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Ordo antiquus – Ordo novus: Zwei kanonikale Lebensweisen
ОглавлениеDie Vielgestaltigkeit der Kanonikerreform brachte innerhalb der Bewegung eine weitere Differenzierung hervor. Manchen Kommunitäten genügte das flexible Praeceptum der Augustinusregel als Grundlage nicht, sondern sie orientierten sich zusätzlich am Ordo monasterii. Das Praeceptum longius übernahmen z. B. die Kanoniker von Arrouaise, eine Kanonikerkongregation, die um 1190 aus einer Eremitenkolonie entstanden war und unter der Leitung des späteren Kardinals Kuno von Preneste († 1127) stand.22 In derselben Fassung übernahmen die Kanoniker von Springiersbach, ebenfalls eremitischen Ursprungs, die Augustinusregel.23 Möglicherweise erhielt auch Gerhoch von Reichersberg 1126 in Rom von Norbert von Xanten ein Exemplar des Praeceptum longius für Rottenbuch, wo die strengere Form aber abgelehnt wurde.24 Schon 1121 ließ sich Bischof Konrad von Salzburg ein Exemplar des Praeceptum longius aus Klosterrath (Rolduc) kommen, um die strengere Observanz in seiner Diözese einzuführen.25 Oft ist jedoch nicht feststellbar, welche Regelform in der jeweiligen Kommunität verwendet wurde.
Traditionell werden die Regularkanoniker des 11. und 12. Jahrhunderts je nach Regelgebrauch unterschieden in den Ordo antiquus mit dem Praeceptum oder der Regula recepta, d. h. dem Praeceptum mit vorgeschaltetem erstem Satz des Ordo monasterii (»Vor allem, geliebte Brüder, soll Gott geliebt werden, sodann der Nächste. Denn das sind die Hauptgebote, die uns gegeben sind«26), und den Ordo novus mit dem Praeceptum longius. Die ausschließliche Bestimmung der beiden Lebensweisen nach den verwendeten Regeltexten greift aber, wie jüngere Forschungen herausgearbeitet haben, zu kurz, insbesondere wenn mit »alt« und »neu« Werturteile verbunden werden.27 Dies zeigt nicht zuletzt die Auseinandersetzung um die Regelfrage in den Jahren um 1120. Abt Pontius von St-Ruf (1116–1125) und Bischof Walter von Maguelone (1104–1129) brachten in ihren Briefen gegen den Ordo novus keineswegs eine laxe Gesinnung zum Ausdruck, sondern wehrten sich dagegen, ein Gesetz übernehmen zu müssen, »das weder unsere Vorfahren noch wir je tragen konnten« (vgl. Apg 15,10). Pontius wies aus Bibel, Kirchenvätern und kanonikaler Tradition die Berechtigung des Ordo antiquus nach. Er sah sich mit seinen Kanonikern auf einer Ebene und wollte sich nicht in die Höhen der extremen Asketen versteigen. Walter von Maguelone sah seine Observanz ganz in der Tradition der Römischen Kirche und wies die bisher unbekannten Neuerungen der radikalen Reformer fast in die Nähe von Häresie und Schisma.28
Eine zeitgenössisch näherliegende Unterscheidung der Kanoniker nach Weltnähe und Weltferne bietet der Libellus de diversis ordinibus et professionibus qui sunt in aecclesia (vor 1126), indem er drei Kategorien unterscheidet: Kanoniker, die sich fern der Welt ansiedeln, wie in Prémontré und St-Josse-au-Bois, solche, die sich in der Nähe von städtischen Zentren niederlassen, wie St-Victor in Paris und St-Quentin in Beauvais, und schließlich die sog. canonici saeculares, die in den Städten wohnen und dort an Kirchen tätig sind.29 Angesichts der oft unsicheren Regelobservanz sollten deshalb bei der näheren Bestimmung eines Chorherrenstiftes im Hinblick auf Ordo antiquus und Ordo novus auch eremitischer Ursprung und Seelsorge als Kriterien berücksichtigt werden.30