Alleingänge, Durchmärsche, ohne nach links und rechts zu sehn, bloß weil einer sich für den Größten, den Allergrößten hält.«

Klatsch. Die zusammengesunkene grauhaarige Gestalt auf dem Stuhl in der finstren Ofenecke hatte sich plötzlich aufgerichtet und sich mit beiden Händen auf die Knie geschlagen. »Halt's Maul! Mal endlich mal. Hat er doch gesagt, sollst das Maul halten. Und wenn hier einer was zu sagen hat, in drei Teufels Namen, dann er. Ist Leuchtturmwärter schließlich. Außerdem macht doch überhaupt keiner 'n Alleingang. Und uns geht's auch nicht besser als dir. Schließlich weiß doch keiner, was Sache ist.«

Petter fiel auf seinem Schemel wieder in sich zusammen, den Kopf zwischen die riesigen rissigen Hände geschoben. Die Alte blieb endlich stehen, maulte zwischen Mundstück und verbissenen Lippen hindurch, dass sie diese elende Warterei satt sei, diese elend endlose Warterei immer, paffte noch zweimal und hüllte sich in Schwaden aus Rauch und Schweigen. Kein Sterbenslaut war zu hören, nur aus dem Ofen dann und wann ein Seufzen, wenn ein Scheit in der Glut riss.

Finn hatte die Hände aus der Tasche gezogen und die Finger auf der Fensterbank gespreizt, die Augen, so dicht es ging, an die schwarze Glasscheibe gepresst.

Bloß die Kerze auf dem Tisch, die Marit immer meinte, anzünden zu müssen, »dass kein Deibel und kein Aas Einzug halten kann«, wie sie sich ausdrückte, die Kerzenflamme ließ sich von einem leisen Lufthauch zu einer winzigen Bewegung hinreißen. Plötzlich ein ohrenbetäubender Krach! Ein Holzklotz im Ofen musste krepiert und in tausend Stücke zersprungen sein, die jetzt wild prasselnd in der Glut tanzten.

»Da. Die olle Kiste. Hat sich gemuckst.«

»Unsinn! Der Ofen.«

»Oder doch?« Finn hatte sich mit einer blitzschnellen Bewegung dem Funkgerät neben der Alten zugewandt. Unter seinen linealgrade gezogenen Brauen glühte es. Gebannt starrte er den braunbespannten Lautsprecher an. »Hast recht, Alte.« Zwei große Schritte und er ging vor dem Gerät in die Knie. Während er schon mit spitzen Fingern an den Schaltern und Drehknöpfen friemelte, zog seine Linke den Hocker an Land, den er eben beim Sturm vom Fenster zum Armaturenpult achtlos beiseite getreten hatte. Ohne die kniende Haltung aufzugeben, stützte er sich mit den Hinterbacken nur grade eben auf die Kante der Sitzfläche. Und als der Hocker wieder nach hinten zu entgleiten drohte, spreizte er die Unterschenkel und keilte die Stuhlbeine ein, während er mit ungebrochenem Eifer an den Reglern des Empfängers fingerte.

Die greise Gestalt am Ofen hatte nichts mehr von einem närrischen Kauz: Die wirren grauen Haare standen steil in die ofenheiße Luft, Petters rotglühendes Gesicht mit der breiten Nase sah plötzlich verblüffend jung aus. Seine Seeadleraugen waren mit derselben Spannkraft, mit der sie ansonsten das Fjordwasser zu durchlöchern pflegten, gradeaus auf Finns Finger gerichtet. »Mensch, kannste aus dem ollen Kasten nicht mal was Hörbares mal rauslocken! Mal ein Sterbenswörtchen mal.«

»Genau.« Die Alte konnte sich ein Kichern nicht verkneifen, gickelte mitten in die brennende Luft hinein. »Genau: Ein Sterbenswörtchen!«

»Schnauze«, raunte ihr Mann und schraubte wie Finn seinen Blick in den schwarzen Apparat, die darin verborgenen Wortrümpfe ausfindig zu machen. Das Gerät aber brachte einstweilen nur Krächzer und Knackser hervor. Die Finger des Leuchtturmwärters tasteten es behutsam ab, legten Schalter hin und her, bewegten den Sendersuchknopf mit unendlicher Geduld einen knappen Millimeter vor und einen zurück. Das Knarzen wurde lauter. Finns dünner Schnäuzer schien zu zittern, die Augenbrauen warfen die Stirn in Falten.

»Betty Blue is calling you. Betty Blue, Newcastle. Lighthouse Stjernholman, Vesterålen, do you hear me? Betty Blue. One of the lights on Røversvaer-Islands must be out of order. And it's a God damned fog all around here. According to our charts we just have passed a big submarine rock within rather a scanty distance! Fucking fog! Thank God, we managed it. Stjernholman Fyr – do you hear me? Betty Blue, Newcastle. There is one of the lights out of order.«

»Kacke. Kohlrabenschwarze Kacke.«

»Sie haben's! Geschafft. Mit heiler Haut davongekommen. Olle Scheiße noch mal.«

»Schnauze.«

Marit stampfte die knarrende Wendeltreppe runter zum Wohndeck und schepperte den Riesentopf auf den Herd. »Fi-inn«, brüllte sie nach oben, »hast doch nix dagegen, wenn ich mich bisschen was nützlich mach. Ach so, ist übrigens dein vorletztes Paket Reisig, aber macht ja nichts. Vielleicht, wenn de Glück hast, kriegste in Svolvik noch welches. Wenn de Glück hast und nicht der Letzte bist, der sich um Reisig kümmert, im September. Hähähä.«

»Marit«, kam es von oben, »ich hab mich hier grad verdorri noch mal um andre Sachen zu kümmern.«

»Ich mein ja nur.« Die Alte war eingeschnappt. Kurzerhand packte sie auch noch das letzte Reisigbündel und stopfte es energisch mit dem anderen in den Herd, obwohl schon eins mehr als genug war. Das würde Zunder geben! Sollte Finn doch sehen, wie er morgen das Kaffeewasser heiß kriegte.

Mit einem Ruck zog sie die zwei Stockfischpaare aus dem Wasserkübel, in dem sie sich 24 Stunden lang sattgesoffen hatten. Sie stanken höchst appetitlich. Und weich waren sie, geschmeidig; schließlich hatte Marit sie gestern eingehend mit dem Hammer bearbeitet. Jetzt brauchte bloß noch das Wasser kochen, und dann rein damit. Anderthalb Stunden. Aber Zeit hatte sie ja. Da oben würde sich jetzt einstweilen sowieso nichts mehr tun. Also konnte sie auch hier unten dem Stockfisch zusehen, wie er noch mal, ein letztes Mal schwimmen lernte. Und schon mal am Aquavit nippen. Konnte schließlich nicht schaden bei dem vernebelten Sauwetter da draußen.

Der Letzte macht das Licht aus

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