Читать книгу Alles für die Katz - Lippe 1358 - Ulrich Pflug - Страница 11
7.
ОглавлениеReinald warf noch einen Blick auf seine Kate, seufzte tief, ergriff die Deichsel des kleinen Handwagens und dann zogen wir los. Es ging in östlicher Richtung über die Heide auf dichte Hecken zu, durch die ein schmaler Pfad führte. Bevor wir den Pfad betraten und die Reste des Hofes endgültig aus unserem Blickfeld verschwanden, schaute sich Reinald ein letztes Mal um. Er schüttelte resignierend den Kopf, zog dann aber mit entschlossener Miene seinen Karren auf den leicht abschüssigen, vom Regen der vergangenen Nacht noch feuchten Weg.
„Ich werde euch nun ein wenig durch die Wildnis geleiten“, erklärte er. „Die Hauptstraße möchte ich nicht benutzen, da uns dort bestimmt Soldaten begegnen, die nach mir suchen. Es wird also durch die Wälder gehen, bis wir Cappel erreichen.“
„Wie bei Robin Hood“, freute ich mich. „Lady Marian, Bruder Tuck und Robin streifen durch den Sherwood Forest. Nur dass bei uns der Sheriff ein Bischof ist.“
„Ich verstehe Eure Worte wieder nicht“, sagte der Mönch bedauernd, wobei er sich mit dem Karren abmühte, der auf dem schmierigen Untergrund ins Rutschen gekommen war.
„Oooch“, meinte Silvia gedehnt, wobei sie mich fröhlich anblickte, „Ihr solltet Euch nichts bei seinem Ausspruch denken. Es ist nur die Erinnerung, die meinen Gatten befällt. Die Leute, von denen er sprach, sind Gefährten seiner Jugend.“
Das war immerhin auch eine Erklärung. Wenn man davon ausging, wie ich beim Lesen von Robin Hoods Abenteuern diese ‚miterlebt‘ und später mit Freunden nachgespielt hatte, dann war die Behauptung von den ‚Gefährten meiner Jugend’ nicht einmal gelogen.
Inzwischen waren die Hecken zurückgeblieben und hatten einem dichten Bestand junger Bäume und Büsche Platz gemacht, durch den sich unser Pfad bergab schlängelte.
„Wir erreichen gleich die Landwehr“, bemerkte Reinald. „Ich hoffe, wir können sie passieren, ohne gesehen zu werden. Außerdem müssen wir den Detmolder Weg kreuzen, aber eine andere Möglichkeit gibt es nicht – leider.“
Vor uns wurde der Baumbestand schon wieder lichter. Es war nur ein kleines Gehölz gewesen, welches die Ostflanke des Berges bedeckte. Von unserer erhöhten Position am Hang konnten wir durch die Bäume einen breiten Fahrweg erkennen, der bergauf von Norden nach Süden führte. Unter uns verlief die Straße durch eine Befestigungsanlage, die aus drei hintereinander liegenden Erdwällen bestand, welche mit dornigem Gestrüpp dicht bepflanzt waren. Im Norden, nur wenige hundert Meter von uns entfernt, schimmerten die Strohdächer eines kleinen, direkt an der Straße liegenden Gehöfts durch das grüne Laub der Bäume.
„Das ist der Detmolder Weg.“ Reinald sprach bereits mit gedämpfter Stimme, obschon es noch nicht nötig war. „Die Wälle dort, das ist die Landwehr. Sie geht in weitem Abstand ganz um Lemgo herum. An den großen Straßen werden ihre Durchgänge von Turmhöfen bewacht, auf denen auch Soldaten liegen. Dort kämen wir nicht ungesehen vorbei, doch hier könnte es glücken. Der eigentliche Wachhof dieses Durchgangs liegt vor uns, auf der anderen Seite der Straße, ein Stück ins Tal hinunter. Hier, direkt am Durchlass, halten nur des Nachts Soldaten Wache. Tagsüber ist der Pächter des Hofes dort unten an der Straße als Wächter ausreichend. Der Hof hat auch das Schankrecht. Der Pächter verdient mit dem Ausschank wahrscheinlich mehr Geld als mit dem Bestellen seiner Felder.“
Wir beobachteten eine geraume Weile den nur geringfügigen Verkehr, bevor wir uns näher an den Weg schlichen. Geschützt durch dichtes Gebüsch sahen wir, dass der Wirt der ‚Bauernschenke‘ vor seinem Haus saß und auf Kundschaft wartete. Da wir die Landwehr
auf der Straße passieren mussten, durch das dichte Dornengebüsch wurde ja ein anderes Überqueren der Wälle unmöglich gemacht, drohte uns die größte Gefahr, entdeckt zu werden, weniger durch die Leute, welche die Straße benutzten, als vielmehr durch den Wirt. Der musste uns mit Sicherheit bemerken, wenn wir aus dem Wald auf die Straße traten. Silvia schien ähnlich zu denken wie ich.
„Ich glaube, es ist besser, wenn Roger und ich vorgehen und den Wirt ablenken“, sagte sie. „Uns sucht ja niemand und der Wirt wird froh sein, dass er Gäste hat. Wenn er seine ganze Aufmerksamkeit uns widmen muss, wird er die Beobachtung der Straße vernachlässigen und Ihr, Reinald, findet eine Gelegenheit, ungesehen zu verschwinden.“
„Ein guter Einfall.“ unterstützte ich ihren Vorschlag. „Während wir den Wirt beschäftigen, schlagt Ihr Euch durch die Büsche bis dicht an den Durchgang, sodass Ihr, wenn Ihr seht, dass der Wirt abgelenkt ist, nur noch ein kurzes Stück Straße benutzen müsst, um die Wälle zu passieren. – Meint Ihr, dass Ihr das schafft?“
Auch dem Mönch schien unser Plan zu gefallen.
„Macht nur. Ich schaff‘ das schon.“ gab er zur Antwort. „Wenn ihr den Mann ablenkt ... .“
Er nickte mehrmals mit dem Kopf, bevor er fortfuhr.
„Hinter den Wällen liegt auf der östlichen Seite des Weges dichter Wald. An dessen Rand werde ich auf euch warten.“
„Also abgemacht. Achtet auf den Wirt! Bis später und – viel Glück.“
Silvia klopfte Reinald aufmunternd auf die Schulter, nahm meine Hand und zog mich auf den Pfad, auf welchem wir den Berg herunter gekommen waren. Hand in Hand schlenderten wir ihn weiter hinab auf das Gehöft zu. Schon nach wenigen Metern endete der Wald und wir traten auf eine in der Morgensonne liegende Wiese.
Der aus der Ferne so schläfrig erscheinende Wirt erwies sich als ausgesprochen wachsam. Kaum das wir aus dem schützenden Wald herausgetreten waren, hatte er bemerkt. Er erhob sich von seiner Bank, kam uns einige Schritte entgegen und blieb abwartend stehen. Der kleine, sehr breitschultrige Mann trug langes, leicht verfilztes Haar von unbestimmbarer Farbe und einen gewaltigen, bereits grau melierten Vollbart. Unter buschigen Augenbrauen blitzten aufmerksame, blaue Augen. Bekleidet war er mit einem auffallend sauberen hellen Leinenhemd, welches fast bis zu den Knien reichte. Die kräftigen Beine steckten in grünen, wollenen Beinlingen. An den Füßen trug er Holzschuhe. So, wie er da stand, erinnerte er mich an einen zu kurz geratenen Rübezahl. Während wir näher kamen, musterte er uns mit gerunzelter Stirn, sagte aber nichts.
„Gott zum Gruße.“ eröffnete Silvia freundlich das Gespräch. „Missfällt Euch etwas an uns, da Ihr uns so kritisch betrachtet?“
„Seid auch Ihr gegrüßt.“ antwortete der Mann langsam und bedächtig. „Es ist nur – hmm, recht ungewöhnlich, dass Reisende aus dieser Richtung kommen. Für gewöhnlich benutzen sie die Straße.“
Der misstrauische Knabe erwartete wohl eine Erklärung von uns, die ich ihm gerne bereit war zu geben.
„Ihr seid gewiss der Wächter der Landwehr, von dem uns Bruder Reinald berichtet hat“, sagte ich.
„So kommt ihr von dem Eremiten?“
„Ja. Wir haben den Mönch gestern auf dem Markt in Lemgo getroffen und er hat uns heute Nacht beherbergt. Da er zu seinem Bedauern nicht die Möglichkeit besaß, uns auch noch zu verpflegen – und wir ohnehin nicht dazu neigen, einem armen Eremiten die letzten Vorräte wegzufressen – , gab er uns den Rat, so wir etwas essen wollten, bei Euch vorbei zu schauen. Ihr führt, so sagte er, eine ausgezeichnete Küche.“
Rübezahls Miene hellte sich auf, soweit man das bei dem üppigen Bartwuchs erkennen konnte. Zumindest verschwanden die Falten von seiner Stirn. Schon wesentlich freundlicher bemerkte er:
„Ja, wenn es so ist ... Ihr habt ganz recht, ich bin Wächter diese Durchganges der Landwehr und gehalten, den Straßenzoll zu kassieren. Da ihr aber schon in Lemgo wart, habt ihr ja bereits an einem anderen Durchgang den Zoll entrichtet. Was nun Euren Wunsch zu speisen angeht, da seid Ihr bei mir ebenfalls richtig. Nur, habt Ihr auch...“ Er machte mit den Fingern die Geste des Geldzählens. „...das dafür nötige Silber in Eurer Geldkatze? Bruder Reinald mag euch für Gotteslohn Obdach gewährt haben, doch ich lebe vom Verkauf.“
Silvia begann zu lachen.
„Seid bedankt für Eure Sorge um unsere Finanzen“, entgegnete sie spöttisch. „Aber sehen wir wirklich so abgerissen aus, dass Ihr vermutet, wir könnten ein kleines Mahl und zwei Krüge Bier nicht bezahlen? Oder fordert Ihr so hohe Preise, dass es sich nur edle Herrschaften leisten können, bei Euch einzukehren?“
Der Wirt sah sie etwas verlegen an.
„Nichts für ungut“, brummte er. „Es war nur so eine Redensart. – Ich bin doch kein Beutelschneider.“
Er blickte mich an.
„Manchmal frage ich mich schon, was sich der Herr dachte, als er aus Adams Rippe Eva erschuf. – Nur, damit wir Männer einen Verwalter unserer Börse haben? Jedenfalls bin ich froh, dass es mir nicht allein so geht, da auch Ihr einen solchen Verwalter zu haben scheint, Junker. Doch was soll’s. – Folgt mir.“
Er geleitete uns zu dem Tisch vor seinem Haus und wir setzten uns auf die Bank, während er stehen blieb, darauf wartend, was wir bestellen würden.
„Was habt Ihr denn Gutes zu bieten, Meister?“ wollte ich wissen.
„Ihr könnt einen Eintopf bekommen. Frisch gekocht, mit Fleisch vom Hammel. Ich kann Euch aber auch Eier in Schmalz bereiten, so Euch das lieber ist. Meine Spezialität, im Ofen überbackene, belegte Brotfladen, kann ich Euch zur Zeit leider nicht bieten, da der Backofen gerade besetzt ist.“
„Ich denke, wir nehmen den Eintopf“, entschied Silvia. „Aber zuerst bringt uns einen Krug Bier.“
Der Wirt verschwand im Haus und tauchte kurz darauf mit einem Krug in der Hand wieder auf. Mit den Worten:
„Lasst‘s euch munden“, stellte er den Krug auf den Tisch und setzte sich auf die Bank an der anderen Seite des Tisches.
Den Luxus, seinen Gästen auch Becher zu servieren, leistete er sich offensichtlich nicht. Mein Weib und ich durften also zusammen aus einem Krug trinken. Nun, das störte mich weniger, doch ich hatte insgeheim gehofft, der Wirt würde die bestellte Speise eigenhändig zubereiten, sodass Reinald während seiner Abwesenheit die Chance gehabt hätte, sich davon zu machen. Schade, jetzt mussten wir einen anderen Weg finden, den Mann abzulenken.
„Ihr habt da einen schönen Bogen“, begann der Wirt das Gespräch, nachdem er abgewartet hatte, bis Silvia und ich uns von seinem Bier bedient hatten.
Ich nickte betont desinteressiert. Zum einen, weil es sich für eine
Profi so gehört, zum anderen, weil ich tatsächlich nicht ganz bei der Sache war, sondern krampfhaft nach einer Möglichkeit suchte, den Wirt von seinem Beobachtungsposten loszueisen.
„Ja, ich bin ganz zufrieden mit dem Holz“, entgegnete ich betont gleichgültig.
„Ein englischer Bogen, nicht wahr? – Ihr müsst meine Neugier verzeihen, aber auch ich bin ein Bogenschütze. Ich besitze einen Reiterbogen, mit welchem ich manchmal schieße. Wenn ich dann einen guten Tag habe“, Rübezahl lachte verschmitzt, „kann ich meinen Gästen statt Eintopf, auch mal Hasenpfeffer anbieten.“
„So seid Ihr ein wahrhaft vielseitiger Mann“, stellte Silvia lächelnd fest. „Ihr seid Bauer, Wirt, Wächter der Landwehr und überdies ein Wilddieb.“
„Na ja, die Zeiten sind schlecht“, meinte der Wirt lakonisch. „Aber was haltet Ihr von einem kleinen Wettschießen? So Ihr gewinnt, zahlt Ihr nichts für Euer Essen, verliert Ihr, zahlt Ihr doppelt.“
Er sah mich fragend an.
„Ihr wäret kein Beutelschneider, habt Ihr vorhin noch behauptet“, entgegnete ich ihm lachend, „und jetzt wollt Ihr mir ein Geschäft aufdrängen, von dem Ihr sicher seid, dass es Euren Gewinn verdoppelt. – Aber trotzdem. Es sei! Holt Euren Bogen.“
Mit einem breiten Grinsen erhob sich der Wirt und verschwand im Haus. Mir kam sein Vorschlag ganz gelegen, da bei dem Wettschießen seine Aufmerksamkeit von der Straße abgelenkt sein würde. Reinald hatte somit eine sehr gute Chance für eine unbemerkte Flucht.
Schon kam der Wirt zurück. In der Hand hielt er einen kurzen Bogen mit stark geschweiften Wurfarmen und ein paar Pfeile.
„Seid Ihr bereit?“ fragte er mich. „Dann lasst uns hinter das Haus gehen, dort habe ich eine Scheibe, auf die wir schießen können. – Ach ja, so es Euch der Mönch noch nicht berichtet hat, ich werde Fritz gerufen.“
„Nun weiß mein Gatte wenigstens, gegen wen er im Wettschießen verloren hat: Gegen Fritz den Vielseitigen von der Landwehr“, lachte Silvia. „Aber damit auch Ihr wisst, mit wem Ihr es zu tun habt, wir werden Roger und Silvia genannt.“
Während Fritz und ich uns auf den Weg zur Rückseite des Hauses machten, blieb Silvia, die irgend etwas in ihrem Beutel zu suchen
schien, zurück. Als wir um die Hausecke bogen, sah ich sie in Richtung der Wälle winken. Sie gab Reinald ein Zeichen, dass jetzt für ihn die Zeit gekommen war, über die Straße zu verschwinden.
Fritz hatte hinter dem Haus eine Zielscheibe an die Wand gelehnt, der anzusehen war, dass sie häufig benutzt wurde. So, wie die Einschläge auf der Scheibe lagen, schoss der Mann wirklich gut, denn es war wohl nicht anzunehmen, dass er sich die Mühe gemacht hatte, die Scheibenmitte mit einem Messer zu zerstechen. In Gedanken hakte ich einen Teil vom Inhalt unserer Börse ab.
„Jeder drei Pfeile. – Einverstanden, Roger?“ schlug Fritz vor, wobei er ein siegesgewisses Schmunzeln nicht unterdrücken konnte.
Ich nickte zustimmend, froh darüber, dass Silvia nicht auch noch die Geschichte vom walisischen Bogenmeister zum Besten gegeben hatte. Verlieren war ja schön und gut, aber Blamieren fand ich nicht zwingend notwendig.
„Als Gast habt Ihr die Wahl, ob Ihr beginnen wollt oder nicht.“
Im sicheren Bewusstsein seiner Überlegenheit gab Fritz sich ganz gönnerhaft und souverän.
„Wenn ich die Wahl habe, dann lasse ich Euch gern den Vortritt“, erwiderte ich so gelassen wie möglich. Im Grunde war es ja egal, ob ich verlor oder gewann, aber aufgeregt war ich dennoch.
„Wir schießen hier vom Haus aus auf die Scheibe, die ich dort an den Baum hängen werde. Das sind genau fünfzig Schritt.“
Mit der Scheibe unter dem Arm zog er los und befestigte sie an dem von ihm bezeichneten Baum. Als er zurück kam, erschien auch Silvia. Sie nickte mir zu, wobei mir nicht klar war, was sie mir damit sagen wollte. War es als Aufmunterung gedacht, oder wollte sie mir mit-teilen, dass Reinald nun auf dem Weg war? Sie lehnte sich lässig an die Hauswand und sah zu, wie Fritz seine Pfeile abschoss. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen. Zwei steckten in dem schwarzen Fleck, der den Mittelpunkt der Scheibe anzeigte, nur einer lag ganz knapp daneben.
Nun war ich dran zu zeigen, was ich konnte oder auch nicht konnte. Ich wählte drei von Hagens leichten Pfeilen aus, steckte zwei davon vor mir in die Erde und lege den dritten auf die Sehne. Dann spannte ich den Bogen, visierte und schoss. Zu meinem eigenen Erstaunen hatte ich fast die exakte Mitte der Scheibe getroffen. Mit den beiden
anderen Pfeilen ging es nicht anders. Sie saßen so dicht neben dem ersten Pfeil, das gerade eine Messerklinge dazwischen passte.
Fritz hatte schon bei meinem ersten Schuss sein Siegerlächeln verloren. Er stand da und schüttelte den Kopf.
„Man muss auch verlieren können“, stellte er achselzuckend fest.
Obschon mir der Ausgang unseres kleinen Wettkampfes recht gleichgültig gewesen war, war mir sein Ergebnis nun doch etwas suspekt. Gut, ich bin schon immer ein recht passabler Schütze ge-wesen, hatte aber noch nie einen Wettkampf bestritten, geschweige denn einen gewonnen. Konnte es sein, dass meine ‚zauberhafte‘ Begleiterin an diesem für mich überraschenden Ergebnis nicht ganz unschuldig war? – Egal, wesentlich war, dass Reinald – hoffentlich! – die Gelegenheit zur Flucht genutzt hatte.
Während ich mit Fritz unsere Pfeile aus der Scheibe zog, erschien an der Hausecke eine stämmige Blondine.
„Euer Mahl ist gerichtet!“ rief sie mit in die Hüften gestemmten Armen. „Begebt euch zu Tisch, so ihr es nicht vorzieht, euch den Wanst mit kaltem Eintopf zu füllen!“ Sprach‘s und verschwand.
Wir sammelten unsere Utensilien zusammen und begaben uns wieder zur Vorderseite des Hauses. Außer unserem Bierkrug standen jetzt auch eine Schüssel mit Brot und eine mit dampfendem Eintopf auf dem Tisch. Zwei Holzlöffel machten das Gedeck komplett. Als wir uns setzten, nahm Fritz den Bierkrug und ging ins Haus, um ihn erneut zu füllen.
„Eintopf heißt Eintopf, weil alles aus einem Topf isst, jedoch nicht, weil alles aus einem Topf ist“, dozierte Silvia und reichte mir breit grinsend einen der Löffel.
„Ich bin doch schon froh, dass wir wenigstens jeder einen Löffel haben“, murmelte ich.
Fritz kam mit zwei Bierkrügen zurück und setzte sich auf die Bank uns gegenüber. Er schob uns einen Krug zu und nahm aus dem anderen einen tiefen Zug.
„So ein Wettkampf macht Durst“, bemerkte er, sich mit einer Hand den Schaum vom Mund wischend.
„Mundet es euch?“ wollte er wissen. „Nehmt auch von dem Brot, mein Weib hat es gerade frisch aus dem Ofen geholt.“
Da wir beide den Mund voll hatten, konnten wir nur zustimmend
nicken.
„Sagt, Roger“, der Wirt beugte sich vertraulich über den Tisch, „wo habt Ihr ... .“
„Seid gegrüßt, alter Wilddieb! Verhökert Ihr wieder für teures Geld Euren billig erworbenen Hasenpfeffer?“ wurde er von einer rauen Stimme unterbrochen.
Von allen unbemerkt, waren drei Soldaten herangekommen, die jetzt an den Tisch traten.
„Bringt uns drei Krüge Bier - aber schnell!“ befahl der Wortführer, bevor sich die kleine Schar neben Fritz auf der Bank niederließ.
„Gemach, gemach.“ Fritz erhob sich betont langsam. „Ich bin nicht einer Eurer Rekruten, Bertolf.“
Der so Zurechtgewiesene nahm seinen Helm ab, legte ihn auf den Tisch und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
„Wenn ich einen guten Rat benötige, werd‘ ich‘s Euch wissen lassen. Jetzt habe ich Bier bestellt.“ erwiderte er barsch. „Und nun packt Euch, wir sind in Eile.“
Kopfschüttelnd ging Fritz ins Haus, um die gewünschten Getränke zu holen. Der ruppige Soldat schaute Silvia und mir einen Moment beim Essen zu, bevor er auch uns in seinem Kasernenhofton anraunzte:
„Heda! Wer seid ihr? Was wollt ihr hier?“
Silvia hob den Kopf.
„Meint Ihr uns?“
„Wen sonst? Seht Ihr hier noch jemanden?“
Silvia legte ihren Löffel beiseite, schob mir mit einer Handbewegung die Schüssel mit dem restlichen Eintopf zu und lehnte sich lässig zurück.
„Was wir hier wollen?“ wiederholte sie. „Bis eben gedachten wir hier nur in Ruhe unser Mahl genießen, doch dann seid Ihr erschienen. Was den ersten Teil Eurer Frage angeht, wer wir sind, nun, das was Ihr seht: – Ein Mann und eine Frau.“
Bertolf, wie Fritz ihn genannt hatte, sah sie ob dieser Patzigkeit sekundenlang verblüfft an, während seine Begleiter die Köpfe zusammensteckten und grinsend miteinander tuschelten. Nachdem er sich von seinem gelinden Schock erholt hatte, schnauzte er:
„Ihr seid nicht gefragt, Weib! Los, Kerl, wer seid ihr und was wollt
ihr hier?“
Ich spülte den letzten Bissen Eintopf mit einem Schluck Bier her-unter, bevor ich ihm, wesentlich moderater als mein Weib, antwortete.
„Ein Bogenschütze und sein Weib. Ich bin auf der Suche nach einer neuen Anstellung. – Hat man in Eurer Truppe vielleicht Verwendung für mich?“
„Verwendung für einen Söldner?“ knurrte der Soldat verächtlich. „Und als Dreingabe ein Weib mit einem losen Maul? – Der Himmel möge es verhüten!“
„Das hast du jetzt davon!“ hörte ich Silvias empörte Stimme in meinem Kopf. „Warum kuschst du auch vor diesem großmäuligen Knecht.“
Mittlerweile war Fritz mit drei Bierkrügen wieder aufgetaucht, die er unter die Soldaten verteilte. Er hatte unsere letzten Worte mitbekommen.
„Ihr solltet es Euch gut überlegen, Bertolf, ehe Ihr sein Angebot ablehnt“, lachte er. „Er hat mich eben beim Wettschießen besiegt. Die Niederlage hat mich ein Essen und zwei Krüge Bier gekostet.“
Bertolf schaute ihn an, leerte aber zunächst den ihm angebotenen, etwa eineinhalb Liter fassenden Krug wohl bis zur Hälfte, ehe er sich entschloss zu antworten.
„Das macht Euch auch nicht ärmer. – Aber es freut mich, dass Ihr Euren Meister gefunden habt, Fritz.“
Er kniff die Augen zusammen und fixierte mich mit einem Blick, der so etwas wie Hochachtung beinhaltete.
„Selbst wenn Ihr mit Eurem Bogen ebenso trefflich umgeht wie Euer Weib mit der Zunge, der Rat der Stadt wird wohl Eurer Dienste nicht bedürfen“, erklärte er mir dann in völlig verändertem Ton. „Das sollte Euch aber nicht bekümmern. Die Pfeffersäcke zahlen ohnehin nur einen mageren Sold, kann ich Euch versichern. Ich an Eurer Stelle würde es bei dem Sternberger versuchen. Der hat Bedarf an guten Männern und zahlt überdies einen anständigen Sold, wie ich hörte.“
Mit einem weiteren langen Zug leerte Bertolf seinen Krug, griff nach seinem Helm und erhob sich schwerfällig.
„Die Rast ist beendet, Männer! Wir müssen weiter!“
„Warum die Eile?“
Die Neugier in Fritz‘ Stimme war nicht zu überhören, doch Bertolf
machte keinerlei Anstalten, sie zu befriedigen. Ich hatte allerdings noch eine Frage an den alten Haudegen, die ich meiner Rolle als stellungsloser Söldner unbedingt schuldig war.
„Ich danke Euch für Euren Rat, Bertolf. Nur müsstet Ihr mir noch mitteilen, wer der Sternberger ist, und vor allem, wo ich ihn finde.“
„Dazu ist jetzt nicht die Zeit! Wir haben einen Auftrag zu erfüllen. Fritz kann Euch den Weg zum Sternberg beschreiben.“
„Muss ja ein ungeheuer wichtiger Auftrag sein, da Ihr Euch nicht einmal die Zeit nehmt, in Ruhe Euer Bier zu trinken“, stichelte Fritz, der immer noch auf eine Antwort auf seine Frage hoffte.
„Nur, damit Ihr mir nicht vor Neugier sterbt: Wir sollen den Mönch vom Berg festnehmen. – Habt Ihr ihn vielleicht heute schon gesehen?“ Bertolfs Stimme hatte wieder den gewohnten Kasernenhofton angenommen.
„Reinald festnehmen?“ staunte Fritz ungläubig. „Was wollt Ihr denn von dem armen Kerl?“
„Das ist nicht Eure Sache!“ schnauzte Bertolf. „Beantwortet lieber meine Frage.“
„Nun, gesehen habe ich ihn heute noch nicht“, entgegnete Fritz, „aber die beiden,“ er zeigte auf Silvia und mich, „haben die vergangene Nacht unter seinem Dach verbracht.“
„So werden wir ihn in seiner Klause antreffen?“ Bertolf blickte uns fragend an.
„Gut möglich“, erwiderte ich gleichgültig.
„Sprach er nicht davon, dass er an einen Ort namens Ufflon wollte?“
Silvia zeigte sich ausgesprochen hilfsbereit. Ufflon war der alte Name von Bad Salzuflen – und lag ziemlich genau entgegen der Rich-tung, in die wir mit Reinald fliehen wollten. Eine gute Idee meines Weibes, die Schergen in die falsche Richtung zu schicken.
„Stimmt.“ bestätigte ich nach einer kleinen Bedenkzeit. „Davon sprach er.“
„So wollen wir keine Zeit verlieren! - Gehabt Euch wohl – und viel Glück auf Sternberg.“
Bertolf und seine beiden Soldaten brachen hastig auf. Sie liefen über die Wiese zum Pfad nach Biest und waren bald darauf im Wald verschwunden.
Fritz sah ihnen kopfschüttelnd nach.
„Was mag der arme Hund verbrochen haben?“
„Ich will’s nicht wissen“, meinte Silvia, stand auf und warf sich ihre Tasche über die Schulter. „Ich will fort von hier. Ich will weder mit den Bütteln, noch mit den dunklen Machenschaften eines Mönches etwas zu schaffen haben.“
„Bruder Reinald und dunkle Machenschaften. – Völliger Unsinn!“ sagte Fritz bestimmt. „Ich bin gewiss kein Freund der Pfaffen, aber Bruder Reinald – nun, das ist etwas anderes.“
„Das mag wohl richtig sein, denn auch mein Weib und ich können ihm nichts Schlechtes nachsagen“, stimmte ich ihm zu. „Ihr dürft uns nicht missverstehen. Was immer man dem Mönch vorwirft, wir wollen nicht mit in die Sache hineingezogen werden. Für Fremde empfiehlt es sich stets, den Kontakt zu den Schergen der Herrschaft zu vermeiden. Wenn Ihr uns, bevor wir aufbrechen, erklären könntet, wie wir von hier zum Sternberg gelangen....“
„Den Weg zum Sternberg wollt Ihr wissen.... - Nun, die Burg des Grafen liegt nordöstlich von hier. Der kürzeste und beste Weg wäre der über Brake und die Hamelner Straße. Allerdings müsstet Ihr dann in Riepe die Landwehr passieren, wo Ihr am Turmhof wieder Soldaten begegnen würdet.“
Er blinzelte mir verschwörerisch zu.
„Wenn Ihr den Bütteln aus dem Wege gehen wollt, so hab ich einen Rat für Euch. Ihr geht eine Strecke in Richtung Detmold, wo ihr einige hundert Schritt, nachdem ihr die Landwehr passiert habt, einen Pfad finden werdet, der durch die Wälder nach Osten führt. Ihm folgt ihr, bis Ihr auf den Hof zu Donop oder den Blomberger Weg trefft. Von dort führt Euch ein Weg nach Farmbeck, wo Ihr die Bega überqueren müsst, und dann direkt zur Burg.“
„Seid bedankt für Eure Hilfe. Könnt Ihr uns auch sagen, wie weit die Burg entfernt ist?“
Fritz sah kurz nach dem Stand der Sonne.
„So Ihr Euch jetzt aufmacht, dürftet Ihr gegen Abend Euer Ziel erreicht haben.“
„Dann sollten wir aufbrechen“, sagte Silvia und griff nach ihrer Tasche. „Lieber im Stall einer Burg übernachten als irgendwo im Wald.“
„Wir danken Euch für Speis und Trank. Es hat wirklich ausgezeichnet gemundet“, sagte ich zu dem Wirt.
„Ja, der Eintopf war köstlich“, ergänzte Silvia. „Und vor allem so preiswert. - Wir werden Euch weiter empfehlen.“
Fritz lachte.
„Hättet Ihr das auch gesagt, wenn Euer Gatte verloren hätte? – Doch ich danke Euch für Euer Lob. Ich werd‘s der Köchin bestellen. Ich wünsch‘ Euch eine gute Reise und viel Glück beim Sternberger.“
Wir traten auf die staubige Straße, die in Windungen leicht ansteigend zu den Wällen der Landwehr führte. Da dieser Weg im Grunde lediglich aus festgefahrenem Lehm bestand, ist Straße vielleicht nicht die richtige Bezeichnung, dennoch war dieser Feldweg eine der Hauptverbindungen in Richtung Süden. Bevor wir die Wälle durchschritten, sahen wir uns noch einmal zu Fritz um, der bereits wieder auf seiner Bank saß und uns nachwinkte.
Auf der anderen Seite der Wallanlage wurde das Gelände sehr flach. Der Weg verlief nun geradeaus nach Süden. Links von uns begann in einigem Abstand zur Straße der von Reinald erwähnte Wald.