Читать книгу Alles für die Katz - Lippe 1358 - Ulrich Pflug - Страница 9
5.
ОглавлениеStill hockten wir da, sahen in die Landschaft und hingen unseren Gedanken nach. Ich lehnte mich bequem zurück und genoss die würzige, laue Luft dieses Frühlingstages.
Mitten in der Heide stand einsam die Feme-Linde im Licht der schon tiefer stehenden Sonne. Die Linde war der einzige Baum hier oben auf der Kuppe des Berges. Erst an dessen Hängen wuchsen dichte Hecken aus Weißdorn, Haselsträuchern und Schlehen. Zudem war es faszinierend ruhig. Die Stille wurde nur vom Zwitschern der Vögel unterbrochen. Die laute Hektik des einundzwanzigsten Jahrhunderts war weit fort und ich vermisste sie nicht. Ich musste mir im Gegenteil eingestehen, dass ich mich langsam an meine ‚neue‘ Zeit gewöhnte und nicht nur das - sie gefiel mir sogar recht gut.
Apropos gefallen: – Das bezog sich natürlich auch auf meine geheimnisvolle Begleiterin, von der ich keine Ahnung hatte, was sie denn eigentlich war. Katze? Frau? Hexe? War sie überhaupt real?
Ich drehte den Kopf zur Seite, um zu sehen, was sie tat.
Silvia saß mit geschlossenen Augen, den Rücken an die Hauswand gelehnt neben mir und schien zu schlafen. Eine leichte Brise spielte mit ihren Haaren und ließ die dunklen Locken wie einen dünnen Schleier vor ihr Gesicht wehen. Bei all den Merkwürdigkeiten, welche ich in den letzten Stunden mit ihr erlebt hatte, wirkte sie aber keineswegs beunruhigend, sondern seltsam vertraut. Je länger ich sie anschaute, desto stärker wurde das Gefühl, sie schon länger zu kennen. Waren wirklich erst ein paar Stunden vergangen seit unserer Begegnung? War ich nicht drauf und dran, vollkommen den Verstand zu verlieren, indem ich eine völlig irreale Zeitreise als Realität zu begreifen begann? Ich glaube, meine arg strapazierten grauen Zellen waren wirklich nahe dabei, an sich selbst zu verzweifeln, als ich plötzlich Silvias tastenden Finger fühlte, die nach meiner Hand suchten, sie zärtlich streichelten und dann fest umschlossen.
Ein tiefes Seufzen von Reinald ließ mich zu dem Mönch schauen. Er saß mit über dem Bauch gefalteten Händen neben Silvia und starrte leeren Blicks vor sich hin. Die Erinnerung, die er durch seinen Bericht wachgerufen hatte, schien ihn zu beschäftigen. Oder war es vielmehr
die Begegnung mit den Abgesandten des Bischofs, die ihn beunruhigte?
„Sagt mal, Reinald, wovon haben die Leute dieses Dorfes eigentlich gelebt? Felder scheint es hier nur wenige gegeben zu haben“, unterbrach ich das Schweigen.
„Was möchtet Ihr wissen, Roger? – Entschuldigt, ich war in Gedanken.“
Ich wiederholte meine Frage.
„Nun, die Bewohner dieses Hofes waren zumeist Köhler“, erklärte der Mönch. „Vor einigen Jahren wurde der Ort aufgegeben. Die Bewohner zogen in die Stadt und in deren Norden, wo heute die Kohle hergestellt wird. Hier weiden jetzt nur noch Schafe.“
Reinald erhob sich.
„Ich hole mal einen Krug Bier. Ihr habt doch sicher auch Durst“, sagte er, bevor er im Haus verschwand.
Silvia, die immer noch meine Hand hielt, begann sich zu räkeln.
„Eine sehr gute Idee von dem frommen Mann“, bemerkte sie mit geschlossenen Augen.
„Schon interessant, dass du wach wirst, wenn nur das Wort Bier fällt“, lästerte ich.
Meine hübsche Begleiterin öffnete die Lider, blinzelte und sah mich strafend an.
„Ihr führt eine scharfe Zunge, Junker. Ihr dürft Euer Weib getrost etwas freundlicher behandeln.“
In diesem Moment erschien Reinald mit dem versprochenen Bier. Er schenkte uns ein, setzte sich und verfiel wieder in Schweigen.
„Was macht Euch so trübsinnig, Reinald? Sind es die Erinnerungen oder die Gesandten des Bischofs?“ fragte Silvia.
„Beides. - Hauptsächlich jedoch die Gesandtschaft.“ entgegnete Reinald bedächtig. „Ich fürchte, mit meiner Ruhe ist es bald vorbei. Ich habe das ungute Gefühl, dass die Jagd auf mich eröffnet ist. Balduin hat ja bereits einen Zeugen beseitigen lassen. Ich nehme an, dass ich der nächste sein werde.“
„Wenn das wirklich so sein sollte, werden wir Euch helfen, nicht wahr, Roger?“
Silvia drückte auffordernd meine Hand und ich nickte zustimmend.
„Könntet Ihr nicht nach Corvey zurückkehren, Reinald?“ wollte ich
wissen. „Euer Abt wird Euch doch wohl glauben, dass Ihr nicht gewusst habt, dass Corvey um sein Lehen gebracht werden sollte, als Ihr für Balduin die Urkunden angefertigt habt.“
Der Mönch verzog das Gesicht zu einem ironischen Lächeln.
„Ihr meint, ich solle als reuiger Sünder nach Corvey zurückkehren, meinen Abt um Vergebung bitten und – so er sie mir gewährt – meine Tätigkeit als Schreiber fortsetzen, als sei nichts gewesen? Nein, ich glaube, das wird nicht möglich sein, denn die friedliche Ruhe eines Klosters gibt es für mich nicht mehr. Meines Lebens sicher werde ich selbst in Corveys Mauern nicht leben können. Der Arm des Bischofs reicht weit und selbst Päpste sollen schon unter recht mysteriösen Umständen gestorben sein. Was kümmert da ein kleiner Mönch? – Nein, mir reicht das Ränkespiel innerhalb der Kirche. Der Grund, warum ich einst ins Kloster ging ...“
Er machte eine Pause.
„Nun, das tut nichts zur Sache. Was ich aufrichtig bedaure, ist, dass ich meine Klause aufgeben muss.“
„Und wohin wollt Ihr gehen?“
In Silvias Stimme schwang Mitleid.
Zur Antwort zuckte Reinald hilflos mit den Achseln.
Der Mann tat mir Leid. Die Dinge, die er im Auftrage der Kirche getan hatte, waren sicher nicht legal gewesen, aber er hatte zumindest im guten Glauben gehandelt. Ich konnte lebhaft nachempfinden, wie er sich fühlte. Im Bewusstsein, richtig zu handeln, feststellen zu müssen, dass man lediglich übelst ausgenutzt wurde... Eine verdammt herbe Erkenntnis.
Der Mönch erhob sich so schwerfällig, als ruhe die ganze Last der Welt auf seinen Schultern.
„Ich bereite jetzt unsere Vesper. Beim Kochen kommen mir manchmal ganz gute Einfälle.“
Als er im Haus verschwunden war, fragte ich Silvia:
„Sieht es für den armen Kerl wirklich so schlimm aus, wie er es darstellt?“
„Ich weiß es nicht, aber für wahrscheinlich halte ich es schon.“
„Und wie gedenkst du ihm zu helfen? Willst du ihm das einundzwanzigste Jahrhundert versetzen? Wäre doch eine Möglichkeit. Da fehlt ja jetzt sowieso einer.“
„Das kann ich nicht machen.“ feixte Silvia. „ Der arme Hund müsste ja glauben, er sei von lauter Teufelswerk umgeben, und würde den Kulturschock wohl nicht überleben.“
„Na gut, dann werde ich jetzt meinen Bogen ausprobieren, statt ihn immer nur durch die Gegend zu schleppen. Wenn wir Reinald helfen wollen, brauche ich das Ding ja vielleicht. Dann sollte ich wenigstens halbwegs so damit umgehen können, wie man das von einem Bogenmeister erwarten darf.“
„Oh ja, und ich bin dein erster Lehrling. Dann kannst du auch gleich deine Fähigkeiten als Lehrer unter Beweis stellen.“
Ihre Begeisterung reizte mich zum Lachen.
„Alles auf einmal? Ist das nicht ein wenig viel verlangt?“
Statt mir zu antworten, lächelte sie, ergriff den Köcher und stand auf.
„Komm!“ sagte sie. „Zeig was du kannst.“
Ich nahm den Bogen und ging zum Anbau der Kate, wo ich ein altes Brett gesehen hatte. Es war etwas morsch, aber damit die ideale Zielscheibe. Da ich schon einmal mit einem Bogen geschossen hatte, wusste ich, wie mühselig es war, Jagdspitzen aus festem Holz auszugraben.
Silvia war bereits ein Stück in die Heide hinausgegangen und sah sich nach mir um.
„Wo bleibst du denn? Wir können doch die Linde als Ziel nehmen.“
Auf sie zugehend schwenkte ich das Brett.
„Können wir nicht. Wir nehmen das hier. Ist besser so.“
Ich erklärte ihr das Warum und Weshalb.
„Siehst du, das war schon mal ein Anfang als Lehrer.“ Ihre dunklen Augen blitzten. „Ich baue das Ziel am Baum auf.“
Sie lief zu der etwa dreißig Meter entfernten Linde, lehnte das Brett schräg gegen den Stamm, schaute sich zu mir um und rief:
„Gut so?“
Ich nickte zustimmend und spannte den Bogen, was sich als gar nicht einfach erwies. Das Ding musste ein ganz hübsches Zuggewicht haben. Es war wohl gut gewesen, früher schon einmal den Umgang mit Pfeil und Bogen geübt zu haben. Mein alter Recurve-Bogen war allerdings wesentlich leichter und kleiner gewesen als dieses fast zwei Meter lange Monstrum.
Silvia kam zurückgelaufen und stellte sich neben mich.
„Klappt‘s?“ fragte sie.
„Das werden wir gleich sehen.“
Ich legte einen Pfeil auf die Sehne, zog sie aus – und ließ sie, ohne den Pfeil abzuschießen, langsam in die Ausgangsposition zurück-gleiten.
„Klappt nicht?“ Silvia sah mich mit ihren großen, dunklen Augen fragend an.
„Im Prinzip schon. Mir ist nur eingefallen, dass ich vorher einen Armschutz anlegen sollte. Wenn mir die Sehne gegen das Handgelenk schlägt, bleibt‘s bei einem Schuss. – Hast du vielleicht das Ding bei meiner Ausrüstung vergessen?“
„Verzeiht mir, Gebieter.“ In komischer Zerknirschtheit zog sie den Kopf zwischen die Schultern und blickte mich von unten herauf an. „Ich vergaß. Geduldet Euch nur eine Sekunde.“
Sie rannte zum Haus, kramte in ihrer Tasche und kam einen Armschutz schwenkend zurückgelaufen.
„Lasst mich Euch die Schiene anlegen. Eure körperliche Unversehrtheit ist mir wert und teuer.“
Mit einem ironischen Lächeln befestigte sie das Leder an meinem linken Unterarm.
Ihr dabei zusehend sagte ich:
„Das sollte auch so sein. Ich versprech’ dir, sollte mir hier etwas Übles widerfahren und ich obendrein das Glück haben, es zu überleben, kannst du drauf wetten, dass ich ‚Silvias Mittelalter Tours’ gnadenlos vor den Kadi zerren werde.“
„Dann muss ich wohl besser auf dich achten. – So, sitzt.“
Sie betrachtete wohlgefällig ihr Werk.
„In Ordnung? Nicht zu fest?“
„Perfekt“, erklärte ich, spannte den Bogen und probierte den ersten Schuss. Er durchschlug auf Anhieb das schmale Brett.
„Treffer“, kommentierte Silvia lapidar. „Los, gleich noch mal.“
Auch die nächsten Pfeile fanden ihr Ziel. Ein wenig konnte ich wohl doch noch.
„Lass es mich doch einmal versuchen“, bat Silvia.
Ich löste die Schiene und band sie ihr um den linken Arm.
„Das Schwerste dürfte für dich das Ausziehen der Sehne sein“, bemerkte ich, ihr den Bogen reichend
Sie sah mich mitleidig an, nahm ihre Stellung ein und zog betont langsam die Sehne aus. Eine Übung, die einiges an Kraft erfordert. Sekundenlang verharrte sie ruhig in dieser Haltung, dann ließ sie den Pfeil fliegen. Mit einem dumpfen ‚Pock‘ bohrte er sich in das Brett.
„Treffer! – Ich hab auch getroffen!“ jubelte sie.
„Wie weiland die selige Diana“, grinste ich.
Silvia schoss noch weitere Pfeile ab, die alle ihr Ziel erreichten. Schließlich beendete einer der schweren Kriegspfeile unser Training, indem er das morsche Brett in mehrere Teile zerlegte.
„Das war‘s dann wohl für heute“, stellte ich fest.
Wir gingen zur Linde, sammelten die Pfeile ein und verstauten sie im Köcher. Gerade, als wir zurück zum Haus spazierten, trat Reinald vor die Tür.
„Habt ihr eure Übungen beendet? – Das trifft sich gut. Ich wollte euch eben zum Essen rufen. Nehmt schon einmal Platz.“
Gehorsam setzten wir uns an den Tisch und schauten zu, wie Reinald auftrug.
„Viel ist‘s nicht mehr, was ich euch zu bieten habe. Meine Vorräte haben nur noch für Eierpfannkuchen gereicht“, sagte er bedauernd.
„Ihr müsst Euch wirklich nicht für Eure Gastfreundschaft entschuldigen“, entgegnete ich. „Wir hätten auch daran denken können, Vorräte einzukaufen, als wir heute auf dem Markt waren. Aber da wir gut und reichlich zu Mittag gegessen haben, werden wir diesen Abend wohl nicht gleich Hungers sterben.“
„Wir können ja morgen versuchen, ob wir nicht nur Bretter treffen“, meinte Silvia. „Es wäre immerhin möglich, dass uns das Jagdglück hold ist. Ein, zwei, drei Rebhühner, ein Kaninchen – das wär‘ doch was.“
„Ja, Wilderei.“ bemerkte Reinald trocken. „Der Lehnsherr wird‘s nicht gerne sehen, wenn ihr ihm das Niederwild dezimiert.“
Er grinste.
„Pfannkuchen zu vertilgen aber wird von niemandem geahndet. Also langt zu.“
Zu den Pfannkuchen gab‘s getrocknete Apfelringe und Bier. Wir bewiesen guten Appetit. Die Dämmerung setzte schon ein, als ich den letzten Bissen mit einem großen Schluck Bier hinunterspülte.
„Ist Euch beim Kochen ein Gedanke gekommen, was Ihr nun unternehmen wollt?“ fragte Silvia, sich den Mund mit einem Tuch abwischend.
Reinald hob resignierend die Hände, ließ sie klatschend auf den Tisch fallen und schüttelte traurig den Kopf.
„Nein. – Ich fühle mich wie gelähmt, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen.“
Silvia beugte sich über den Tisch und ergriff seine Hände.
„Dann sollten wir abwarten, was uns der morgige Tag bringt. Ihr werdet sehen, wenn Ihr darüber geschlafen habt, sieht Euer Problem ganz anders aus.“
Der Mönch sah sie eine Weile schweigend an, holte tief Luft und sagte:
„Wahrscheinlich habt Ihr recht. Warten wir ab, was geschieht. Möglich, dass ich mich irre und die Boten des Bischofs gehen mich gar nichts an.“
Inzwischen hatte sich der Himmel bezogen, es war merklich kühl geworden und ein feiner Nieselregen fiel herab. Ich blickte nach oben. Aus Westen schoben sich dichte, schwarze Wolken heran. In Kürze würde der Regen erheblich heftiger werden. Es wurde Zeit zu fragen, wo wir übernachten konnten.
„Sagt an, Reinald, könnt Ihr uns ein Dach für die Nacht gewähren? Der Regen wird stärker und ich hoffe, dass Ihr uns bei diesem Wetter kein Obdach verweigert.“
„So wahr mir Gott helfe! – Sicher könnt ihr im Trocknen übernachten, Roger. Hier vorn im Anbau lagern Heu und Stroh, da könnt ihr es Euch gemütlich machen.“
Er stand auf und öffnete die obere Hälfte der zweiteiligen Tür des Anbaus.
„Seht selbst.“
Wir schauten durch einen dunklen Raum, dessen hinterer Teil Stroh und Heu beherbergte. Die Wärme des Tages hing noch in dem Gebäude. Es war trocken und duftete angenehm. Richtig anheimelnd.
„Felle habe ich leider keine, die ich Euch anbieten könnte. Ihr müsst also mit dem Vorlieb nehmen, was vorhanden ist. Heu und Stroh.“
„Wie Ihr Euch vorstellen könnt, haben wir schon schlechter übernachtet. Ich werde unser Lager bereiten, Roger kann Euch beim
Abräumen des Tisches helfen.“
Mit diesen Worten öffnete Silvia auch die untere Hälfte der Tür und betrat unser ‚Schlafzimmer‘.
Ich reichte Reinald das Geschirr durch ein geöffnetes Fenster. Er wünschte mir eine gute Nacht, ich nahm unser Gepäck und ging in den Anbau. Drinnen stellte ich das Gepäck neben der Tür ab und schloss ihren unteren Teil. Den oberen ließ ich geöffnet, um die frische Frühlingsluft nicht auszusperren. Hinter mir im Stroh raschelte es und ich hörte Silvia sagen:
„Was zögert Ihr, mein Gatte? Tretet getrost näher, Euer Lager ist gerichtet.“
Nur langsam gewöhnten sich meine Augen an die Dunkelheit. Silvia, von der ich wegen des schummrigen Lichtes nur schemenhaft den Kopf erkennen konnte, hatte uns aus Stroh und Heu eine gemütliche Schlafgelegenheit gebaut. Sie streckte einen Arm unter dem Heu hervor, mit dem sie sich zugedeckt hatte, und klopfte auf den Platz neben sich.
„Hier könnt Ihr Eure müden Glieder ausruhen.“
Ohne zu zögern, warf ich mich neben sie in das Stroh und sie bedeckte mich mit einer großen Ladung Heu. Moderne Betten haben sicherlich etwas für sich, aber ein Bett im Heu bestimmt auch. Allein der Duft schlägt den jedes Weichspülers. Dazu noch der Geruch nach Frühling und feuchter Erde, der durch die Tür herein kam – es war einfach großartig!
„Und? Wie gefällt dir dein Abenteuer?“ flüsterte Silvia.
„Ausgesprochen gut. Ich fürchte, ich könnte mich daran gewöhnen. – Wie ist das eigentlich, bleiben wir noch eine Zeit lang?“
„Das liegt ganz bei dir. Wenn du möchtest, ja, wenn nicht, dann nicht. – Ach ja, trifft das, was du eben über das Gewöhnen gesagt hast, auch auf mich zu?“
„Sicher! Du bist der Dreh- und Angelpunkt. Ohne dich wäre es doch gar nicht möglich, dies zu erleben.“
„Eine sehr sachliche Aussage. Deine Reiseleitung ist begeistert, die Frau in mir weniger. Geht’s vielleicht auch ein wenig emotionaler?“
„Also gut. Ich fühle mich in deiner Nähe einfach wohl und das, was ich mit dir erlebe, ist im wahrsten Sinne des Wortes unheimlich schön. Dass ich mich erst an dich gewöhnen müsste, kann ich nicht behaupten. Ich habe vielmehr das Gefühl, dich schon seit einer Ewigkeit zu kennen.“
Aus dem Dunkeln erklang ein leises Lachen.
„Vielleicht stimmt das ja sogar. – Dennoch, irgendwie glaube ich ein unausgesprochenes ‚aber’ zu hören ...“
„Na ja, die Tatsache, dass du meine Gedanken ... Es erstaunt mich fast, dass dir das entgangen ist und du fragen musst.“
„Daher weht der Wind! – Keine Sorge, ich kontrolliere nicht ständig, was du denkst. Zugegeben, ich habe die Möglichkeit der Telepathie genutzt, um mit dir Kontakt aufzunehmen. Aber ich könnte mich nie in deine Gedanken einschleichen, ohne dass du es bemerken würdest. – Beruhigt dich das ein wenig?“
„Sehr!“ erwiderte ich erleichtert. „Kannst du die Gedanken von allen Menschen lesen? Zum Beispiel Reinalds?“
„Nein. Das ist so ähnlich wie bei einem Sender und einem Empfänger. Die Wellenlänge muss stimmen, sonst klappt’s nicht. - Sag mal, darf ich mich bei dir ankuscheln?“
Bevor ich antworten konnte, hörte ich das Stroh rascheln und fühlte, dass sie dichter neben mich rutschte.
„Du darfst mich übrigens gerne in den Arm nehmen. - Oder hast du etwa Angst vor mir?“
„Ein wenig schon“, gab ich in einem Anflug von Ehrlichkeit zu, schob aber dennoch den rechten Arm unter ihren Nacken und zog sie dichter an mich.
Sie befreite sich aus meiner Umarmung, richtete den Oberkörper auf und beugte sich über mich. Sehen tat ich es nicht, denn inzwischen war es so dunkel geworden, dass ich außer dem helleren Viereck der offenen Tür nichts erblickte. Ich konnte nur fühlen. Ich spürte ihren warmen Atem und ihre Haarspitzen, die mein Gesicht kitzelten.
„Vor mir musst du dich wirklich nicht fürchten“, flüsterte sie.
Obschon es stockfinster war, schloss ich die Augen, als sie mich küsste, und zog sie fest an mich. Sie machte es sich in meinem Arm bequem, hauchte mir noch ein ‚gute Nacht‘ ins Ohr und kurz darauf waren wir beide eingeschlafen.