Читать книгу Einstürzende Gedankengänge - Ulrich Land - Страница 19
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ОглавлениеDu kurvst auf die Luxemburger Straße und legst bei der Ausfahrt aus der Tankstelle einen Start hin, der sich gewaschen hat, zumal für so ’n altes Schätzchen, von Null auf Hundert in Sekundenbruchteilen. Aber auch nur, weil der Herr des alten Schätzchens sich auch nach Jahren und Jahrzehnten mal wieder maßlos drüber aufgeregt hat, dass die Vollidioten nirgendwo mehr Tanksäulen mit verbleitem Sprit stehn haben. Du kannst dich einfach nicht dran gewöhnen, dass du immer dran denken musst, extra Bleizusatz zu kaufen, und jagst, laut gegen die Windschutzscheibe fluchend, mit deiner Blechpocke der Sorte Für-850-Euro-metallic-blau-nachgespritzt über die Adenauerbrücke, rein ins Vergnügen von Möchtegern-Manhattan an der Mosel. Das Einzige, was deinen Adrenalinspiegel wieder runterholt aufs Normalmaß, ist mal wieder die richtige, die einzig richtige Musik. Bloß gut, dass du dir – ja, muss jetzt auch schon wieder fünf, sechs Jahre her sein, seit du dir diese fette Anlage in dein Gefährt gepackt hast. Das Nonplusultra, was deine Kasse hergegeben hat. Für deinen Käfer eine echte Ordensverleihung! Auch wenn er sich jetzt fast immer die Einstürzenden anhören muss. Obwohl, eigentlich müsste so Industrial-Punk für ihn doch auch die reine Freude sein, jedenfalls eine wunderbare Erinnerung daran, wie’s in seiner Kinderstube zuging. Das Gelärme, Geschlage, Gehämmer, wo sich diese metallic-blaue Bargeldstimme drauf abseilt. Aber letztlich, kann dir letztlich auch egal sein, ob dein Käfer darauf abfährt, Hauptsache ...
Plötzlich dein Handy! Beziehungsweise die Freisprechanlage. Auf die’s umgestellt ist, wie sich das gehört für’s Handy eines Bullen, wenn er dran gedacht hat, bevor die Reise losging. Und du hast dran gedacht. Bisschen was im Kopf funktioniert eben doch noch. Und dir schießt es wie jedes Mal durch den Schädel, dass du unbedingt einen von diesen jungen Schnöseln aus dem Streifendienst fragen musst, ob dir einer nicht mal einen irgendwie sinnlicheren Klingelton einstellen kann. Aber nicht wie beim Werner, dem sie da so ’n Madonna-Orgasmusgestöhne draufgepackt haben. Und weil er mindestens so dämlich ist wie du, kriegt er’s nicht mehr los und schämt sich jedes Mal in Grund und Boden, wenn er nicht drumrumkommt, einen Kollegen oder noch schlimmer: eine Kollegin mitzunehmen, und die verhexte Freisprechanlage fängt mal wieder an, sich hochzuschaukeln. Und er wird das Gefühl nicht los, dass ihn vor allem dann irgendwer ganz furchtbar dringend sprechen muss, wenn er noch wen anders mit an Bord hat. Also wie beim Werner nicht, aber bisschen was Fantasievolleres als dieses blöde »Ach du lieber Augustin« müsste doch nun wirklich drin sein. Wie wär’s mit »Du träumst mich, ich dich. Keine Angst, ich weck’ dich nicht, bevor du nicht von selbst erwachst«? Das wär doch mal ein Klingelton.
»Ja? Dollinger.«
»Röhrich. Ich warte seit zwanzig Minuten auf Sie.«
Wer oder was ist Röhrich, fragst du dich. »Wie was? Wer sind Sie, und wieso warten? Auf mich? Da weiß ich ja überhaupt nichts von.«
Au hä, da scheinst du aber voll ins Wespennest gestochen zu haben. »Hören Sie mal, das war fest vereinbart«, meckert das andere Ende der Leitung, »ich hab Ihnen extra noch einen Termin dazwischengeschoben, weil Sie’s so dringend gemacht haben, und jetzt sitzen Sie im Auto und fahren lustig durch die Gegend!«
»Aber wenn ich Ihnen doch sag, ich weiß von keinem Termin. Das muss eine Verwechslung sein. Ich kenne Sie ja überhaupt nicht. – Moment, warten Sie mal ’nen Augenblick!«
Du prügelst den zweiten Gang rein, fährst in die Haltestellenbucht vom 14er-Bus, bremst und blätterst, während der Motor sich im Leerlauf beruhigt, deinen Terminkalender durch. »Nichts«, sagst du, »in meinem Kalender, da ist nämlich überhaupt nichts ... da ist ... das ist ja, der Wahnsinn ist das! Wer hat das da reingeschrieben? Da weiß ich überhaupt nichts von.«
Das ist doch … aber haargenau: Das ist die gleiche Handschrift wie bei diesen Zetteln, bei diesen Schreibtischirrläufern. Nicht zu fassen! Genau die gleiche … wie kommt da wer dazu, deinen Papierstapeln irgendwelche Notizzettel unterzuschieben und jetzt auch noch wildfremde Termine in deinen Kalender reinzukritzeln?! Und du hast diesen aufgebrachten Hampelmann am Hals!
»Wer Ihren Terminkalender führt, geht mich nichts an«, zischt es aus dem Winzlautsprecher der Freisprechanlage, »aber ich lass mich nicht gern versetzen, da ist mir meine Zeit zu schade für.«
»Sie machen mich neugierig.« Du hast so was wie die Fassung wiedergefunden. »Wenn Sie mir vielleicht Ihre Adresse durchgeben könnten, dann …!
»Hat Ihnen doch vorgestern schon meine Praxishelferin durchgegeben. – Lindemannplatz 4.«
»Bin schon unterwegs.« Und krach, den ersten Gang und auf die Tube gedrückt, dass es nur so spritzt!
»Nein«, brummt der Lackaffe, »jetzt wird das nichts mehr, in knapp einer halben Stunde habe ich den nächsten Klienten hier. Dienstag um zehn Uhr dreißig! Okay?«
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