Читать книгу Der Letzte macht das Licht aus - Ulrich Land - Страница 15
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ОглавлениеSchon am frühen Nachmittag verteilten die Sterne weiße Punkte über die hohe Kuppel. Immerhin war der November schon angebrochen. Es war kälter geworden. Jetzt, wo die Tage kürzer wurden, wo man den schwarzen Wolken beim Nachlaufenspiel um die weißen Häupter der Skanden zusehen konnte und den Möwen beim Flugballett über den schneegescheckten Schären, jetzt war die Zeit weit aufgerissen. Gedanken nachzudenken, zu vergessen, zu erinnern, im Kopf die krudesten Ideen aufstehen, taumeln, aufstehen zu lassen. Dachte er. Und sah weit raus, wo rotgold-kitschig die Sonne noch einen Augenblick auf der kaltglatten See längs kullerte und offensichtlich versuchte, die Gnadenfrist so lange wie möglich rauszuzögern. Bevor sie dann doch versank. Aber schnell noch einen üppigen Lichtvorrat aussandte, der den Horizont in ein sattes Orange tauchte, bonbonfarbene Schlieren an den Himmel zauberte, ein paar violette Federwolken mit einem barocken Goldrahmen einfasste, um dann schließlich in ein erbarmungsloses Blauschwarz auszuwachsen.
Finn spürte, wie die Kälte durch den Pullover kroch. Er steckte die Hände in die Hosentasch und wollte grade von der Galerie wieder in den Dienstraum gehen, um sich seiner Funk- und Schaltzentrale zu widmen, – als er plötzlich stockte. Er drehte bei, ging die paar Schritte zurück und baute sich wieder da auf, wo er eben das Schauspiel der Dämmerung begutachtet hatte. Da war, da fuhr doch – dabei kannte er doch nun wirklich jede Schaluppe, jeden Kahn, jeden alten Schuh, der vor seiner Küste vorbei schaukelte. Aber das, dieses Boot – da würde er seine Hand für ins Feuer legen – das hatte er hier noch nie gesehen. Finn stützte sich auf die Galeriereling, sein Oberkörper war plötzlich dermaßen schwer geworden, bleischwer. Der Kerl da unten hatte den Außenbordmotor ausgestellt und war sichtlich bemüht, lautlos die Ruder ins Abendwasser zu tauchen. Finn ließ das Boot seinem stechenden Blick nicht mehr entkommen, diesem Fernglasblick, den seine Profession mit sich brachte. Mochte der offenbar komplett schwarz gekleidete Kerl noch so sehr versuchen, in der wachsenden Dunkelheit unterzutauchen. Verdammt weit draußen, als er, wie's aussah, glaubte, außerhalb der Sicht- und erst recht außerhalb der Hörweite zu sein, warf der Typ den Motor an und zog mit Vollgas durch den engen Sund zwischen den Felshöckern im äußeren Schärengürtel davon, bis Finn ihn irgendwann endgültig aus dem Blick verlor.
»Kerl«, krähte Marit aus dem Inneren des Leuchtturms, »wo hängste denn wieder rum? Hier ist ja alles aber so was von total verwaist! Dienst ist Dienst, und Gedankenverlieren ist Gedankenverlieren.«