Читать книгу Der Letzte macht das Licht aus - Ulrich Land - Страница 6
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Оглавление»Das Radar also auch niente! Also Strøm, dann los! Wir müssen, und zwar schnell!«
Das ließ sich Strøm, Steuermann, Funker und Navigationsoffizier in einem, nicht zweimal sagen. Schon gar nicht, wo er genau wusste, wie der Käptn austicken konnte, wenn nicht alles nach Plan lief. Und das hier, das lief kein bisschen nach Plan.
»Radargerät blind wie 'n Maulwurf, okay, das kann vorkommen, bei der Waschküche da draußen kein Wunder, wo sich die ganze Zeit Nieselregen und Schneegriesel abwechseln! Da soll noch ein Radar durchblicken! Okay«, sortierte Strøm in Gedanken die Situation, »aber dass dieses Leuchtfeuer, das wir die ganze Zeit im Blick hatten, dass das auf einmal schlapp macht! Da wird's schon reichlich brenzlig. Und zu allem Überfluss mitten in so 'ner Höllengegend, wo alles voll ist mit Buckeln, ein Inselchen neben dem andern!«
Aber für irgendwelche Zwischenresümees war jetzt keine Zeit. Jetzt war Abspulen angesagt. Jetzt musste alles wie am Schnürchen laufen. Der Käptn ließ die Maschinen stoppen, während Strøm einen ersten Notruf absetzte. Kaum lief der Motor leise vibrierend im Leerlauf, war auf dem Radarmonitor wieder ein Bild. Flimmernd und flackernd, unscharf und immer wieder verschwimmend, aber erkennbar zeichneten sich Konturen ab. Die Fjordufer, landeinwärts allmählich aufeinander zu laufend, und der Küstenverlauf gleich mehrerer Schären und ... und ...
»Scheiße«, schrie der Käptn, »volle Fahrt zurück!«
»Volle Fahrt zurück«, brüllte Strøm nach unten Richtung Maschinendeck.
»Scheiße Scheiße, das reicht nie, wir machen viel zu viel Fahrt voraus, zu spät gestoppt! Aber man sieht ja auch die Hand nicht vor Augen. Meine Fresse, das geht ins Auge!«
Mitten ins beschwörende Flüstern des Käptns hörte man unten die Ventile rappelnd wieder anziehen. Wenn Vollgas gefahren wurde, dröhnte die Maschine bis oben auf die Brücke; bei einem Fischtrawler mit knapp 740 Bruttoregistertonnen kein Wunder. Gott sei Dank waren offenbar alle Mann auf dem Posten. Dass es trotz der leichten See um Leben und Tod ging, das schien noch bis zum letzten Bootsjungen durchgesickert zu sein.
»Das Steuer rum«, zischte Strøm den Käptn an, obwohl er sich selbstverständlich darüber im Klaren war, dass ihm dieser Kommandoton nicht im Entferntesten zustand, »was machen Sie denn da, Chef?! Sie müssen dem ausweichen.«
»Da ist nichts mehr mit Ausweichen, dafür machen wir noch viel zu viel Fahrt. Es dürfte dir ja nun wahrhaftig allmählich klar sein, dass man auch so 'n kleines Badewannenbötchen wie unsers nicht mal eben gebremst kriegt.«
»Aber rumgerissen!«
»Auch nicht rumgerissen. Das ist wie bei der Titanic. Nur dass wir's hier mit einem knallharten knochentrocknen Fels zu tun haben und nicht mit einem dämlich rumdümpelnden Eisberg.«
»Aber, genau, der von der Titanic, der Rudergänger ist doch auch ausgewichen.«
»Hat's versucht, Strøm, versucht. Und du weißt, wie's ausgegangen ist.«
»Verflucht noch mal, Sie halten ja frontal drauf zu! Sie sind des Wahnsinns!«
Strøm wusste nicht mehr, was er tat. Die Wucht seines rechten Hakens traf den Käptn völlig unvorbereitet irgendwo in der Magengegend und schleuderte ihn zur Seite. Er ging in die Knie und kotzte wie ein Reiher. Ohne ihn auch nur eines Seitenblickes zu würdigen, griff Strøm ins Steuer und riss es rum. Das Schiff stöhnte und ächzte in allen Fugen, legte sich mit halsbrecherischer Neigung auf die Seite und drehte seinen Bug einen Hauch mehr nach Steuerbord, um mit zwar langsamer werdendem, aber immer noch gespenstischem Tempo seitwärts auf die Felsinsel zuzufahren.
Plötzlich fuhr ein unglaublicher Schlag durch alle Planken und durchdrang Strøms Knochen wie ein Blitz von unten nach oben. Er hatte das Gefühl, die Halswirbel müssten sich ins Hirn bohren, der Schädel bersten. Ihm wurde schwarz vor Augen, und die Beine versagten ihren Dienst. Dumpf schlug er im Fallen mit dem Brustkorb auf den Kartentisch und warf die Arme reflexartig um die Tischplatte, die inzwischen zwar schon eine bedrohliche Neigung aufwies, dadurch aber, dass der Tisch fest verschraubt war, hielt. Irgendwo in weiter Ferne hörte Strøm den Käptn mit gebrochener Stimme dozieren.
»Wissen Sie, was inzwischen, Jahrzehnte später, die Titanic-Reederei rausgefunden hat, mit Modellversuch und Computersimulation? Der Pott hätte nur eine einzige Chance gehabt, nicht abzusaufen. Eine einzige! Frontal vor den Eisberg zu knallen. Wissenschaftlich erwiesen. Dann hätte's ordentlich gerumst und der Bug wäre komplett demoliert gewesen, aber, rapp zapp, die Schotten runter, und alle bis auf die erste Rumpfkammer wären dicht gewesen. Der Kahn wäre schwimmfähig geblieben, und man hätte in aller Ruhe retten können, was noch zu retten ...«
Allmählich, ganz allmählich wurde es ruhig in der Ecke, aus der die Stimme des Käptns herüber gekrochen war. Verdammt ruhig. Aber Strøm hatte sich jetzt erst mal um sich selbst zu kümmern. Sein Kopf also hatte offensichtlich gehalten. Sonst hätte er den Exequien-Sermon des Käptns schließlich nicht mitgekriegt. Und als die Bilder, die seine Augen dem Gehirn ablieferten, langsam wieder Farbe annahmen und versuchten, sich mit den Gleichgewichtsorganen in Deckung zu bringen, da begriff er, wie schräg der Trawler schon lag. Das ging den Bach runter, keine Frage.
Strøm hatte das Gefühl, in seinem Kopf wär's taghell, alles völlig klar, alle Seitengedanken, Nebenträume, Unterfantasien wie weggeblasen. Sämtliche Hirnwindungen nur auf ein Ziel fokussiert: Wie mit heiler Haut hier rauskommen?! In den wenigen Minuten, vielleicht nur noch Sekunden, die ihm blieben, bis das finstre Wasser der Nacht über ihm zusammenschlagen würde.
Da fiel ihm der Plastikkanister ein. Irgendwie musste man hier, vom Inneren der Brücke aus an diesen Kanister mit dem Spirituswasser zum Auftauen der Sichtscheibe kommen. Irgendwo in der Nähe des Scheibenwischers. Irgendwo. Strøm riss sämtliche Schranktüren, Dach- und Bodenklappen im größeren Umkreis auf. Es blieb nur noch eine Möglichkeit. Und da war sein Kopf plötzlich überhaupt nicht mehr taghell. Es blieb nur der Schrank, an den sich der Käptn für seinen letzten Schlaf gelehnt hatte. Besser gesagt: auf den er gedrückt wurde, weil das Schiff dabei war, kopfüber wegzukippen. Strøm schluckte. Er sah, dass der Käptn mit offenen Augen und abgeknicktem Kopf schlaff dasaß. Das sah nicht gesund aus.
»Der ist, das darf nicht wahr sein, der ist – nein! – tot? Käptn, aufwachen! Chef, wir brauchen Sie. Unser Pott geht baden. Chef!« In irgendeinem Film hatte er mal gesehen, dass man Ohnmächtigen Ohrfeigen verpassen musste, aber er traute sich nicht. Schließlich hatte er dem Käptn grad eben erst eine gepfeffert. Er versuchte es dann doch, setzte eine ganz sanfte Ohrfeige an, und sofort schlug Arndahlens Kopf zur Seite wie eine Kokosnuss auf einem Grashalm, riss in der Seitwärtsbewegung den Körper halb mit in die Schräglage.
Strøm schossen wider Willen die Tränen in die Augen. Seit er denken konnte, vom ersten Tag seiner praktischen Ausbildung an, war er unter Arndahlen zur See gefahren. Und selbst jetzt, nachdem Strøm sich noch vor ein paar Minuten derart daneben benommen und den Käptn zu Boden geschlagen hatte, selbst auf diesem Schlafgesicht mit den weit aufgerissnen Augen lag so etwas wie ein Lächeln. Er schien es ihm jedenfalls nicht krumm genommen zu haben.
»Wieso«, ging es Strøm durch den Kopf, »wieso ist der tot? Ich leb doch auch noch. Wer weiß, vielleicht ist der im Sturz auf einen spitzen Gegenstand gefallen. Auf eine Kante geknallt. Wer weiß.« Strøm nahm all seinen Mut zusammen und schob die Leiche ächzend zur Seite. »Dass so kleine, leichte Männlein wie Arndahlen derart schwer werden, wenn sie tot sind!«
Nachdem der Trawler inzwischen fast senkrecht stand und mit seinen letzten Lichtern wie ein spärlich flackernder Leuchtturm aus dem Wasser ragen mochte, war nichts anderes möglich, als den Käptn unsanft zur Seite zu schieben und rüber auf eine der andern Schranktüren zu hieven. Nein, eine blutende Wunde war nicht zu entdecken.
»Wahrscheinlich sein Magengeschwür. Und ich Wahnsinniger zimmer ihm genau da so 'n Hammerschlag drauf! Ich hab den, den hab ich auf dem Gewissen. Ganz allein: ich! Das ist, das war Mord.«
Strøm hatte mal was gehört von Magengeschwürdurchbruch, aber er hatte keine Ahnung, ob man daran so schnell sterben konnte. Und ob man so was überhaupt von außen, durch einen Schlag in die Magengrube etwa, bewirken konnte. Kam ihm eher unwahrscheinlich vor. Also vielleicht lag es doch an was anderem und er trug nicht die Verantwortung für Arndahlens Tod. Vielleicht.
Egal jetzt, der Käptn musste weg da. Und zwar schnell. Strøm zerrte ihn vollends zur Seite und fand tatsächlich den Kanister. Natürlich viel kleiner, als er gedacht hatte, vielleicht drei, vier Liter Fassungsvermögen, wenn's hoch kam. Aber auch ein seidener Faden war ein Faden! Er zog den Schlauch ab, der aus dem Kanister Richtung Scheibenwischer führte, schüttete das Wasser achtlos in den sperrangelweit offen stehenden Unterschrank und klebte mit Lassoband den Ausfüllstutzen des Kanisters zu, um ihn dann mit dem Deckel zusätzlich zu verschrauben. Würde wohl, musste einfach dicht sein. Strøm sah, dass jetzt das Fjordwasser in dicken Bächen und Fontänen durch die Wandverkleidungen eindrang, und als er aus dem Hauptkabelbaum der Brücke die längste Strippe, die er kriegen konnte, riss, dröhnte hinter ihm ein ohrenbetäubender Knall in den halbgewässerten Raum: die Wand mit Funkgerät, Radarmonitor und was der Navigationsgerätschaften mehr waren, war halb aus der Verankerung gerissen und öffnete einem gewaltigen Sturzbach Tür und Tor. Aber da hatte Strøm das Kabel bereits dem angesichts des Wasserschwalls noch jämmerlicher wirkenden Kanister durch den Griff gesteckt, zu einer Schlaufe gebunden und sich diese unter einem Arm durch um die Brust gelegt. Einzige Überlebenschance, nachdem die Schwimmwesten absolut unerreichbar irgendwo da unten in den Kajüten im Wasser trudeln mochten.
Er suchte mit der linken Hand irgendwo Halt, bückte sich, fuhrwerkte – bis zum Hals im Wasser – mit der Rechten auf der Schranktür unter seinen Füßen herum und förderte tatsächlich den Absperrriegel des Armaturenschranks zutage. Eine schnelle Drehung und der Eisenriegel zertrümmerte mit lautem Getöse die Heckscheibe der Brücke, die – waagerecht jetzt – den Blick in den Himmel freigab. Übersät von Glassplittern und Schnittwunden, zog Strøm sich mit seiner Kanisterschwimmweste am messerscharf glasgespickten Fensterrahmen nach oben. Und, obwohl Klimmzüge noch nie seine Stärke waren, kam er schreiend vor Schmerz und Anstrengung nach oben, bekam einen Stahlbügel zu fassen und konnte ein Bein ums Fensterkreuz schlingen, so dass er sich schließlich auf die Rückwand der Kommandobrücke ziehen und aufrichten konnte.
Wie ein Desperado der sieben Weltmeere stand er breitbeinig auf seiner langsam sinkenden Eiseninsel und blickte in den Nachthimmel. Die Nebel hatten sich verzogen, aber der Himmel war immer noch pechschwarz zugezogen und ließ nicht einen einzigen Stern blinken. Strøm fror. Und von unten stieg ihm allmählich das Wasser entgegen.