Читать книгу Der Letzte macht das Licht aus - Ulrich Land - Страница 13

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Petter hatte ihr wieder mal einen Haufen zerfaserter Netze auf den Felsbuckel vorm Haus geworfen. Wieso der alte Esel immer warten musste, bis so 'n riesiger Berg aufgelaufen war?! Musste man's doch mit der Angst zu tun kriegen, wenn man das ganze Zeug vor der Brust hatte. Würde ja nie aufhören! Aber dann zog sie doch das erste Netz vom Stapel und setzte die Nadel an. Sie konnte sich beim besten Willen nicht dran erinnern, wie viel hundert Netze sie in ihrem Leben schon repariert hatte. Sie machte das fast blind, musste immer nur ganz kurz hinsehen und konnte ansonsten den Blick schweifen lassen über die kaltgrauen Inseln im Septemberdämmer. Sah drüben die Lichtpunkte der Siedlungen auf den Inseln, wo die Landstraße – wie eine Allee gesäumt von einer endlosen Staffel gebeugter Straßenlaternen – sich gen Süden davon schlängelte.

»Es ist nicht zu fassen, das ganze Gelichter da drüben! Mittags um halb drei! Oder doch, ist doch zu fassen, ist klar, jetzt, wo's finstrer wird, Tag für Tag die Nächte länger, langsam aber stetig, da ergreifen sie die Flucht nach vorn, krempeln die Ärmel hoch, stapeln Lampen, Lämpchen, Leuchten, Lichtlein in die Einkaufswagen. Zu Tausenden. Was sag ich? Zu Hunderttausenden. Dabei wären die Einzigen, die in Sachen Licht 'n Wörtchen mitzureden hätten, ja wohl Baldur und der olle Loki, wenn Ihr Euch erinnern möchtet, Ihr brustgeschwellten Leuchtegockel Ihr! Muss man sich vorstellen: Für dies flirrend-grelle Geflimmer, Gefunkel, für das Lichtgeprasse von all den armseligen Armleuchtern Land auf Land ab, dafür war der Loki die endlosen Jahre an diesen kargen, an diesen höllischen Felsen festgekettet. Dafür! Hätt er sich verdammt auch nicht träumen lassen.«

Plötzlich, Marit wusste überhaupt nicht, wie ihr geschah, plötzlich standen neben ihr zwei schwarze Hosenbeine. Und als sie langsam, ganz langsam den Blick hob, musste sie feststellen, dass darin ein hochaufgeschossener Kerl steckte. Ein Schrank von einem Kerl. Daran bestand kein Zweifel, auch wenn ihre Perspektive von da unten zu Füßen des Netzgebirges ein Übriges dazu tun mochte, dem von Kopf bis Fuß schwarz gekleideten Mann gradezu Riesendimensionen zu verleihen. Sie war weiß Gott alles andre als ängstlich, aber als sie dem geheimnisvollen Fremden ins Gesicht sah, da ließ sie denn doch einen Schrei fahren, der die verblichenen Urahnen Odins zur neuerlichen Götterdämmerung hätte aufwecken können. Dieses Gesicht, in das sie da eben hatte blicken müssen, war schwarz, pechschwarz! Und wer hatte je auf den Vesterålen ein schwarzes Gesicht gesehen, ein so was von schwarzes Gesicht! Und natürlich hatte sie sofort gesehen, dass ihm aus der Stirn, rechts und links direkt am Haaransatz zwei spitzige Hörner wuchsen, krumm gebogen wie die eines stinkenden Ziegenbocks. Weder wollte sie auch nur eine Sekunde länger in dieses Grauen von einem Gesicht blicken, noch wagte sie es, den Blick zu senken, denn aus dem Augenwinkel hatte sie gesehen, dass der linke Fuß des Mannes von klumpigen Auswüchsen gezeichnet war. Um des hohen Himmels Willen, Marit stierte krampfhaft an dem Kerl vorbei aufs rauchgraue Meer, bekreuzigte sich und stammelte etwas von wegen, dass sie nie wieder an die Götter und Halbgötter, die hier in den hohen Breiten ihr Unwesen trieben, auch nur einen Gedanken verschwenden, sondern ausschließlichst an den einen einzigen Christengott glauben werde. Und heute Nacht noch, gelobte sie stumm, werde sie zwölf, oder ja, zwanzig Ave-Maria vom Stapel lassen. Wenn nur, ja, wenn der Gehörnte so plötzlich und leise, wie er erschienen war, auch wieder verschwinden werde.

»Kennen Sie den Leuchtturmwärter hier, Frau Tideband?«

Im Namen aller heiligen Geschöpfe aus Bestlas, oder nein besser: aus Evas erhabnem Schoß: Der Kerl hatte eine gradezu menschliche Stimme! Perfides Täuschungsmanöver! Und als sie jetzt gezwungen war, doch noch einmal aufzublicken, entdeckte sie, dass sein Gesicht längst nicht mehr so schwarz war, womöglich war nur ein etwas tiefer Schatten drauf gefallen. Und die Hörner – was für Hörner? »Den Leuchtturmwärter? Hier kennt jeder jeden. Aber ...«

»Aber?«

»Aber der Mann hat zu tun.«

»So?«

»Ist draußen irgendwo bei den Leuchtfeuern oder Bojen oder was, gehören ja, ich weiß nicht, etliche zu seinem Bezirk. Muss er irgendwas richten. Was fragen Sie mich denn das? Wer sind Sie überhaupt? Wenn wer Neues auf unser Eiland kommt, der stellt sich erst mal vor, vernünftig. Dass man weiß, wo man dran ist.«

»Dann bestellen Sie dem Leuchtturmwärter mal, er soll sich bei seiner Arbeit nicht stören lassen.«

»Ja, aber ...«

Aber da war der Kerl in Schwarz schon wieder verschwunden, so plötzlich und leise, wie er erschienen war. Huschte mit leichten, mit federleichten Schritten über die Felshöcker, schwebte um die Krüppelbirke drüben und war weg. Einfach weg.

»Deibel noch mal«, entfuhr es Marit, »woher, zum Teufel, weiß der meinen Namen?«

Der Letzte macht das Licht aus

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