Читать книгу Einstürzende Gedankengänge - Ulrich Land - Страница 13

9

Оглавление

Du stehst immer noch neben dir. Hast die Mahnemannsche das alles hier organisieren lassen; und so steht ihr jetzt mit dieser Hand voll Kollegen im Treppenhaus. Röntgenstraße Ecke Goethestraße. Zweite Etage. Vor der Wohnungstür von Kerstin Engelsberg – ja, Kerstin heißt sie. Oder? Die Mahnemann hat den Daumen auf der Klingel. Schellt permanentpenetrant, aber nichts tut sich. Vor der Tür nicht – ihr wartet schweigend – und dahinter auch nicht.

Bis du dir ein Herz nimmst und losbrüllst: »Frau Engelsberg! Frau En-gelsbe-erg!!«

Dann schiebst du den Daumen von der Mahnemannschen zur Seite und hämmerst selbst wie wild auf dem unschuldigen Knopf rum. Mal ätzendes Dauerschellen, mal ein kaum weniger erträglicher Rhythmus, der jeden Techno-Rave in Schwung gebracht hätte.

»Frau Engelsberg, wenn Sie jetzt nicht aufmachen, dann machen wir auf!«, brüllst du. Und noch mal Schellen und noch mal Schweigen.

Plötzlich bist du die Ruhe selbst, wie in alten Tagen, als du noch in jedem Moment genau wusstest, was zu tun war: »Rolf, walte deines Amtes!«

Der Kollege geht auf dem Treppenabsatz ein paar Schritte zurück, nimmt Anlauf und – krach, die Tür fliegt auf, wie allwöchentlich im ›Tatort‹ zu bewundern. Während sich der Rolf noch die Schulter reibt, stehst du schon in der Wohnung. Kurz die Lage peilen. Aber: Ruhe im Karton. Die Mahnemann und die drei andern rücken nach. Ihr verteilt euch in alle Himmelsrichtungen und inspiziert die Zimmer.

»Nichts«, ruft Rolf aus dem Badezimmer, »hier ist nichts. Alles in Butter.«

Und dann hörst du eine weitere Tür krachen.

»Hier ist überhaupt gar nichts in Butter«, schreit die Mahnefrau.

Du siehst zu, dass du auf den Flur kommst, aber kannst sie beim besten Willen nicht orten.

»Was wo?«

»Hinter der Küche«, schallt es zurück.

Aus sämtlichen Winkeln der Wohnung kommen die Kollegen angestürmt und gehen in der Küche in Stellung, wo die Mahnemann vor der aufgebrochenen Vorratskammer steht. Die Hände vors Gesicht gepresst. – Deshalb war sie auch nicht zu verstehn; aber als du näher trittst, verstehst du sie sehr gut!

»Scheiße.«

»Kann man wohl sagen«, nuschelt sie durch ihren verkrampften Fingerfächer.

Noch nicht lange her das hier, verdammt noch mal. Wenn du, statt dir das Psychostündchen zu gönnen, direkt losgefahren wärst, um die Frau festzunehmen, würde sie jetzt wahrscheinlich noch ... Mal ganz davon zu schweigen, wie lebendig die Frau jetzt wäre, wenn die Mahnemann dir’s nicht vermasselt hätte, sie stante pede sofort festzunehmen. Würd’ sie die Welt zwar durch schwedische Gardinen betrachten, aber putzmunter wär’ sie ... Stattdessen ... Stattdessen hockt sie da in der Vorratskammer ihrer Küche. Mit einer klaffenden Wunde am Hinterkopf. Die Hände mit Stricken gefesselt, die Füße mit Handschellen.

»Erschlagen, eingesperrt, gefesselt! Da wollte jemand ganz sicher gehn.«

»Na ja«, fährst du der Mahnemannschen übers Maul, »es handelt sich immerhin um eine Kindsmörderin.«

»Und so eine muss man dermaßen festzurren?«

»Brutalität mit Brutalität beantwortet«, sagst du möglichst lakonisch. Aufgeregtheit zeigen in deinem Beruf, das war noch nie sonderlich, wie heißt das: zielführend.

Aber die Mahnemann macht’s dir nicht leicht. »Hört sich glatt so an, Sheriff, als hätten Sie Verständnis für den Mörder!«

Und hat dich prompt völlig aus dem Konzept gebracht. Dir bleibt die Luft weg. »Ich weiß nicht«, stammelst du, mit Irrsinnspausen zwischen den Wörtern, als müsstest du nach jedem einzelnen in den abgelegensten Dunkelkammern deines Hirnkastens fahnden. »Ähm, Barbara«, flüsterst du ihr zu, »was, ich meine, was müssen wir denn jetzt als nächstes machen?«

»Die Spurensicherung herbeizitieren.«

»Klar. Die Spurensicherung.«

Und als wär nichts gewesen, gibt die Mahnemann über die Schulter weg Rolf zu verstehn, dass er mal eben bei den Kollegen anrufen soll. Und dann funkelt sie dich wieder an: »Haben Sie gesehn, Sheriff, die Handschellen da?«

»Sicher, hab ich«, sagst du und merkst, wie langsam, ganz allmählich, Gott oder wem sei’s gelobt, das Ganze wieder den Charakter einer Routineübung annimmt und wie du die Knie endlich einigermaßen vernünftig durchdrücken kannst. »Handschellen um die Füße, das haut auch nur bei so dünnen Beinen hin.«

Aber die Mahnemann meint was andres, offenbar. »Da sind genau so Kratzer drauf wie bei Ihren. Wo Sie mit den Dingern im Parkhaus die Treppe runter geflogen sind, als wir hinter diesem Zuhälter her waren.«

»Kratzer – scheint ein weit verbreitetes Leiden bei Handschellen zu sein«, versuchst du den Kopf aus der Schlinge zu ziehn.

Aber wie gesagt, so einfach geht das bei der nicht. »Wo, wo sind eigentlich Ihre? An Ihrem Hosenbund jedenfalls nicht.«

»Die Handschellen?« Du fasst dir instinktiv an die Hüfte – und, und greifst ins Leere! »Stimmt! Sack und Asche, wo sind die Handschellen? Wo sind verflucht noch mal meine Handschellen?«

- . -

Einstürzende Gedankengänge

Подняться наверх