Читать книгу Einstürzende Gedankengänge - Ulrich Land - Страница 11

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Wie ihr – du warst sechs, vielleicht auch erst fünf, wahrscheinlich fünf, in der Schule jedenfalls warst du noch nicht, definitiv nicht – wie deine Eltern und du also mit diesem beigefarbenen Käfer ... du erinnerst dich noch genau an den Geruch, wirst du dein Leben lang in der Nase haben, hast nie wieder in einem Auto gesessen, dessen rostbraun feuchtigkeitsfleckiger Himmel einen derart warmen, derart heimeligen Geruch verströmte ... wie ihr im Käfer durch die Nacht gefahren seid. Dir wollten die Augen ständig zufallen. Der aufs Blech prasselnde Regen und der monoton vor sich hin jaulende Scheibenwischer taten ein Übriges. Das Einzige, was dich wach hielt, war das permanente Gezeter deiner Eltern. Aber auch wieder nicht permanent genug, um dich in den Schlaf zu singen. Mal flüsterten sie fast, und im nächsten Moment schlugen die Wellen hoch, brandeten mit wüstem Getöse gegen die Windschutzscheibe, wurden von dort zurückgeworfen und erwischten dich volle Breitseite, während du mutterseelenallein auf der Rückbank kauertest.

»Kannst du vielleicht mal ’n bisschen mehr auf die Tube drücken? Ist ja zum Kotzen, die Kriecherei«, mokierte sich deine Mutter.

»Kannst du vielleicht mal nicht wegen jedem Scheiß sofort diesen Ätzton anschlagen!«, rumpelte dein Vater zurück. Aber da war das Maß schon voll. Du spürtest dieses irgendwie rote Britzeln unter den Augenlidern, das dich unweigerlich zwang zu zwinkern, diesen salzigen Geschmack, der langsam aus irgendeiner Mundhöhle oder was oder wo angekrochen kam, den ganzen Mundraum ausfüllte und sich pelzig auf der Zunge niederließ, bevor dich endlich die Tränen überrollten, die dann schon wie eine Erlösung wirkten und sich mit den immer neu rüberschwappenden pechschwarzen Elternstreitwellen mischten. Um das Ungemach nicht noch zu vergrößern, versuchtest du, möglichst leise zu wimmern. Am liebsten ganz klein sein, am liebsten gar nicht da sein.

»Und dann noch vor Tom! Musst du mich vor dem Kind so bescheuert runtermachen? Außerdem, falls du’s noch nicht bemerkt haben solltest, es regnet! Und hier ist Tempo 70 bei Nässe«, sagte dein Vater mit beschwörend leiser Stimme.

»Mann Dollinger, du bist einfach ’n Zwangscharakter. Mitten in stockdustrer Nacht und hier oben in der Pampa, am Arsch der Welt, hier ist doch kein Schwein unterwegs um die Zeit. Geschweige denn ein Bullenkommando. Himmel noch mal, protestantisches Beamtensöhnchen! Du bist genau einer von der Sorte, die vor der Revolution dem Straßenbauamt Schadensersatz dafür anbieten, dass der Demonstrationszug beim Vorüberlatschen die Pflastersteine abnutzen wird. Anstatt die Dinger einfach rauszureißen. Spießig bis dorthinaus. Revisionistisch!«

Das reichte. Reichte deinem Vater. Voll und ganz. An deinem eigenen Wimmern vorbei hörtest du, wie mit einem Mal der Motor des guten alten Käfers aufheulte, lauter als du selbst. Und du bekamst mit, natürlich bekamst du mit, wie es auf einmal ganz anders ruckelte, wie deine Sitzbank anfing zu zittern und zu beben, wie’s unter deinen Fußsohlen rumorte. Wie ein Brecher Spritzwasser nach dem andern gegen die Karosserie schlug, wie die Reifen auf der regennassen Fahrbahn schlitterten.

Deine Mutter sagte nichts mehr. Dein Vater sowieso nicht, der bohrte den Blick durch die Windschutzscheibe in die schwarze Nacht, verfolgte mit hin und her wiegendem Kopf den Straßenverlauf. Und drückte das Gaspedal bis zum Anschlag durch.

Wie sich plötzlich das Schlittern völlig anders anhörte. Du wusstest nicht wieso, aber irgendwie hörte dein Wimmern auf, die Tränen flossen noch, aber deine Stimme – einfach weg. Vom Erdboden versch... – die Reifen hatten das Jaulen übernommen – jetzt war auch, jetzt war auf einmal auch das Motorgetöse stumm – und das Jaulen fing an zu heulen – und alles, alles, jetzt kam alles durcheinander, alles drehte sich, wirbelte im Kopf. Dann nur noch dieses Krachen! Und der endlose Radau danach. Blechgebrüll um die Ohren, untern Füßen dumpfes Dröhnen, klirrende Glassplitter tanzten durch die Luft. Dann war es genauso plötzlich still. Eine ewige Sekunde lang totenstill. Du hörtest nur deine Stimme, die ohne Kraft und ohne Anstrengung einfach nur vor sich hin brabbelte, irgendwas, sinnlose Wörter wimmerte, die Tränen zählte, die mit den Regentropfen zusammen herabrannen: die einen das Gesicht runter, die andern das Seitenfenster.

Wie sich irgendwann mitten in die irgendwie fremde Jammermusik, die aus dir hervorquoll, die Stimme deines Vaters einblendete. Ganz langsam, ganz leise, von weit weg: »Tom?«

Aber du konntest nicht antworten. Nicht mal ein Ja brachtest du raus. Deine Stimme konnte die Jammermusik einfach nicht abstellen. War der seidene Faden, an dem dein Leben hing. Jede noch so winzige Unterbrechung hätte bedeutet, der Faden ist gekappt. Hast deine Stimme also weitermachen lassen, hast sie tränengurgelnd winseln lassen – ganz automatisch, hast nichts dazu beisteuern müssen.

Und wie du plötzlich wieder so ’n blechernen Radau hörtest. Drehtest den Kopf ein paar Millimeter, bis es anfing wehzutun im Hals; aber’s reichte, um aus den Augenwinkeln zu sehn, wie sich dein Vater ächzend und unter Aufbietung aller ihm zu Gebote stehenden Kräfte gegen die verkeilte Fahrertür warf. Wie er drückte, presste, schob und zog ... und tatsächlich, irgendwann sprang die Tür knarzend auf, und dein Vater schob sich mit seiner blutenden Schulter zuerst aus dem unförmigen Blechknoten, zu dem euer Käfer zusammengeschrumpft war.

Kaum war dein Vater durch den engen Schlitz geschlüpft, den die Tür widerwillig freigab, da hörtest du diese Eulenrufe. Richtig laut, ganz nah. Der eine Scheinwerfer, der noch funktionierte, starrte, starrte wie blöde die Tannen hinter der zersplitterten Windschutzscheibe an. In völlig bizarrem Winkel, von ganz unten nach hoch oben.

Dann klappte die Rückenlehne des Fahrersitzes nach vorne und direkt neben deinem Kopf tauchte das blutige Gesicht des Vaters auf, das im schräg von den regennassen Bäumen reflektierten Scheinwerferlicht glassplitterglitzerte.

»Heh, Tom, alter Bursche.«

Du meintest, ein etwas schwerfälliges, aber immerhin ein Lächeln im Gesicht deines Vaters ausmachen zu können.

»Was ein Indianer ist, der lässt sich so leicht nicht unterkriegen, was? Mann Mann Mann. Aber bei dir scheint ja soweit noch alles einigermaßen im Lot zu sein. Ne? Also, du musst jetzt ganz stark sein. Ich renn mal los und hol Hilfe, und bis die Mama wieder aufwacht, bin ich längst wieder da. Okay?«

»Nein, Papa, nicht weggehn!«, sagtest du leise und wundertest dich, dass sich aus deinem Gejaule doch wieder richtige Worte gelöst hatten. Das gab dir plötzlich wieder Kraft, und du schicktest deinem Vater noch ein verzweifeltes »Nicht weggehn!« hinterher.

»Ich bin ganz schnell wieder da«, sagte er mit bemüht sanfter Stimme. »Und du bleibst hier sitzen und rührst dich nicht vom Fleck!«

Und wie er dann die blechkreischende Tür wieder zudrückte. Von außen.

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Einstürzende Gedankengänge

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