Читать книгу Einstürzende Gedankengänge - Ulrich Land - Страница 6
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Du siehst sie fallen. Obwohl du sie beim Fallen überhaupt nicht gesehn hast, definitiv nicht! Warst viel zu sehr mit dir selbst beschäftigt. Du siehst, wie sie strauchelt, stürzt. Runter im freien Fall. Immer weiter, immer tiefer. Ins Bodenlose. Du hasst diese Träume. Aber sie kommen hartnäckig wieder.
Ständig schleicht sich diese brutal kahle Steinwelt ins Traumbild. Schon immer das Land deiner Träume. Als Knirps schon. Du wolltest, obwohl es natürlich vollkommen utopisch war, unbedingt nach Island. Dabei – was wusstest du als Siebenjähriger schon von Island! Wahrscheinlich waren’s die Filmbilder, die verfangen hatten. Brünhilds Herkunftsland, in diesem Uralt-Nibelungenfilm, war das noch Schwarz-Weiß oder schon Farbe? Wenn, dann blutarm blassbleiche Farben. Aber für Island, jedenfalls für vier Fünftel der Insel, macht’s ja eh kaum einen Unterschied. Steine sind eben grau, die allermeisten jedenfalls, auch auf Island, abgesehn von den schwefelgelbroten Vulkanausblühungen hier und da. Und Eis und Schnee sind eben weiß. Mehr oder weniger. Wenn sich nicht schwarzer Vulkanstaub reingefressen hat.
Aber: Zurück auf Los! Wie ihr beide also tatsächlich da hochgeklettert seid. Da, wo’s keine Zerrissenheit gibt, nicht hin, nicht her, nur vorwärts. Keine andere Besessenheit. Wo der Kampf nur dem Gletscher gilt. Woher jetzt dieses Irrsinns-Krachen? – Da drüben! Nein, kein Donner, viel zu nah. Da wird ein Eisstück abgebrochen sein und abgestürzt, die Gletscherzunge runtergeschlittert. Schlittenfahrt ohne Schlitten. Aber jetzt die Eiswand hier über der Gletscherzunge, die ist nicht zu schaffen. Kaum der Aufstieg, und schon umkehren? Zurück. Nicht zu schaffen. Ihr werdet aufgeben müssen.
Oder nein, vielleicht doch nicht. Es funktioniert doch einigermaßen. Weiter.
Deine Tochter macht mal wieder eine verflucht gute Figur. Kondition und Hartnäckigkeit, ohne verbissen zu sein. Sie will einfach nur hoch da. Ganz einfach. Also. Und du? Dir gerät der Atem kurz und kürzer. Aber du machst einigermaßen gute Miene zum bösen Spiel. Bloß nichts anmerken lassen. Schon gar nicht die verfluchte Angst, die du immer wieder um die Tochter hast, mit ihren siebzehn Lenzen. Dass die einen Abgang machen könnte. Immer diese Irrsinnsangst. Da kann die noch so sicher sein! Fragt sich doch verdammt noch mal, warum du dann überhaupt mit ihr hierher ... aber die Frage lässt du nicht zu. Sowieso zu spät.
Also: weiter steigen, klettern, der Tochter hinterher. Weiter. Acht, vielleicht neun Meter, die Hälfte der Eiswand hast du. Der Schritt steht. Während Marina ein Stück weiter oben den nächsten Stand baut. Drüben, die erste Sonne wirft ihr Altgold auf die bizarren Schnee-Eishänge.
Der Felsbrocken, vorne, über euch, der aus der Eiswand ragt, wenn ihr den schafft, habt ihr erst mal wieder festen Boden untern Füßen.
Und plötzlich – schwarz!
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