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Margherita Guarducci – der Auftritt einer Dame mit kriminalistischem Gespür
ОглавлениеDie Geschichte um die Wiederentdeckung der Grabstätte Petri ist damit jedoch keinesfalls abgeschlossen. Um es mit einem legendär gewordenen Wort aus dem Nachspann der Star-Wars-Filme zu formulieren: »Und das Abenteuer geht weiter.« Und es geht tatsächlich weiter wie in einer neuen Episode der Science-Fiction-Reihe, genauso spannend und mit überraschenden Wendungen, aber durch und durch real.
Drei Jahre nach der Bekanntgabe des Papstes betritt eine Frau die Szene: Margherita Guarducci. Der Dozentin für griechische Grabinschriften und Altertümer an der Universität Rom gelingt es, die Graffiti auf und bei der Stützmauer des Tropaion zu entziffern, von denen eines lapidar in griechischer Sprache verkündet: Petros enì (›Petrus ist hier‹). Margherita Guarduccis Instinkt sagt ihr, dass ein Rätsel diese Mauer umgibt. »Sie steckt ihre Nase tief in die Angelegenheit«, notiert der Journalist Giulio Bartoloni, der den »Petrus-Krimi« mitverfolgt. Einer Miss Marple gleich beginnt die Wissenschaftlerin nachzuforschen. Das beharrliche Schweigen, auf das sie in der Dombauhütte von St. Peter stößt, spornt sie nur noch mehr an.
So trifft Margherita Guarducci auf den Sampietrino (Arbeiter der vatikanischen Dombauhütte) Giovanni Segoni, der mit der praktischen Durchführung der Ausgrabungsarbeiten betraut gewesen war. Sie spürt, dass der Mann mehr weiß. Nach vielen quälenden, unerbittlichen Nachfragen berichtet er, dass ihm Prälat Kaas Knochenfragmente aus der Stützmauer anvertraut habe. Die Überreste wurden in einen Schuhkarton (!) transferiert und verschwanden in einer Abstellkammer in einem der äußerten Winkel der Räumlichkeiten der Dombauhütte. Guarducci ist gleichermaßen überrascht und entsetzt. Sie macht sich auf die Suche – und wird fündig.
Die beim Tropaion des Gaius beigesetzten und in eben jener Schuhschachtel aufbewahrten menschlichen Knochen werden nun von Fachleuten begutachtet. Anthropologische Untersuchungen ergeben, dass es sich um die Überreste eines Mannes im Alter von ungefähr 70 Jahren handelt, der im 1. Jahrhundert n. Chr. beigesetzt wurde. Die Erde, die an einigen Knochenfragmenten haftet, ist mit derjenigen identisch, die sich im leeren Grab unter dem Tropaion findet. Der mit Goldfäden durchwirkte Purpurstoff, in den die Gebeine eingehüllt sind, wird als ein weiterer Beleg dafür angesehen, dass man hier einen Menschen von herausragender Bedeutung beigesetzt hat. Petrus scheint gefunden zu sein.
Margherita Guarducci vermutet, dass die Übertragung der Reliquien in die Stützmauer des Tropaion aus Sicherheitsgründen geschehen sein dürfte. Papst Damasus I. (366–384) gibt in einer Schrift aus der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts an, dass die Gräber beim Vatikan der Gefahr ausgesetzt waren, vom Wasser, das den Hügel hinabfloss, beschädigt oder gar zerstört zu werden. Vielleicht wollte man die irdische Ruhestätte des Apostels aber auch nur vor der Plünderung durch frevlerische oder allzu fromme Hände schützen.
Die Wissenschaftlerin veröffentlicht ihre Untersuchungen – und erlebt einen wütenden Sturm der Entrüstung seitens der Ausgräber des Petrusgrabes. Mit der Peinlichkeit, dass einer der wichtigsten Funde der Christenheit verkannt worden und in einer Abstellkammer verschwunden war, kommen die päpstlichen Archäologen nicht zurecht. Auch nicht mit dem Umstand, dass ausgerechnet eine Frau die Reliquien wiederentdeckt hat. Sie bieten alles auf, um die Dozentin zu diskreditieren. Guarducci lässt sich nicht einschüchtern, legt eine wissenschaftliche Dokumentation nach der anderen vor und erhält schließlich Unterstützung von höchster Stelle. Paul VI. (1963–1978) steht zu der Wissenschaftlerin und ihren Erkenntnissen. 1968, zum Hochfest der Apostelfürsten Petrus und Paulus, versichert der Papst den Teilnehmern im Rahmen einer Generalaudienz: »Auf dem heutigen Stand der archäologischen und wissenschaftlichen Ergebnisse ist es Unsere Pflicht, Euch und der ganzen Kirche diese gute Nachricht mitzuteilen. Wir haben jetzt allen Grund zu glauben, dass die sterblichen Überreste des Apostelfürsten Simon, des Sohnes des Jonas, gefunden wurden.«