Читать книгу Päpste. 100 Seiten - Ulrich Nersinger - Страница 4
ОглавлениеPäpste – noch ein Thema unserer Zeit?
Die E-Mail-Anfrage einer norddeutschen Reederei verblüffte mich. Zwei Kreuzfahrten auf dem Mittelmeer sollte ich im Spätsommer 2014 mit Vorträgen über die Päpste begleiten, und zwar nicht auf irgendeinem Schiff, sondern auf der MS Deutschland, dem »Traumschiff« des deutschen Fernsehens.
Auf Kreuzfahrten mit einem Schiff der Luxusklasse erwartet man ein entsprechendes Unterhaltungsangebot: Glamouröse Varieté-Darbietungen im Galasaal des Schiffes, die mitreißende Live-Musik einer Tanzkapelle, das ebenso virtuose wie kurzweilige Spiel eines Pianisten in der Cocktail-Bar. Dass auch Einblicke in die Reiseziele zum abwechslungsreichen Bordprogramm gehörten, leuchtete mir ein. Aber Vorträge über die Päpste?
Das schwimmende Grand Hotel – es ist mittlerweile außer Dienst gestellt – konnte bis zu 480 Gäste aufnehmen, die von einer 280 Mann und Frau starken Crew umsorgt wurden und war damit im Vergleich zu den heutigen Ozeanriesen verhältnismäßig klein. Das prachtvolle Interieur des Schiffes beeindruckte im Stil der zwanziger und dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Ein wenig fühlte ich mich in die Welt des berühmten Orient-Expresses versetzt, und es hätte mich nicht gewundert, wenn mir auf dem Gang Agatha Christies belgischer Meisterdetektiv Hercule Poirot begegnet wäre.
Für zwei Kreuzfahrten gehörte ich nun zum Kreis der Künstler und Referenten der MS Deutschland. Die beiden Reisen, die ich begleitete, standen unter den Mottos »Auf den Spuren alter Kulturen« und »Päpste, Napoleon und Dolce Vita«. Auf dem Mittelmeer waren die Päpste weit über tausend Jahre präsent gewesen, mit ihrer Handels-, Staats- und Kriegsflotte. Die Schiffe transportierten die Nachfolger Petri zu anderen Ländern, brachen zu Expeditionen auf, die zu bedeutenden wissenschaftlichen Erkenntnissen führten, und waren in Gefechte mit Korsaren- und Piratenschiffen verwickelt.
Mit einem flauen Gefühl im Magen »heuerte« ich auf dem »Traumschiff« an – und wurde positiv überrascht. Über die Zahl der Teilnehmer an meinen Vorträgen durfte ich mich nicht beklagen, über die Aufmerksamkeit der Zuhörer und ihr interessiertes Nachfragen war ich dann sogar erstaunt. Man hatte mich gewarnt, dass bei besonderen Anlässen auf dem Schiff die Vortragssäle manchmal von jetzt auf gleich leerfegt wären. Genau das hätte auch mir passieren können: Als die MS Deutschland im Hafen von Pozzuoli einlief, wurde sie nämlich von einem fulminanten Feuerwerk begrüßt. Doch ich hatte Glück, nur drei, vier Personen schlichen sich auf leisen Sohlen aus dem Saal.
Die Referenten waren gebeten worden, während der Kreuzfahrt ein Namensschild zu tragen. Denn auch wer nicht an den Vorträgen teilnahm, sollte die Gelegenheit haben, sich in einem persönlichen Gespräch über die Themen zu informieren. Davon wurde rege Gebrauch gemacht. Ich war nicht nur für die Fragen der Passagiere dankbar, sondern auch für die durch sie entstandene Ablenkung, die manchmal sehr hilfreich sein konnte. Bei Capri war es der MS Deutschland nicht möglich gewesen, im Hafen anzulegen, sie musste vor der Insel vor Anker gehen. In kleinen Tenderbooten wurden wir an Land gebracht. Das für mich ungewohnte, recht heftige Schaukeln meines Bootes vergaß und »überlebte« ich, weil ich mich mit einem Ehepaar über die Affären der Vatikanbank unterhielt – und daher nicht an ein potentielles Seemannsgrab dachte.
Ende September ging ich wieder von Bord, und zwar just in der ehemaligen päpstlichen Hafenstadt Civitavecchia, wo einst Männer wie Lord Byron, Charles Dickens oder Mark Twain erstmals den Boden päpstlichen Territoriums betreten hatten, und der Dichter Henry Beyle (Stendhal) als Konsul der Grande Nation wirkte. In der Stadt regelte bis vor 150 Jahren die Reverenda Camera Apostolica (›Ehrwürdige Apostolische Kammer‹) im Namen des Papstes die Obliegenheiten der kleinen Flotte des Kirchenstaates.
Ein Reisebus brachte die Kreuzfahrt-Teilnehmer zum römischen Flughafen Fiumicino. Wer auf der Fahrt durch die Straßen von Civitavecchia einen Blick aus dem Fenster warf, konnte an vielen der älteren Gebäude noch die Wappen der Päpste und die Insignien ihrer Macht, die Tiara mit den gekreuzten Schlüsseln Petri, erkennen. Der Aufenthalt auf der MS Deutschland hat mir erstaunlich deutlich gezeigt, dass Päpste nicht zu steinernen Zeugnissen der Vergangenheit verkommen oder auf vergilbten Seiten von Geschichtsbüchern und Romanen ihre Existenz fristen müssen. Das Interesse an ihnen, an ihrem Wirken und ihrer Lebenswelt ist vorhanden, auch in unseren Tagen – selbst auf Kreuzfahrtschiffen der Luxusklasse.