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»Aber ich weiß von nichts!«

Es bleibt dir nichts andres übrig, als dich wieder in diesem schauerlich kargen Bürozimmer, oder muss man sagen: Behandlungszimmer auf die knüttelharte Couch zu legen.

»Das heißt«, schließt die Wernigge messerscharf und blitzgescheit, »Sie fühlen sich ganz grundlegend verunsichert? In allen Sachen, die Sie so anpacken.«

»Nein, ganz konkret.«

Verflucht und zugenäht. Versuch sich doch mal einer, in diese Lage hineinzuversetzen! Du bist an einem Fall dran, wo erst eine Mutter total grausam ihr Kind und ein paar Tage später irgendwer diese Mutter umbringt, kaum weniger grausam. Und dann darfst du feststellen, dass die Frau mit deinen, mit deinen eigenen Handschellen ... das muss man sich mal reintun!

»Ich weiß nur eins, ich hab die Frau nicht umgebracht und auch nicht gefesselt. Schon gar nicht erschlagen! Im Leben nicht! Kann ich überhaupt nicht, würde ich nie bringen.« Aber dann schiebst du doch viel kleinlauter, als du wolltest, hinterher: »Jedenfalls weiß ich nichts davon. Überhaupt nichts.«

»Haben Sie denn ein Alibi für die fragliche Zeit?«

Ein Königreich für eine wenigstens einigermaßen schlaue Therapeutin mit wenigstens einigermaßen schlauen Fragen! »Nein.«

Du weißt, wenn du ehrlich bist, ja selbst nicht mal, wo du zur Tatzeit warst.

»Wo waren Sie denn da?«

»Ich weiß nur, dass das über die Bühne gegangen sein muss ungefähr, ungefähr eine Stunde vor meinem Beratungstermin hier bei Ihnen. Aber wo ich in der Zeit war, Sie können mich totschlagen ...«

»Das hab ich nicht vor.«

Hach, wie witzig. Madame Wernigge belieben zu scherzen. Als du aber nicht mitlachst, schluckt sie ihr Giggeln runter und kommt gleich wieder zu scharfen Schlüssen. »Wir haben’s also da mit einer von diesen Zeitlücken zu tun, von denen Sie bei unserer letzten Sitzung gesprochen haben.«

»Ich weiß es nicht.« Du weißt es einfach nicht.

»Das heißt, Sie haben den Verdacht, Sie könnten selbst der Mörder sein, den Sie jagen.«

»Ich weiß es nicht, verflucht noch mal!« Soll dir mal einer verübeln, dass du jetzt endgültig aus der Haut fährst, dass du brüllst, bis an der Wand die zwei jämmerlichen Fotos von irgendeiner Eifeldatscha oder was wackeln. »Das ist doch der Wahnsinn. Die Indizien sprechen ’ne ziemlich klare Sprache, und in jedem andern Fall würden Sie sich die Finger lecken nach so einer deutlichen Spur, aber hier ... ich sag ja, das ist Terror. Wenn Sie wüssten, was im Moment für ’n Rodeo abgeht in meinem Kopf!« Und am Ende deiner Einlassung ist aus dem Löwenbrüllen längst das Maunzen eines epileptischen Katers geworden.

»Dass die Indizienlage sich auf Sie fokussiert«, die Wernigge ist die Ruhe selbst, »das macht Sie so fertig?«

»Nach dem Motto: ›teilnehmendes Verstehen‹, oder wie? Typisch Psychotante!«

»Nach dem Motto: Angriff ist die beste Verteidigung, wie?«, kommt die Retourkutsche. »Aber zurück zur Mordsache Engelsberg: Gäbe es denn irgendein Motiv?«

»Ich war natürlich entsetzt, total entsetzt. Der Tod des kleinen Jungen in diesem Kellerverschlag, das hat mich umgehauen wie selten ein Fall. Aber ist das ein Motiv für einen Mord?«

»›Umgehauen wie selten ein Fall‹, mhm«, meditiert die Guteste, »versetzen Sie sich noch mal zurück in die Situation, als Sie im Keller vor dem toten Kind standen!«

»Nein, bloß nicht. Nein!« Dir steht sofort der Schweiß auf der Stirn. Wer zum Teufel will denn ständig an so was erinnert werden?

»Könnte es sein, dass da ein kindliches Trauma bei Ihnen selbst im Untergrund rumort?«

Das reicht jetzt wieder! »Mir geht das auf den Sack hier, dieses Seelsorgergeseiche!«, brüllst du und hievst dich hoch aus der bekloppten Hilflosigkeitsposition auf dieser Knochenkur-Couch. Jetzt weißt du jedenfalls definitiv und unumstößlich, weshalb du so was nie gewollt hast, so Therapien und so ’n Bohei.

»Sie bleiben bitte liegen«, raunzt sie dich an, »unsere Sitzung ist noch nicht zu Ende. Aber Ihre Reaktion zeigt mir, dass wir da irgendwo einen wunden Punkt erwischt haben müssen. Wenn Sie da allerdings noch nicht ran können, bleiben wir erst mal ...«

»Was soll dass denn nun wieder heißen? Dass ich ›da noch nicht ran kann‹!« Du denkst überhaupt nicht dran, dich wieder hinzulegen! So nicht. Nicht mit dir.

»... bleiben wir erst mal im Hier und Jetzt. Sind Ihnen seit unserer ersten Sitzung außer den Löchern im Tagesablauf noch andere ungewöhnliche Dinge aufgefallen?«

Na gut, du legst dich wieder hin. »Seit gestern oder vorgestern außer den Kopfschmerzen auch Angstschweiß, schießt mir wie ’n Springbrunnen aus den Poren, und ich krieg das Zeug nicht gebändigt. Auf ’n Tod nicht.« Aber ist auch kein Wunder: Du siehst dich gezwungen, dich mal eben selbst unter Mordverdacht zu stellen – ist ja nun nicht ganz ohne! Und dann als Kripomensch! Da soll einem nicht der Schweiß in Strömen … Da soll man nicht meschugge … Klar, dass einem da die Gedanken vorkommen wie aufgespießt und festgenagelt von Eiszapfen, nein, warte mal, man wünscht sich gradezu, die Gedanken wären festgefroren, ein fetter Gletscher drübergezogen, und wer weiß, nach Jahrtausenden kämen sie wieder zum Vorschein. In ’ner halben Ewigkeit. Wenn’s dich längst nicht mehr gibt. Gerne gerne, jedenfalls hättest du sie dann jetzt erst mal aus den Füßen. Und trotzdem würden sie festgehalten, vom Eis.

Vorher allerdings nimmt die Wernigge dich noch ’n bisschen in die Mangel: »Und Magenkrämpfe und Essstörungen.«

»Woher wissen ... Sie?«, fragst du entgeistert.

»Psychotante eben. – Hatten Sie in letzter Zeit den Eindruck, Sie würden immer mehr von Tagträumen entführt?«

»Tags oder nachts, völlig egal. Jedenfalls oft, verdammt oft Träume, die ich hasse wie die Pest. Wie meine Tochter auf Island ... Island, so lang ich denken kann meine Traumwelt, und ausgerechnet da ... aber, aber nicht nur Island; vor allen Dingen sind’s Träume, die weit zurück in die Vergangenheit ... ich bin ein Knirps noch, und was ich da erlebe, das tut mir verflucht nicht gut.«

»Wie gesagt, da kommen wir noch zu«, bremst die Seelenwringwernigge dich aus, »erst mal: Gibt es weitere Dinge im Alltag, die Ihnen irgendwie spanisch vorkommen?«

»Na ja, nee, eigentlich – obwohl – diese Zettel.«

»Ja?«

»Okay«, du staunst nicht schlecht, dass du das alles hier so ausplauderst, »im Büro, da ist man das ja gewohnt, da fliegen immer auch mal fremde Zettel von wer weiß wem auf’m Schreibtisch rum, aber zu Hause?!«

Das ist doch nun wahrhaftig ein, wie sagt man: unglaublicher Vorgang! Auf dem eignen Schreibtisch zu Haus: Notizzettel mit ’ner Handschrift, die du überhaupt, die du überhaupt nicht ... Mitten im Stapel von Papieren, die nun wirklich deine Privatklamotten sind! Wo keiner außer dir selbst drin rumfingert! Zettel, die du nie vorher gesehn hast, auf die du dir beim besten Willen keinen Reim ... in einer Schrift, die du überhaupt nicht kennst. Überhaupt nicht.

»So, und jetzt sagen Sie mir«, sagst du, nachdem sie also auch das aus dir rausgequetscht hat, »sagen Sie mir, was ich hab, verflucht noch mal!«

»Dissoziative Identitätsstörung!«

»Wie bitte was?«

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Einstürzende Gedankengänge

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