Читать книгу Alles für die Katz - Lippe 1358 - Ulrich Pflug - Страница 13
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ОглавлениеAm nächsten Morgen wurde ich durch gedämpftes Klappern aus der Küche unten geweckt. Wenig später stieg mir der Duft von gebratenem Speck in die Nase. Auf dem Dachboden war es dunkel, nur durch die Ritzen der Tür an der Giebelseite drangen wenige Sonnenstrahlen herein in denen der Staub flirrte. Draußen schien bereits heller Tag zu herrschen. Neben mir hörte ich Silvias leise Atemzüge, aus der Küche die Stimmen von Reinald und Hagen, die sich unterhielten. Der Bogenmacher erzählte dem Mönch gerade von Wales. Es war faszinierend, wie er für dieses Land schwärmte, das er doch lediglich aus Erzählungen kannte. Seine Beschreibungen waren so plastisch, dass man den Eindruck haben konnte, er sei dort aufgewachsen. Ich genoss dieses langsame Erwachen. Es war einfach zu schön, so im warmen Heu zu liegen und zu dösen. Im Halbschlaf spürte ich, wie sich Silvia räkelte, und fühlte kurz darauf ihre tastenden Finger in meinem Gesicht.
„Bist du schon wach?“ flüsterte sie.
„Hmmm“, brummte ich, noch viel zu träge, um ihr eine vernünftige Antwort zu geben, als jemand aus der Küche die Leiter heraufgeklettert kam. Dann hörte ich Hagen leise meinen Namen rufen.
„Ihr könnt getrost laut reden, Hagen. Wir sind beide wach“, antwortete ich.
„Gerade geworden“, ergänzte Silvia mit einem Gähnen.
„So kommt herab. Reinald und ich sind schon seit der Laudes auf den Beinen. Speck und Eier für das Frühstück sind auch gleich fertig.“
Wir vernahmen einen dumpfen Plumps. Der Bogner hatte sich wohl nicht die Mühe gemacht, die Leiter hinunter zu klettern, sondern war gesprungen.
„Hat sich was mit der geruhsamen guten alten Zeit“, knurrte ich träge. „Sag mal, geliebtes Weib, wann ist eigentlich die Laudes?“
„In den Klöstern bezeichnet man damit das Morgengebet bei Sonnenaufgang. Die beiden sind also schon eine ganze Weile munter.“
Mit einem Seufzer ließ ich mich zurück ins Heu fallen.
„Ich will aber noch nicht aufstehen“, sagte ich leise zu der Frau neben mir und rief laut in Richtung Küche:
„Lasst uns noch ein paar Minuten!“
Silvia schob sich dichter an mich und schloss mich in die Arme. Von unten erklang verhaltenes Gelächter und Geflüster.
„... lange verheiratet ...?“, glaubte ich Hagen fragen zu hören.
Silvia kicherte leise. Auch sie hatte Hagens Geflüster vernommen.
„Wenn die wüssten ...“, wisperte sie mir ins Ohr.
Wir kuschelten und alberten noch eine geraume Weile im Heu herum, ehe wir zur Küche herabgestiegen. Reinald und Hagen saßen bereits am Tisch, ließen sich ihr Frühstück schmecken und sahen uns belustigt entgegen.
„Wir waren so frei, schon ohne euch anzufangen“, entschuldigte sich der Mönch.
„Wenn wir so lange schlafen ... “ Silvia versuchte sich Heureste aus dem Haar zu schütteln.
„Habt Ihr hier eine Möglichkeit, wo wir uns waschen können, Hagen?“
„Hinter dem Haus ist ein Brunnen“, entgegnete der, von einem Stück Brot abbeißend.
Im Hinausgehen hört ich noch, wie Reinald zu Hagen sagte :
„Das muss eine merkwürdige Sitte der Waliser sein. Gestern morgen haben sie sich bei mir auch schon gewaschen. Das kenne ich eigentlich nur von den Muselmanen. – Wisst Ihr, ob die Waliser Moslems sind? Damals in Cordoba ... .“
Hinter dem Haus fanden wir den Brunnen, neben dem ein hölzerner Trog stand. Ich kurbelte einige Eimer Wasser hoch und füllte den
Trog. Die Morgentoilette fiel kurz aus, was nicht zuletzt an dem eiskalten Brunnenwasser lag.
Als wir in die Kate zurückkamen, saß Reinald vor seiner leeren Schüssel, während Hagen mit einer Pfanne an der Feuerstelle hantierte.
„Ich bereite gerade euer Frühstück. Setzt euch, ich bin gleich fertig.“
Kurz darauf stellte er die Pfanne auf den Tisch, setzte sich neben den Mönch und schaute zu, wie wir es uns schmecken ließen.
„Wie soll es denn nun weitergehen?“ fragte ich zwischen zwei Bissen.
„Reinald und ich haben heute in der Frühe, als ihr noch schlieft, meine Sachen gepackt. Es ist alles schon im Karren verstaut.“ Hagen goss sich einen Becher Wasser ein. „Ich muss nur noch von dem Bauern Abschied nehmen, dann können wir aufbrechen.“
„Könnt Ihr denn einfach so fort?“
„Wieso nicht? Ich bin ein freier Mann. Allerdings, den Bauern wird‘s schon dauern. – Besonders mein Wildbret wird ihm fehlen“, meinte Hagen augenzwinkernd und stand auf. „Ich werde dem Meier zu Huxoll mal meine Aufwartung machen.“
Wir beendeten in aller Ruhe unser Frühstück, wuschen das restliche Geschirr ab und verstauten es eben auf dem Karren, als Hagen wieder erschien.
„Das wäre erledigt. – Wie ich‘s mir dachte, beweinte der Meier den Verlust seines Wilddiebs. Aber dennoch hat er sich nicht lumpen lassen. - Das hier gab er mir als Wegzehrung mit.“
Hagen hielt eine Seite geräucherten Speck hoch. In ein Stück sauberes Leinen verpackt, kam sie auch mit auf den Handwagen. Der Bogner schaute noch einmal in seine Kate, warf einen letzten Blick auf den Hof und dann zogen wir los. Es ging durch Felder und ein kleines Waldstück in Richtung Donop, einen Hof, der irgendwo nordwestlich von Huxoll an der Straße von Lemgo nach Blomberg liegen sollte.
Die Wege, die wir bis zur Weser benutzen wollten, waren so etwas wie mittelalterliche ‚Nebenstraßen‘. Sie bildeten die Verbindungen zwischen den verstreut liegenden Ortschaften, die meist nur aus einem größeren Hof und einigen Kotten bestanden und eher Anfänge von Siedlungen als Dörfer waren. Auch führten die Wege nicht durch die
Ansiedlungen hindurch, sondern in einigem Abstand daran vorbei. Die Gehöfte lagen fast immer abseits des Weges, hinter Bäumen und Büschen versteckt. Hatten schon die Hauptverkehrswege nichts mehr mit den gepflasterten Straßen der Römer gemein, so waren die Nebenstraßen nur schmale Feld- oder Hohlwege. Dem entsprach natürlich ihr Zustand, der uns das Vorankommen ziemlich erschwerte. Ein Nachteil, der dadurch ausgeglichen wurde, dass diese Wege die kürzeste Verbindung zu unserem Ziel darstellten und, was wichtiger war, von anderen Reisenden kaum benutzt wurden. Seit wir den Hof zu Huxoll verlassen hatten, war uns abgesehen von ein paar Bauern und Feldarbeitern niemand begegnet.
Hinter Donop ging es ein langes Stück immer bergan. Zunächst durch Felder, dann aber wieder durch Wald, der auf der Kuppe des Hügels plötzlich endete. Von hier aus konnte man ungehindert in das vor uns liegende Tal der Bega schauen. Soweit man es übersehen konnte, verlief unser Weg jetzt durch Felder und Brachland, um dann in einem breiten Auenwaldstreifen zu verschwinden. Wir beschlossen, eine kurze Rast zu machen, während der uns Hagen den weiteren Weg erklärte.
„Dort hinten gehen wir durch die Bega, dann überqueren wir die Straße nach Barntrup“, er deutete irgendwo in die Landschaft vor uns. „Von dort geht es weiter nach Bösingfeld und dann folgen wir dem Tal der Exter bis zur Weser.“
„Also kommt, wir haben noch einen weiten Weg vor uns.“ mahnte Reinald, der bereits wieder ungeduldig wurde, zum Aufbruch.
„Ihr gebt Euren Pferden ordentlich die Peitsche“, spottete Hagen, als wir uns vor den Karren des Mönches spannten.
„Soll ich Euch ablösen?“ fragte der beflissen zurück.
„Schon gut. Euer schlechtes Gewissen ist mir Trost genug“, entgegnete Hagen.
Das Wetter war herrlich! Die Sonne schien von einem strahlend blauen Himmel, an dem sich kein Wölkchen zeigte, die Temperaturen waren angenehm und ideal zum Reisen. An einem Feldrand hockten Mägde und Knechte, die von einem Bauern mit Frühstück versorgt wurden. Wir grüßten freundlich und ich glaubte fast fühlen zu können, wie uns die Leute neugierig nachblickten.
Bald darauf hatten wir den Auenwald erreicht, der die Ufer der Bega
säumte. Der Weg wurde nun feuchter und war an den sumpfigsten Stellen mit dünnen Holzstämmen befestigt. Auch an der Luft bemerkte man die Nähe des Wassers. Der Wald bestand überwiegend aus Erlen, Pappeln und viel Stangenholz, durch deren frisches, hellgrünes Laub die Sonne schien und ein Licht erzeugte, als befände man sich in einem Aquarium. Der Waldboden beiderseits der Straße, die jetzt nur noch ein Knüppeldamm war, machte einen trügerischen Eindruck und war von zahlreichen Bächen durchzogen. Die vielen kleinen grasbewachsenen Inseln darin leuchteten in sattem Hellgrün und die gelben Blüten der Schlüsselblumen bildeten strahlende Flecken, wenn sie vom Licht der Sonne getroffen wurden. Obwohl die Bega hier nicht mehr als ein großer Bach sein konnte, hatte sie doch dafür gesorgt, dass dies Sumpfgelände entstehen konnte. Eine Weile später erreichten wir die Furt, die wir ohne Mühe durchquerten. Hier, auf der Nordseite des kleinen Flusses, gab es schon keinen Wald mehr. Felder und Wiesen reichten bis dicht an das Ufer heran. Erst weiter nördlich wurde das Land wieder waldreicher und auch hügeliger.
„Auf dem Berg dort hinten liegt Burg Sternberg“, sagte Hagen, wobei er auf die dicht bewaldete Erhebung im Norden zeigte. „An dem Kreuzweg, zu dem wir gleich kommen werden, geht auch ein Weg zur Burg ab. Ein kaum benutzter Pfad bringt uns dann nach Bösingfeld.“
Der Weg, den Hagen ausgesucht hatte, wurde mit einiger Sicherheit wenig benutzt. Es war ein schmaler Trampelpfad, nur wenig breiter als unser Handwagen, dessen Zustand selbst für derzeitige Verhältnisse erbärmlich war. Zudem ging es fast ständig ziemlich steil bergauf. Das der Weg trocken war und wohl kaum die Gefahr bestand, hier von Soldaten aus Lemgo entdeckt zu werden, war das Beste, was man über ihn sagen konnte.
„Ich wünschte, wir hätten Pferd und Wagen.“ stöhnte Silvia, als wir mit vereinten Kräften den Handwagen über ein besonders steiles und steiniges Stück des Weges zogen.
„Würde auch nichts helfen. – Damit kämest du hier überhaupt nicht durch“, schnaufte ich.
„Es ist ja nicht mehr weit bis zur Kuppe“, tröstete uns Hagen, der mit mir an der Deichsel zerrte, während die anderen schoben. „Dort
können wir rasten.“
Er sollte Recht behalten. Nach einer knappen Viertelstunde waren wir tatsächlich oben angelangt. Auf einer Waldwiese neben dem Weg, der über den Bergrücken führte, beschlossen wir zu lagern. ( Wenn ich meinen Gefährten erzählt hätte, dass in einigen hundert Jahren hier oben eine Radarstation stehen würde, mittels der man sehen konnte, was man noch nicht sehen konnte, hätten sie mich vermutlich für verrückt erklärt. )
Da unsere Trinkwasservorräte zur Neige gingen und die Reste überdies lauwarm waren, machte ich mich mit Hagen auf den Weg zu einer Quelle, die, wie er behauptete, ganz in der Nähe im Wald sein sollte. Silvia und den Mönch blieben bei dem Handkarren zurück. Wir marschierten einige hundert Meter in den Wald hinein und fanden tatsächlich nach einigem Suchen die Quelle. Nachdem wir unseren Durst gelöscht hatten, füllten wir die beiden Tonkrüge und machten uns ohne große Eile auf den Rückweg, als ich plötzlich Silvias Stimme in meinem Kopf vernahm.