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»Ganz schön anstrengend morgens immer, was? So allein mit mir. Das ganze Frühstück! Eine geschlagne Viertelstunde – mindestens – dich eifrig mit mir unterhalten müssen.«

Brik hatte Frokost gemacht. Ihre große Leidenschaft, wenn sie ausnahmsweise mal rechtzeitig aus dem Bett gekommen waren. Sie trug nach Herzenslust alles zusammen fürs Frühstück, was die Küche hergab. Bis die Tischbeine sich durchbogen. Sämtliche nur erdenklichen Brotsorten, Flatbrød und Knäcke sowieso, Waffelbrot und Finnbrød. Und natürlich Lefse – niemand konnte die Saure-Sahne-Fladen wie sie zubereiten! Dann Blaubeerpfannkuchen und direkt daneben kalten Fisch, heißes Kartoffelpüree und ein ordentlicher Brocken Jarlsberg vom Feinsten, mild und nussig. Finn hatte keine Ahnung, wie sie an einen derart guten Käse kam, beim Supermarkt in Svolvik jedenfalls gab's den nicht, so viel war sicher. Weiß der liebe Himmel, wahrscheinlich ließ sie ihn direkt einfliegen aus dem Süden, irgendwo aus dem Gudbrandsdal oder woher auch immer. Und der Brunost-Käse, den sie immer anschleppte, war auch nicht zu verachten, Zwischending aus Ziege und Karamell, süß, braun und bitter, klebte am Gaumen wie tagelang durchgewalkter Kaugummi. Aber lecker, einfach lecker, würzig süß.

Früher hatte er Brik für diese Frühstücksköstlichkeiten geliebt, und sie ihn, weil er eine Antenne dafür hatte. Aber in den letzten Wochen war ihm der Sinn nicht danach. Und heute schon gar nicht. Er stand unter Strom. Griff eilig, aber so, dass es möglichst nicht danach aussah, in den Topf mit eingelegten Salzheringen und schob sich zwei davon samt Zwiebelscheiben, Dillstrünken und Pfefferkörnern in den Rachen. Dann noch schnell zwei Knackwürstchen und einen Schlag Kartoffelbrei mit brauner Butter. Das musste heute reichen als Frühstück.

»Aber wenn ich dann zur Praxis bin, dann haste ja erst mal so richtig deine Ruhe. Bis Petter seine Fischernacht weggeschlafen hat und Marit in die Gänge gekommen ist. So lange total allein – kommst du da nicht manchmal auf krumme Gedanken?«

»Ich weiß auch nicht, ich bin mir irgendwie selbst genug. Manchmal. Meistens. Aber nicht immer.«

»Kannste ja bloß froh sein, heh, dass du für das Nicht-Immer anständig verheiratet bist. Andernfalls, das würde dich hier oben wahrscheinlich teuer, verdammt teuer zu stehn kommen.« Brik lachte, gab ihm einen kurzen Kuss auf die Nasenspitze, und schon hörte er sie die Treppe runterpoltern. Er wusste, dass sie noch auf der Treppe ihre Arme in die Jacke stopfen, den Mantel anziehen und schließlich Finns alten, ausgebeulten Overall darüber würgen würde. Diese letzte Pelle würde sie dann drüben in Brunøa auf dem Anlegesteg wieder ablegen, ebenfalls im Laufschritt. Jetzt war sie vermutlich unten auf den letzten Treppenstufen angekommen und schlüpfte in die Stiefel. War ihm ein Rätsel und würde ihm, obwohl er's schon so oft beobachtet hatte, immer ein Rätsel bleiben, wie sie es schaffte, die ganzen Klamotten verteilt auf ihre Hände, Arme, Schultern treppab zu befördern und sie dabei – im Hochgalopp – Stück für Stück anzuziehen.

Dann hörte er ihren Außenborder losknattern und davon heulen. Musst du schon verflucht schnell hinhörn, dann is' er weg. Schon weg. Verpufft, vertrieben, spurlos, noch schneller als wie die Qualmfetzen von seinem ollen Sprit. Finn musste grinsen, dass ihm immer morgens, wenn Brik zur Praxis fuhr, Marits zerzauste Worte in den Sinn kamen, die sie losgelassen hatte, als sie zusammen unten auf den Felsen gehockt und in den verblassenden Augusthimmel gegrübelt hatten. Schon weg, im leichten Wind, die Furche, die ihr Boot durchs Wasser zieht, die weißen Gischtschnüre hinten dran. Schon verschlungen vom Wasser, wieder verschlungen.

Finn ging zum Telefon und ließ die Wählscheibe die paar Nummern durchzwirbeln.

• »Tach auch. Werenskiold hier, Stjernholman Fyr. Ich hab bloß noch eine Ersatzleuchte für die B63er Bojen, ihr müsst mir noch mal 'nen Satz Leuchten zurücklegen. Und drei, vier Parabolspiegel auch. Okay?«

• »Ja sicher, weiß ich.«

• »Stimmt, waren auch B63er. Aber kann ich ja nu nichts zu.«

• »Ich geh mal davon aus, dass das auch auf die Kappe von diesen Chaoten aus Svolvik oder wo geht. Hab ich euch ja schon gesteckt, dass ich da 'ne Handvoll militante Vegetarier in Verdacht hab, die was weiß ich was für Fischbestände vorm Untergang retten wollen. Brauchen ja bloß irgendein abgewracktes Boot zu kapern und können von draußen von See aus lustig drauf los schmeißen. Diese leuchtenden Küstenaugen geben doch, Krähenkacke noch mal, 'ne wunderbare Zielscheibe ab. Die Burschen wollen offenbar hier die Runde machen bei mir.«

• »Nee, das nicht. Bloß so 'n Verdacht.«

• »Wieso, ja, seid doch froh, dass ich das rechtzeitig immer mitkriege. Dass sich einer persönlich drum kümmert und an Ort und Stelle ist, wenn's drauf ankommt. Ihr könnt ja mal einen von euern Computerautomatendingern rausschicken, mal gucken, ob so einer was ausrichtet gegen die Steineschmeißer!«

• »Jedenfalls ich schick euch Brik dieser Tage mal vorbei, dass ihr der die Laternen mitgebt. Okay? Und ich geb ihr die zerdepperten mit, dass ihr mal 'n Blick drauf werfen könnt. Und nicht extra einer rauskommen muss.«

• »Ja ja, nichts für ungut.«

Minuten später saß Finn im Boot und fuhr rüber zu seinen Schützlingen direkt vor der Einfahrt zum Håkfjord. Irgendwie wirkte die Strecke heute doppelt lang. Endlich brachte er sein Boot zwanzig, dreißig Meter vor einer der B63er in Stellung und fischte sich ein paar von den Steinen, die er in Marits löchrigem Eimer mitgebracht hatte. Plötzlich aber kam er ins Stocken. Mitten auf der kleinen Schäreninsel, die seine Leuchtbake beherbergte, wirbelte eine Windhose über den Fels und riss den fein zerstäubten Neuschnee, der in den vergangenen Tagen den Winter eingeläutet hatte, fünf Meter hoch ins Licht. Die winzigen Kristalle, tausend Prismen, machten aus den paar wenigen Sonnenstrahlen, die sie erwischten, ein fantastisch wirbelndes Farbenspiel. Ein riesiger, glitzernder Diabolo aus Lichtfunken. Schnell noch ein Lichtspiel, bevor's die Sonne im Dezember dann nicht mehr über den Horizont schaffen und diese Wochen kommen würden, wo die Zeit unglaublich breit wurde. Gefiel ihm, aber irgendwie war es jedes Jahr aufs Neue eine Überraschung, wenn die Sonne sich mit einem letzten Augenzwinkern für vier lange Wochen definitiv verabschiedete.

Finn musste kurz überlegen, was er hier eigentlich zu suchen hatte. Dann spürte er die Steine in seiner Hand und legte los, griff immer wieder in den Eimer und schmiss, was das Zeug hielt. War seit jeher sein Schwachpunkt gewesen. Schon in der Schule. Schlagballwerfen: sein persönlicher Erfolgstöter. Daran hatte sich bis heute wenig geändert. Er musste das Boot ein ordentliches Stück näher heran steuern, dann erst landete er einen Treffer. Das Glas der Bake allerdings hielt der Attacke stand und schleuderte den Stein in hohem Bogen wieder zurück. Hoch elastisch, das Schutzglas, ja, wusste er, aber damit hatte er denn doch nicht gerechnet. Und auch einen zweiten und dritten Treffer quittierte seine B63er getreu der Devise: Einfallswinkel gleich Ausfallswinkel.

Was blieb ihm anderes, als noch näher heranzufahren. Schließlich suchte er in seinem Vorrat an Wurfmaterial den schwersten und scharfkantigsten Stein aus, stellte sich aufrecht hin und schleuderte ihn mit solchem Nachdruck auf die Bake, dass das Boot von der heftigen Bewegung anfing, wie wild zu schaukeln. Finn sah noch wie die Glasabdeckung des Leuchtfeuers aufriss, wie die Linse darunter in tausend Scherben explodierte und wie, allem Anschein nach, auch die Laterne selbst ihre Glashülle in alle Himmelsrichtungen verspritzte, doch da verblendete sich das Mosaik der umherfliegenden Glassplitter bereits mit einem Zauberbild schwarzer und weißer Wasserfontänen, wüst auseinanderstiebender Spritzer und strudelnder Turbulenzen. Die winzigen Tropfen machten aus den paar wenigen Sonnenstrahlen, die sie erwischten, ein fantastisch wirbelndes Schwarzweißspiel. Ein riesiger, glitzernder Diabolo aus Wasserfunken.

Jetzt erst, als er schon ein ordentliches Stück untergetaucht war, bemerkte Finn, wie saukalt das Wasser war. In extremer Kälte, hatte er mal irgendwo gelesen, hat man, kurz bevor einen der Kältetod holt, überbordend euphorische Gefühle.

»Und der Haifisch, der hat Zähne«, schoss es ihm durch den Kopf, »aber hier, hier hat noch der schärfste Haifischzahn keine Chance. Gegen diese Kälte und diese Finsternis. Nordnacht ist Mordnacht. Und der Mordzahn beißt auf Granit und Grund und gründet tief und knirscht, lässt den Sand zwischen den Zähnen zergehn und auf der Zunge. Komische Gedanken, wirres Zeug im Kopf, von wegen: Euphorie!«

Das einzig Heftige war dieses hämmernde Gefühl, das Herz müsse jeden Augenblick stehen bleiben. Aber dann meldete sich die Lunge, verlangte nach Luft und zwang ihn, sich nicht weiter um den Herzstillstand, sondern um die Aufwärtsbewegung zu kümmern. Kaum hatte er den Kopf über Wasser, sah er, dass es schlimmer kaum hätte kommen können. Das Boot lag kieloben und war ein gehöriges Stück abgetrieben. Die Werkzeugkiste mit allem drum und dran dürfte grade dabei sein, gemächlich zum Meeresboden hinab zu taumeln. Der halbleere Benzinkanister, Riemen und Tampen und Fender und was der Utensilien eines nordnorwegischen Leuchtturmwärters mehr waren, mochten sich ebenfalls irgendwohin auf Reisen begeben haben.

Doch das war noch längst nicht das Schlimmste. Viel aufregender war die Frage, wie er aus dieser Nummer mit einigermaßen heiler Haut rauskommen wollte. Finn musste herzergreifend lachen, so gut man bei diesen gattungsfeindlichen Wassertemperaturen lachen konnte. Aber sein Galgenhumor mischte sich mit durchaus weniger lustigen Gedanken. Eins jedenfalls war klar, er konnte nicht einfach zur Insel von seiner Leuchtbake rüberschwimmen, sich an Land schleppen und auf Rettung warten. Immerhin war nicht grade davon auszugehen, dass innerhalb der nächsten halben Stunde, bevor er bei Minusgraden in den klatschnassen Klamotten denn doch noch den Herzstillstand nachgeholt haben würde, dass also in absehbarer Zeit ein Rettungshubschrauber über dieses völlig abgelegene und, versteht sich, unbewohnte Eiland, über diesen nun wirklich als solchen ausgewiesenen Arsch der Welt fliegen und ihn, Finn, aufgabeln würde. Mal ganz davon abgesehen, dass er, nachdem er sich vor anderthalb Stunden noch bei der Küstenwache bitterlich über die üblen Streiche der Dorfjugend von heute beklagt hatte, nicht eben eine gute Figur machen würde neben dem zerdepperten Leuchtfeuer seiner Bake. Vielleicht hätte er sich bei entsprechendem rhetorischen Einsatz damit rausreden können, er sei auf der Suche nach den Übeltätern gewesen, habe sie auf frischer Tat ertappt, sie hätten daraufhin sein Boot zum Kentern gebracht, er sei nur knapp dem Tod durch Ertrinken entgangen und so weiter und so fort ... Wie auch immer, jedenfalls würde er sich mindestens verdächtig machen. Wo die ihn doch sowieso schon auf dem Kieker hatten.

Und das zweite, was klar war: Hier im Wasser konnte er noch weniger bleiben.

Unter diesen unwirtlichen Umständen waren keine zehn Minuten zu überleben. Wenn's ihm aber gelingen sollte, bis zum Boot zu kommen, und wenn es ihm des weiteren gelingen sollte, das Boot wieder nach oben zu drehen, den gründlich gewässerten Außenbordmotor anzuwerfen oder zumindest die altersschwachen Riemen in die Dollen zu würgen und in einem Wahnsinnsakt mit den klatschnassen Klamotten am Leib die sechs Seemeilen durch die Kälte zurück zu paddeln, wie sollte er Marit und Petter, wie sollte er vor allem Brik klarmachen, wo er gewesen und was ihm widerfahren sei. Sich schon wieder irgendeine Geschichte ausdenken, die ihm keiner – und Brik schon gar nicht – abnehmen würde?

Der Letzte macht das Licht aus

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