Читать книгу Alles für die Katz - Lippe 1358 - Ulrich Pflug - Страница 7

3.

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Es mag etwa elf Uhr gewesen sein, als wir Lemgo erreichten. Die Stadt, in der ich meine Jugend verbracht hatte und die ich wie meine Westentasche zu kennen glaubte. Glaubte! Wie sehr unterschied sie sich von dem Lemgo des einundzwanzigsten Jahrhunderts.

Allein die zu ‚meiner’ Zeit längst verschwundene Stadtbefestigung war beeindruckend. Den ersten Teil der Festungsanlage bildete ein Fluss, die Bega, die hier, vor der südlichen Stadtmauer, sehr breit und wohl auch recht tief war. Dann kam ein Wall, dessen Aussenseiten zusätzlich mit Palisaden gesichert waren. Erst dahinter erhob sich die etwa vier Meter hohe Stadtmauer. Zum Schutz des wichtigen Südtores und der über die Bega führenden steinernen Brücke hatte man sich etwas Besonderes einfallen lassen.

Vor der Brücke war auf dem der Stadt abgewandten Ufer des Flusses eine wehrhafte Bastion errichtet worden, deren starke Mauern zusätzlich von einem tiefen, von der Bega abgeleiteten Graben geschützt wurden. Nur über eine breite Zugbrücke gelangte man in das Außenwerk des Stadttores. Innerhalb dieser Bastion erhob sich ein mächtiger, vier Stockwerke hoher Turm, von dessen drittem Stockwerk aus eine militärischen Zwecken dienende Holzbrücke zu einem weiteren Turm auf dem Wall und von dort zum eigentlichen Stadttor führte. Das war also das Langenbrücker Tor. Es hatte nichts mit dem gemein, an das ich mich erinnerte.

Noch vor der Zugbrücke standen Soldaten, die jeden kontrollierten, der in die Stadt hinein wollte. Zwei Soldaten und ein Offizier überprüften gerade den Karren eines Händlers, als wir uns näherten. Als der Offizier uns bemerkte, löste er sich von der Gruppe und kam auf uns zu.

„Ah, Bruder Reinald, habt Ihr einmal wieder den Weg in die Stadt gefunden? Lockt Euch das bunte Treiben des Marktes aus Eurer Klause?“ begrüsste er den Mönch freundlich.

„Warum sollte ich sonst in die Stadt kommen?“ lachte Reinald. „Etwa, um Euch an Eure Sünden zu erinnern und Euch die Leviten zu lesen?“

Der Offizier hob abwehrend die Hände und verdrehte die Augen.

„Erbarmen! Verschont mich. Wir haben wahrlich Pfaffen genug in der Stadt, die sich dieser Aufgabe jeden Sonntag mit Hingabe widmen. Wollte ich allen gerecht werden und bei jedem die Beichte ablegen, hätte ich viel damit zu tun, vorher zu sündigen.“

„Seid unbesorgt, Volkwin, ich werd‘ Euch nicht behelligen. Heut dien‘ ich nur als Führer für meine Begleiter hier.“

Erst jetzt schien uns der Offizier wahrzunehmen. Seine Miene verdüsterte sich bei unserem Anblick. Argwöhnisch musterte er uns von oben bis unten.

„Hmmm, ein Söldner und seine – Gespielin. Ich muss schon sagen, Bruder Reinald ....“

Er beendete den Satz nicht, sondern wandte sich stattdessen an mich und fragte barsch:

„Wer seid ihr und was führt euch her?“

„Ich bin ein Bogenschütze und dies ist mein Weib, so Ihr gestattet“, entgegnete ich bemüht freundlich. „Ich habe schon an mehreren Höfen die Soldaten in der Kunst des Bogenschießens unterrichtet. Zur Zeit suche ich eine neue Anstellung. Vielleicht hat ja der Magistrat Eurer Stadt Verwendung für meine Dienste. Im übrigen wollen wir den Markt Eurer Stadt besuchen.“

Die Miene des Offiziers blieb abweisend.

„Ich glaube nicht, dass wir auf die Dienste eines Söldners angewiesen sind“, meinte er, wobei er das Wort Söldner besonders abfällig betonte. „Was Euren Marktbesuch angeht, so verfügt Ihr hoffentlich über eine gut gefüllte Geldkatze, denn Lemgo ist ein teures

Pflaster. Wer etwas erwerben möchte, ist stets gern gesehen. Bettler und Beutelschneider hingegen sind nicht wohlgelitten in unseren Mauern.“

Der Kerl war nicht eben freundlich. Ich fragte mich, wie er uns wohl behandelt hätte, wären wir nicht in Begleitung des Mönches gewesen. „Lasst es gut sein, Volkwin“, Reinald legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Ich verbürge mich für die beiden. Ich hoffe, das reicht Euch.“

Volkwin nahm die Fürbitte mit einem gleichmütigen Achselzucken zur Kenntnis.

„Vor Eurer Gutmütigkeit sollte man Euch beschützen, Reinald. Ich hoffe nur, Ihr wisst, was Ihr tut. – Also, Söldner, bedankt Euch bei dem Kuttenträger.“

Ich nickte ihm zu und wollte an ihm vorbeigehen, als er mich mit ausgestrecktem Arm aufhielt.

„Halt, mein Freund, nicht gar so hurtig! Den Wegezoll habe ich Euch nicht erlassen. Für Euch und Euer Weib sind das sechs Pfennige.“

Ich nestelte den Geldbeutel von meinem Gürtel und fragte mich verzweifelt, wie viel wohl darin sein würde. Und wie, zum Teufel, sahen Pfennige aus?

Kaum dass ich den Beutel gelöst hatte, nahm ihn mir Silvia aus der Hand, holte ein paar Kupfermünzen heraus und drückte sie dem Offizier mit einem freundlichen Lächeln in die Hand.

Der hatte den Vorgang erstaunt zur Kenntnis genommen und begann zu lachen. Zu mir gewandt meinte er:

„Ihr mögt ja ein Meister des Bogens sein, Söldner, doch der Meister Eurer Börse seid Ihr jedenfalls nicht. Da ich selbst verheiratet bin, bin ich fast geneigt, Euch zu glauben, dass dies Euer angetrautes Weib ist.“

Immer noch lachend drehte er sich zu den Wachsoldaten um.

„Lasst sie passieren!“

An den mit Hellebarden bewaffneten Männer vorbei gingen wir über die Zugbrücke in die Bastion. Als wir das Tor durchschritten hatten, standen wir auf einem großen Platz, in dessen Mitte sich ein quadratischer Turm erhob. In den beiden unteren Stockwerken konnte ich keinen Eingang entdecken. Hier befanden sich lediglich ein paar Schiessscharten. Zugänglich war er wahrscheinlich nur über die Holzbrücke, die ich von draußen gesehen hatte. Oben, an den ungefähr fünf Meter hohen Mauern der sechseckigen Bastion, verlief ein überdachter, hölzerner Wehrgang, der durch drei Holzstege mit dem Turm verbunden war. Der Ausgang auf die Begabrücke befand sich auf der uns gegenüber liegenden Seite der Anlage und wurde vom Turm teilweise verdeckt. Als wir durch den Torbogen der Bastion auf die Brücke gingen, sah ich, dass hier eine weitere Sicherung eingebaut war: Ein starkes Fallgitter, welches aber nur von der der Stadt zugewandten Seite aus bedient werden konnte. Selbst wenn es Angreifern gelungen wäre, in das Außenwerk einzudringen, so wäre ihnen dennoch der Zugang zur Brücke versperrt gewesen. Überdies hätten sie in dem Zwinger von allen Seiten beschossen werden können.

Zusammen mit anderen Marktbesuchern, Händlern und Bauern überquerten wir die Brücke. Wächter gab es hier keine. Nur auf dem hölzernen Steg über uns stand ein Soldat und sah gelangweilt auf das Treiben herab. Mit dem Überschreiten der Brücke waren wir aber noch längst nicht in der Stadt. Bevor wir das eigentliche Stadttor erreichten, hatten wir das Tor in den Palisaden des Walles zu passieren. Wie wir erst jetzt sahen, verlief jenseits des Walles überdies ein zwanzig Meter breiter innerer Graben, der Wall und Stadtmauer voneinander trennte. Die Mauer selbst mochte an die vier Meter hoch sein und war mit offenen Wehrgängen versehen.

Um in die Stadt zu gelangen, mussten wir die heruntergelassene Zugbrücke des Torturmes überqueren, die Stadt und Wall miteinander verband. Dieses Tor wurde wieder bewacht. Zwei Soldaten lehnten lässig an der Turmmauer und betrachteten desinteressiert die Menschen, die an ihnen vorbeizogen, während ein paar ihrer Kameraden es sich in einer sonnigen Ecke gemütlich gemacht hatten und würfelten. Wir durchschritten den Torbogen und betraten aus seinem Schatten heraus die Stadt.

Rechts und links der breiten gepflasterten Straße standen vereinzelt große Fachwerkhäuser, deren Dielentore darauf schließen ließen, dass es sich um Ackerbürgerhäuser handelte. Was mich am meisten erstaunte, waren jedoch die weiten Freiflächen, hauptsächlich Gärten und Viehweiden, die sich innerhalb der Mauern der Stadt auftaten.

Das Straßenpflaster war stark gewölbt und reichte nicht bis an die

Häuser, sodass sich vor den Gebäuden ein Streifen unbebauten Landes entlang zog, auf dem etliche Bäume standen. Überall vor den Häusern lagen Dunghaufen, die ihre flüssigen Bestandteile in die neben der Straße verlaufenden Gräben ergossen. Ein geflügeltes Wort dieser Zeit behauptete ‚Stadtluft macht frei’ – das mochte nach den Maßstäben dieser Zeit stimmen, aber sie stank zum Himmel.

„Steht nicht herum und haltet Maulaffen feil! – Oder wollt Ihr unter die Räder kommen?“

Hinter mir hielt ein Pferdefuhrwerk, dessen Kutscher mich zornig ansah.

„Nun glotzt nicht blöde, gebt endlich den Weg frei!“ herrschte er mich an.

Entschuldigend hob ich den Arm und trat zur Seite.

„Hält sich für einen Herrn, nur weil er einen Bogen trägt! – Arbeitsscheues Gesindel!“ hörte ich den Kutscher knurren, als er an mir vorbeifuhr.

„Wir sind hier in der Neustadt“, erklärte Reinald. „Hier leben zumeist Ackerbürger. Die reichen Krämer wohnen in der Altstadt. Doch kommt, am Ende dieser Straße beginnt der Markt.“

Wir folgten dem Mönch zu einer Kreuzung, wo sich die Straße ungewöhnlich verbreiterte. Ab hier herrschte reges Markttreiben. An vielen kleinen Ständen boten überwiegend Bauern und Handwerker ihre Ware feil. Händler sah ich nur wenige und war darüber enttäuscht. Als ich Reinald darauf ansprach, erwiderte er:

„Die Stände der großen Händler finden wir auf dem Markt der Altstadt. Habt noch ein wenig Geduld, wir sind gleich da.“

Ein paar Meter weiter hatte ein Pastetenbäcker seinen Stand aufgebaut, in dessen Nähe es verführerisch nach Essen und Gewürzen roch. Man mag mich für verfressen halten, aber ich bekam Hunger. Das Frühstück von Reinald hatte ich längst verdaut, und so viel gelaufen wie seit dem vergangenen Abend war ich schon seit Ewigkeiten nicht mehr. Als ich näher an den Stand trat, vernahm ich Silvias warnende Stimme in meinem Kopf.

„Das würde ich dir nicht raten! Die Zunft der Pastetenbäcker ist nicht gerade berühmt für die Frische ihrer Produkte.“

Der ‚Stand‘ war eigentlich so etwas wie ein früher Imbisswagen. Nichts weiter als eine Art Schubkarre, auf der ein Ofen befestigt war.

Darin wurden die Pasteten frisch gebacken. Ein breites über die Holme gelegtes Brett aus rohem Holz diente dem Besitzer als Arbeits- und Verkaufstisch. Der Meister selbst war ein kleiner, schmuddeliger Typ, mit verfilzten langen Haaren und vor Schmutz starrenden Händen. Er trug eine Schürze, die man auch als seine Speisekarte hätte bezeichnen können. Problemlos konnte man an ihr ablesen, was er in den letzten vier Wochen verkauft hatte.

„Tretet näher, Junker! Feinste Pasteten biete ich Euch. Gefüllt mit Fleisch vom Schwein oder Rind. Auch habe ich welche mit Innereien oder Fisch. – Nur zehn Pfennige das Stück.“

Er lächelte mich auffordernd an, wobei er ein Gebiss entblößte, das aus nichts als schwarzen Zahnruinen bestand. Trotz meines Hungers schüttelte ich nachdrücklich den Kopf. Auch ohne Silvias fürsorgliche Warnung wäre es mir zu riskant erschienen, auf dieses Angebot einzugehen. Schnell folgte ich meinen Begleitern, die schon einige Schritte weitergegangen waren.

„Hast du‘s dir verkniffen?“ fragte Silvia lachend.

„Von Hygiene scheinen die in dieser Zeit nicht viel zu halten“, antwortete ich leise. „Wenn das Nahrungsangebot allgemein so ist wie bei dem Typ, brauchen wir uns keine Sorgen zu machen, man könnte uns auf den Scheiterhaufen stellen. Wir sterben lang vorher entweder an einer Lebensmittelvergiftung oder an Hunger.“

Wir waren nur wenige Meter weiter gegangen, als Reinald auf ein etwas zurück liegendes Gebäude zeigte.

„Dort sind das Rathaus der Neustadt und der Scharren. Ihr seht’s ja an den Fleischbänken.“

Stimmt, wir sahen es. Und damit nicht genug – wir rochen es auch. Unter den Arkaden des Rathauses standen die Bänke der Fleischerinnung. Alles das, was meine Sinne an diesem Ort wahrnahmen, veranlasste mich dazu, Silvia dankbar die Hand zu drücken, weil sie mich vor der Versuchung des Pastetenbäckers gewarnt hatte. So wie manche der Schlachter mit ihrer Ware umgingen, sprach doch einiges dafür, zum Vegetarier zu werden.

Die Straße war inzwischen wieder enger geworden. Erheblich enger sogar. Zu meiner nicht geringen Überraschung entdeckte ich eine Mauer, die sich mitten durch die Stadt zog und Alt- und Neustadt voneinander trennte. Am Fuße der Mauer floss ein etwa drei Meter

breiter Bach von Osten nach Westen quer durch die Stadt. Selbst ein Stadttor mit Zugbrücke gab es zwischen den beiden Stadtteilen, doch konnte man ungehindert von einem Teil in den anderen gelangen. Als ich mein Befremden darüber äußerte, erklärte uns Reinald, dass dies noch vor ein paar Jahren nicht der Fall gewesen sei. Damals seien die Menschen kontrolliert worden, hätten überdies Wegezoll zahlen müssen und nachts sei die Pforte sogar verschlossen worden. Er selbst habe das nicht mehr erlebt, aber so sei es ihm berichtet worden.

Wir ließen uns von der Menge weitertragen, bis wir am Rande eines großen Platzes standen.

„Dies ist der Markt der Altstadt. Hier findet ihr Waren aus aller Herren Länder. Die Kaufleute der Stadt sind nämlich alle Mitglieder der Hanse.“

Ich hatte den Eindruck, Reinald war richtig stolz, uns etwas bieten zu können.

Auf jeden Fall roch es hier wesentlich angenehmer als in der Neustadt. Die Luft war erfüllt vom Duft der verschiedensten Gewürze, durchzogen vom Geruch nach gebratenem Fleisch und offenem Holzfeuer.

Gleich zu Anfang des Marktes pries ein Tuchhändler seine Stoffe an. Er hatte sich eine Bahn über den Arm gelegt und hielt seiner potentiellen Kundschaft den Stoff zur Begutachtung entgegen.

„Seht her, edle Frau, Wolle aus England. Und hier auf dem Tisch - feinste Tuche aus Brabant und Florenz. Besseres findet Ihr auf dem ganzen Markte nicht“, sprach er eine Frau an. Der Kleidung nach eine Patrizierin, die mit ihrer Magd unterwegs war. Wie erfolgreich er mit seinem Angebot war, kann ich nicht sagen, denn als ich mich anschickte, stehen zu bleiben, wurde ich von meiner ‚Gemahlin‘ weitergezogen.

Zwei Soldaten der Stadtwache, die wohl die Aufgabe hatten, für Ruhe und Ordnung zu sorgen, schlenderten gelassen durch das dichte Treiben, warfen uns, als sie unserer ansichtig wurden, misstrauische Blicke zu, zogen aber weiter ohne uns anzusprechen.

„Schau mal, da ist ein Silberschmied“, Silvia zupfte an meinem Ärmel. „Nur einmal angucken, ja?“

Sie schaute mich so filmreif bettelnd an, dass ich ein Unmensch hätte sein müssen, ihrem Wunsch nicht nachzugeben. Und außerdem –

warum waren wir schließlich hier? Folglich klopfte ich dem vor mir gehenden Reinald auf die Schulter.

„Mein Weib möchte sich den eitlen silbernen Zierrat ansehen“, erklärte ich ihm, als er sich fragend umsah.

„Wie es die Art der Weiber ist“, schmunzelte der Mönch. „Ich schlage vor, wir treffen uns an dem Stand dort vorn.“ Er wies mit der Hand in die Menge. „Ich muss bei dem Händler einige Kräuter und Gewürze für meine Medizin erwerben. – Doch achtet gut auf Eure Börse. Nicht dass zu befürchten wäre, es gebe mehr Diebe als sonst in der Stadt, aber die eigenen Weiber sollen manchmal die größten Beutelschneider sein - hab’ ich mir sagen lassen.“

Sprach‘s und verschwand lachend in der Menge. Ich folgte Silvia, die bereits bei dem Silberschmied stand und den letzten Satz des Mönches nicht gehört hatte.

„Schau mal, ist das nicht schön?“

Silvia hielt mir einen filigranen Anhänger entgegen.

„Mir ist nur nicht ganz klar, wie ich so etwas bezahlen soll“, knurrte ich halblaut durch die geschlossenen Zähne.

Ich fühlte mich ziemlich verunsichert. Vermutlich lag es daran, dass ich mir eingebildet hatte, ich würde meine Zeitreise wie ein Zuschauer im Kino erleben. Nun kam ich mir vor wie in einem Rollenspiel, in dem jeder seinen Text kannte, nur ich nicht. Nicht einmal die Spielregeln wusste ich und die einzige Mitspielerin, die mir hätte helfen können, brachte mich statt dessen in eine prekäre Situation.

„Ich darf mir also etwas aussuchen?“

Silvias Stimme war laut und begeistert, während ich gequält das Gesicht verzog.

„Verlass‘ dich darauf, dass ich vorgesorgt habe. Du hast genug Geld bei dir und ich tue nichts, was dich in Schwierigkeiten bringt. Vertrau‘ mir einfach.“

Ihre Stimme war hell und klar in meinem Kopf.

„Wenn Ihr ein solch hübsches Weib besitzt, solltet Ihr keinen Igel in Eurer Börse haben.“ wurde ich von dem Silberschmied angesprochen. „Gönnt ihr den Spaß und lasst sie vom Geschmeide was erwählen.“

„Ihr habt gut reden! - Hübsches Weib! Es ist doch nur mein geprägtes Silber was Ihr begehrt. Zudem – wenn Euch mein Weib auch ungeschmückt so gut gefällt, warum sollte sie dann noch Eures

Schmuckes bedürfen?“

Er lachte.

„Ihr seid mir vielleicht ein Knauser. – Aber wohl pariert, Junker.“

Von unserem Gespräch gänzlich unbeeindruckt, hatte Silvia während dessen die Auslagen durchsucht.

„Sieh mal hier!“

Sie hielt ein in Silber gefasstes Herz aus Bernstein in der Hand, das an einer dünnen Lederschnur befestigt war.

„Das passt perfekt zu deinen Augen“, stimmte ich bei.

„Eine sehr gute Wahl“, nickte auch der Schmied anerkennend. „Ein wirklich schönes Stück.“

„Ihr wollt doch nur den Preis hochtreiben“, maulte ich. „Doch sei’s drum. Sagt an, Meister, wie viel wollt Ihr?“

„Ihr wisst ja, Bernstein ist teuer. Eine viertel Mark löthigen Silbers müsste ich schon haben – und das auch nur, weil mich Euer Weib dauert, da es mit einem Pfennigfuchser wie Ihr einer seid, gestraft genug ist.“, erhielt ich zur Antwort.

Ich hatte nicht einmal den Schimmer einer Ahnung davon, ob dieser Preis angemessen war oder nicht, versuchte aber dennoch zu handeln. Ohne Erfolg! Ich suchte also in meinem Geldbeutel nach einem recht großen Silberstück, das ich dem Schmied reichte. Der nahm es entgegen, bedankte sich und steckte es ein. – Da hatte ich wohl etwas richtig gemacht.

„Ich danke dir!“ Silvia fiel mir um den Hals, gab mir einen Kuss und strahlte mich an, als ich ihr das Schmuckstück umlegte.

„Nun, Junker, bemerkt Ihr jetzt die segensreiche Wirkung meines Zierrats?“ rief der Silberschmied. „Wenn Ihr‘s auch für Tand erachtet, so sollte Euch der häusliche Frieden doch einen kleinen Silberling wert sein. Glaubt mir, die nächsten Tage ist Euer Weib so sanft wie ein Kätzchen.“

Ich musste lachen. Der Mann konnte ja nicht ahnen, wie richtig er mit seinem Vergleich lag. Ich winkte ihm zum Abschied zu, nahm Silvias Hand, um sie im Gedränge nicht zu verlieren, und schob mich dann mit ihr durch die Menge, immer nach dem von Reinald genannten Gewürzhändler Ausschau haltend.

Zunächst mussten wir aber an einer mobilen Schmiede vorbei. Der Schmied hatte auf einem Brett einige Werkstücke seiner Kunst ausgestellt. Darunter auch Messer und Pfeilspitzen. Diesmal war ich es, der an einem Stand nicht vorbei konnte, ohne das Angebot etwas näher in Augenschein zu nehmen.

„Ah, ein Bogenschütze. – Ihr sucht sicher Spitzen für Eure Pfeile.“ Der Schmied unterbrach seine Arbeit am Feuer.

„Seht sie Euch nur an“, fuhr er fort, wobei er sich seine kohlschwarzen Hände in einem noch schmutzigeren Lappen ab-wischte. „Bei mir findet Ihr Spitzen für jeden Zweck. Mit dieser hier schießt Ihr durch jedes Kettenhemd. Die hier knackt sogar den Panzer einer Rüstung und jene dort wären geeignet, jedes Wild zu erlegen. – Natürlich nur, wenn Euer Herr das von Euch begehrt“, fügte er grinsend hinzu. „Ich verlange nur acht Pfennige für das Stück – achtzig für das Dutzend.“

Ich besah mir das Angebot genauer. Die Spitzen waren wirklich gut gearbeitet. Vor allem die Jagdspitzen waren rasiermesserscharf. Ich kaufte von den Kampf- und Jagdspitzen jeweils ein Dutzend.

„Wenn Ihr jetzt noch gute Pfeile braucht, solltet Ihr Hagen, den Bogenbauer, aufsuchen. Ihr findet ihn am Ende des Marktes“, verriet mir der Schmied, bevor wir seinen Stand verließen.

„Hoffentlich haben wir Reinald nicht verfehlt“, bemerkte Silvia, als wir uns wieder durch die Menge drängten, und schaute sich suchend nach dem Mönch um.

„Ich glaube, dort ist er.“

Sie zeigte auf den Stand eines Gewürzhändlers, neben dem eine braune Kutte zu erkennen war.

Direkt vor dem Stand herrschte ein sehr dichtes Gedränge. Mägde deckten sich mit den verschiedensten Gewürzen für die Küche ihrer Herrschaft ein. Patrizierinnen begutachteten mit Kennermienen das Angebot, dabei rücksichtslos alles zur Seite drängend, was ‚unter’ ihrem Stande war. Unser Mönch schien hier kein Unbekannter zu sein, denn abseits des Gedränges seitlich hinter den Auslagen sprach er mit einem Mann, den ich aufgrund seiner Kleidung für den Besitzer der orientalisch duftenden Kostbarkeiten hielt. Wenig später standen wir neben den beiden.

„Schön, Euch zu sehen. Ich bin eben fertig mit meinem Einkauf“, empfing uns Reinald und verstaute die letzten Kräuterbündel in seinem Korb. „Meister Emmeran hat mir den letzten Pfennig aus der

Tasche gezogen. Nun bin ich wieder arm wie eine Kirchenmaus.“

Der Gewürzhändler lächelte nachsichtig zu den Worten des Mönches.

„Macht mich nicht schlechter, als ich bin, Bruder Reinald“, meinte er gelassen. „Ihr wisst sehr wohl, dass Ihr einen guten Preis bekommen habt und für Euer Geld mehr erhieltet, als Euch zustand. Ich war es jedenfalls nicht, der Euch gezwungen hat, auch Euren letzten Pfennig auszugeben. – Wenn Eure Börse die Schwindsucht plagt, liegt es doch nicht daran, dass meine Ware zu teuer ist, sondern daran, dass Ihr von Euren Heiltränken mehr verschenkt, als Ihr verkauft.“

Reinald hob bedauernd die Arme.

„Ihr wisst, das Volk ist arm. – Aber es stimmt, ich habe wahrlich keinen Grund zur Klage. Ihr habt mich wie stets gut bedient und ich habe wohl bemerkt, dass Ihr sehr großzügig abgewogen habt. Möge es Euch der Herr vergelten. - Gott zum Gruße, Meister Emmeran.“

„Gehabt Euch wohl, Bruder Reinald. – Und vergesst nicht, einen armen Kaufmann mit in Eure Gebete einzuschließen“, erwiderte der Gewürzhändler, um sich sogleich wieder seiner herrschaftlichen Kundinnen zu widmen.

„So, meine Besorgungen wären erledigt“, stellte Reinald zufrieden fest. „Nun, da mich nichts mehr drängt, habe ich voll und ganz Zeit für euch. Wenn ihr wollt, kann ich euch noch ein wenig vom Markt und der Stadt zeigen.“

Und ob wir wollten! Wie schon erwähnt, handelte es sich zwar um die Stadt, in der ich aufgewachsen war, doch so, wie sie um diese Zeit aussah, war sie mir fremd. Von den Gebäuden, an denen ich mich hätte orientieren können, existierte nicht eines. Hinzu kam, dass der Marktplatz der Stadt mehr als doppelt so groß war, wie ich ihn in Erinnerung hatte. Ich freute mich daher, dass wir einen ortskundigen Führer gefunden hatten. Als erstes geleitete uns Reinald zu einem langgestreckten Fachwerkgebäude am Rande des Marktplatzes, welches bereits genau dort stand, wo in späteren Zeiten das von diversen Ansichtskarten bekannte Renaissancerathaus stehen würde.

„Dies ist das Pelsterhaus, das größte in Lemgo. Es gehört der Zunft der Kürschner. Hier tagen auch der Rat der Altstadt und die Gilde der Hanse.“ erklärte der Mönch. „Dahinter liegen die Kirche Sankt Nicolai und der Friedhof.“

Vor dem Gebäude standen mehrere Bänke, auf denen edle Pelzwaren, Felle und Leder ausgebreitet waren, aber auch andere ortsansässige Händler boten ihre Waren zum Verkauf. Schon das zur Schau gestellte Angebot und die in kostbare Stoffe gekleideten Händler ließen selbst den unbedarftesten Betrachter unschwer erkennen, dass sich an hier der Geldadel versammelt hatte. Während an den anderen Auslagen des Marktes die Eigentümer sich selbst um ihre Waren kümmerten, führten die Herren dieser Stände lediglich die Verkaufsgespräche mit ihrer nicht minder reich gekleideten Kundschaft, kassierten mit vornehmer Zurückhaltung den schnöden Mammon und überließen alle weiteren Arbeiten ihren Bediensteten.

Ich besah gerade die Ware eines Kürschners, als ein geistlicher Würdenträger in der Begleitung mehrerer Soldaten, unter denen ich auch Volkwin zu erkennen glaubte, aus einer Gasse trat und auf das Pelsterhaus zu ging. Reinald, der die Männer ebenfalls bemerkt hatte, drehte schnell das Gesicht zur Seite und zog sich die Kapuze über den Kopf.

„Ach, Roger, ich wollte Euch noch etwas zeigen, was Euch sicher interessieren wird“, murmelte er hastig. „Folgt mir.“

Fast schon gewaltsam zerrte er mich an meinem Gürtel ins Gedränge. Silvia, die von dem plötzlichen Aufbruch ebenso überrascht wurde wie ich, kam uns kopfschüttelnd nach. Der Mönch zog mich einmal quer über den Marktplatz, wobei ich immer wieder nach Silvia schaute, die uns nur mit einiger Mühe folgen konnte. Vor dem Stand eines Bogenbauers blieb der Mönch endlich stehen.

„Ich dachte, dieser Mann müsse interessant für Euch sein, Roger“, murmelte Reinald.

Auf einem Holzklotz saß ein Mann, der ähnlich gekleidet war wie ich. Zu einer bequemen Tunika aus grünem Wollstoff trug er eine Hose aus hellem Leinen. Seine schulterlangen braunen Haare hatte er mit einem Stirnband gebändigt. Neben ihm brannte ein kleines Feuer, über welchem er in einem winzigen Kessel Pech erhitzte. Er war gerade damit beschäftigt, eine Jagdspitze an einem Pfeilschaft zu befestigen. Der Mann sah kurz auf, um uns zu mustern, dann wandte er sich wieder seiner Arbeit zu. Erst als er damit fertig war, stand er auf.

„Was kann ich für Euch tun?“

„Nun, so Ihr Hagen, der Bogenmacher, seid, bräuchte ich von Euch zwei Dutzend Pfeile“, erwiderte ich. „Wenn Ihr mir auch gleich die Spitzen befestigen könntet, wäre ich Euch dankbar.“

„Lasst sehen.“

Ich kramte die Spitzen hervor und reichte sie ihm.

„Ah, von Alberich, daher kennt Ihr meinen Namen, und ich weiß, wer Euch geschickt hat“, grinste er und fügte erklärend hinzu: „Ich habe hier nämlich nur selten fremde Kundschaft. – Was Eure Pfeile angeht ... Wenn Ihr auf dem Markte noch etwas zu besorgen habt, so tut das. Aber lasst Euch ruhig Zeit. Es wird eine Weile dauern, bis die Arbeit getan ist.“

Wir verabschiedeten uns und bummelten weiter über den Markt. Als mir zum wiederholten Mal der Duft von Pasteten in die Nase stieg, begann mein Magen vernehmlich zu knurren.

„Ich glaube, es ist an der Zeit, etwas für meinen Magen zu tun“, entschuldigte ich mich. „Sagt, Reinald, wo kann man hier seinen Hunger und Durst stillen? Verweist mich jetzt aber nicht an einen Pastetenbäcker.“

Der Mönch überlegt kurz.

„Wenn ihr gut essen wollt, so müsst ihr in den Gasthof hier um die Ecke gehen. Die Speisen sollen vorzüglich sein, wie ich hörte. Selbst die Herren des hohen Rates pflegen dort einzukehren. – Es dürfte aber nicht ganz billig sein, denke ich.“

„Wenn es gut genug für den Rat ist, dann auch für uns. Wir kehren dort ein.“ Silvia betonte das ‚wir‘ und ergriff Reinald am Ärmel. „Und Ihr seid herzlich eingeladen.“

Schon nach wenigen Schritten standen wir vor dem Gasthof. Der Wirt hatte draußen drei lange Tische und Bänke aufgestellt, die gut besetzt waren, doch für uns fanden sich noch drei freie Plätze. Wir legten das Gepäck ab und setzten uns.

Mir war sehr recht, dass wir am Ende des Tisches saßen, ich sogar am Kopfende, und nicht zwischen den anderen Gästen. Obschon es sich bei den Speisenden um Leute aus der Oberschicht handeln musste und trotz des Abstandes zu unseren nächsten Nachbarn war deren ‚mittelalterlicher’ Duft nicht zu ‚überriechen’. Allein der Gedanke an ihre mit Sicherheit vorhandenen Untermieter ließ mich die Distanz schätzen. All zu hautnah wollte ich diese Zeit denn doch nicht erleben.

Wir mussten nicht lange warten, da erschien eine junge Frau und erkundigte sich nach unseren Wünschen. Eingedenk der Vorliebe des Mönches fragte ich zunächst:

„Habt Ihr Wein?“

„Aber ja! Wir haben einen gut gewürzten Roten.“

Gut gewürzter Wein?? Die Antwort irritierte mich ein wenig, doch ich schaffte es, mir nichts anmerken zu lassen.

„So bringt einen Krug Wein für den Mönch und je einen Krug Bier für mein Weib und mich“, orderte ich souverän. „Wie steht‘s mit Speisen?“

„Wir servieren heute Karbonade vom Schwein. Dazu reichen wir Kraut, einen Brei von gelben Erbsen und Brot. Wünscht Ihr, dass ich Euch drei Portionen bringe?“

Ich nickte gönnerhaft und war einigermaßen stolz auf meine Leistung. Immerhin war dies meine erste Bestellung in dieser mir völlig fremden Welt.

Schon nach kurzer Zeit erschien die Serviererin wieder, in den Händen die Krüge mit den bestellten Getränke. Becher oder gar Gläser gab’s nicht. Getrunken wurde gleich aus den Krügen. Rainald erhielt seinen Wein, Silvia und ich bekamen unser Bier. Vorsichtig kostete ich einen ersten Schluck – und trank dann in langen, durstigen Zügen. Das Gebräu war nicht übel, nur ein wenig dünn. – Sehr dünn!

„Ach, welch lang entbehrter Genuss! Der Tropfen ist wahrlich nicht schlecht. – Ich danke Euch, Roger.“ Reinald hatte seinen Wein probiert und verdrehte genießerisch die Augen.

„Lasst Ihr mich einmal kosten?“ fragte ich.

„Selbstverständlich! – Trinkt, soviel Ihr mögt.“

Der Mönch hielt mir seinen Krug entgegen. Ich roch misstrauisch daran, nippte vorsichtig – und hätte beinahe das Gesicht verzogen. Das Zeug schmeckte wie kalter, zu stark gewürzter Glühwein und war erbärmlich sauer. Jeder ‚vin de table’ aus der untersten Etage eines Supermarktregals war mit Sicherheit besser.

„Es freut mich, dass er Euch mundet“, sagte ich gequält, wobei ich Reinald den Krug zurückgab. „Ich glaube, ich bleibe dennoch beim Bier.“

„Mögt Ihr etwa keinen Wein?“ fragte der Mönch erstaunt.

„Er ist das Gute nicht gewohnt“, warf Silvia ein. „In Rogers Heimat

kennt man ihn kaum. Dort trinkt man zumeist Bier.“

Zum Glück wurde jetzt unser Essen gebracht, sodass Reinald keine Gelegenheit erhielt, sich Gedanken darüber zu machen, warum ich mich nach Jahren in Frankreich immer noch nicht an Wein gewöhnt hatte. Die Kellnerin stellte vor jedem eine Schüssel mit Fleischscheiben, Kraut und einem gelben Püree ab und zwischen uns einen Korb mit Brot. Das Besteck beschränkte sich auch hier auf Holzlöffel.

Wir wünschten uns einen guten Appetit und begannen zu essen. Das Fleisch war knusprig gegrillt und scharf, aber gut gewürzt. Auch Kraut und Erbsenpüree mundeten ausgezeichnet.

„Ich habe schon lange nicht mehr so gut gegessen.“ Reinald schmatzte zufrieden. „Dazu noch dieser köstliche Wein. Seid nochmals recht herzlich bedankt für Eure Einladung, Silvia. – Der Herr meinte es wirklich gut mit mir, als er Euch heute Morgen zu mir führte.“

„Es war wohl eher eine Katze“, murmelte ich halblaut und sah Silvia von der Seite an. Obwohl nicht für ihn gedacht, hatte der Mönch meine Worte verstanden. Wenigstens zum Teil.

„Katze meint Ihr?“ bemerkte er mit einem schiefen Blick auf das Fleisch auf seinem Teller. „Nein, bei diesem Wirt braucht Ihr keine Bedenken zu hegen, Roger. Wenn der sagt, es sei Schwein, dann ist es das auch.“

Reinald sah nachdenklich von seinem Teller auf und legte die Stirn in Falten.

„Bei den Pastetenbäckern ist allerdings wirklich Vorsicht geboten. Was bei denen alles in den Backwerken verschwindet ...“

Er schüttelte in aufrichtiger Entrüstung den Kopf.

Ich sah den Mönch erstaunt an und brauchte ein paar Sekunden, ehe ich verstanden hatte, was er meinte, während Silvia vor Lachen einen Hustenanfall bekam.

Als wir unser Mahl beendet hatten, bestellte ich weitere Getränke. Der Wirt war clever. Seine scharf gewürzten Speisen sorgten für einen gehörigen Durst. Ich zahlte, als das Mädchen die frisch gefüllten Krüge gebracht hatte, und gab ihr auch noch ein paar Pfennige Trinkgeld. Die Münzen geschickt in einer der Taschen ihrer Schürze verschwinden lassend, knickste sie und sagte artig:

„Ich dank‘ Euch, Herr. So darf ich wohl annehmen, dass es Euch

gemundet hat? Ich würde mich freuen, Euch einmal wieder hier zu sehen.“

Sie lächelte mir noch einmal zu, bevor sie in der Gaststube verschwand.

„Da habt Ihr eine neue Freundin gefunden“, schmunzelte Reinald.

„Untersteh dich!“ Silvia knuffte mich in die Seite.

„Ist ja gut.“ Ich nahm ihre Hand und streichelte sie. „Das Abenteuer mit dir ist für mich völlig ausreichend.“

Wir plauderten noch eine Weile, leerten unsere Krüge und wollten endlich aufbrechen. Als ich meinen Köcher über die Schulter warf, sah ich, dass vom Pelsterhaus der Geistliche, dem wir schon vorher begegnet waren, in Begleitung von weiteren Personen auf uns zu kam. Auch Reinald hatte die kleine Gruppe bemerkt. Hastig zog er sich die Kapuze über den Kopf, nahm seinen Korb und drängte ungeduldig zum Aufbruch.

„Kommt, kommt. Wir müssen noch zu dem Bogenbauer.“

Mit diesen Worten eilte er davon, ohne sich darum zu kümmern, ob wir ihm folgten.

Die plötzliche Eile nicht begreifend, schlenderten wir hinter ihm her über den inzwischen leerer gewordenen Markt. Als ich mich noch einmal umsah, nahmen der Geistliche und seine Begleiter gerade an dem Tisch Platz, den wir soeben verlassen hatten. Reinald holten wir erst am Stand des Bogenbauers ein.

„Da seid Ihr ja“, empfing mich Hagen. „Ich hätte Euch noch gerne etwas zu den Pfeilen gesagt und fürchtete schon, ich müsste einem Mann der Kirche kriegerische Dinge erklären. – Da Ihr mir keine Anweisungen gabt, nahm ich für die Kampfspitzen schwere und für die Jagdspitzen leichte Schäfte, welche die Schussweite erhöhen, wie Ihr ja wisst. Bei der Befiederung ...“

Hagen erklärte mir genau seine Arbeit, während ich mich bemühte, einen möglichst versierten Eindruck zu machen. Auch Silvia lauschte interessiert den Erklärungen Hagens, nur der Mönch schien unruhig zu sein. Zappelig trat er von einem Bein auf das andere und zupfte schließlich nervös an meinem Ärmel.

„Beeilt Euch, Roger! Wir müssen weiter.“

Er stand mit gesenktem Kopf neben mir, wobei er – wie mir schien – ängstliche Blicke in Richtung des Gasthofes warf.

„Wie Ihr seht, Hagen, ist unser Freund in Eile“, sagte ich bedauernd. „Was bekommt Ihr für Eure Arbeit?“

„Zwei kleine Silberlinge sollten angemessen sein, denk‘ ich.“

Da ich keine Ahnung hatte, welchen Betrag er damit meinte, reichte ich ihm meinen Geldbeutel mit den Worten:

„Nehmt Euch heraus, was Euch zusteht. – Ich verstaue schon mal die Pfeile.“

Verdutzt ergriff er den Beutel und sah mich erstaunt an.

„Euer Vertrauen ehrt mich – doch Ihr sollt‘s nicht bereuen.“

Er entnahm dem Beutel zwei Münzen und gab ihn mir zurück.

„Besucht mich einmal, wenn Ihr in meiner Gegend seid. Mein Heim ist in Huxoll, welches bei Cappel liegt. – Der Mönch wird‘s Euch erklären können“, bemerkte er noch.

„Ja, ja, mach‘ ich! Doch jetzt genug geplaudert. Kommt. Lasst uns gehen“, drängte Reinald fast schon unhöflich.

Statt einer Wegbeschreibung nach Huxoll hätte ich lieber eine Erklärung für die plötzliche Eile des Mönches gehabt, doch er gab mir keine Gelegenheit, ihn danach zu fragen. Es war keine Rede mehr von einer Stadtbesichtigung. Statt dessen zog uns Reinald von Hagens Stand fort und eilte uns so schnell voraus, dass wir Mühe hatten, ihm zu folgen. Für den Rückweg wählte er völlig andere Gassen als die, auf denen wir gekommen waren. Dass es ihm dabei darum ging, uns doch noch etwas von der Stadt zu zeigen, bezweifelte ich, da er ein Tempo vorlegte, welches eine Besichtigung ausschloss. Weit stärker fiel mir auf, dass er Gassen wählte, die einen großen Bogen um das Wirtshaus machten.

Die Straßen waren zumeist leer und so erreichten wir trotz des Umweges sehr rasch das Langenbrücker Tor. Hier hielten immer noch etliche Soldaten Wache, aber es gab nicht mehr viel für sie zu tun. Die Leute, welche die Stadt verließen, wurden nicht kontrolliert. Die, die hinein wollten, waren zumeist Bauern, die in der Stadt wohnten und die man seit Jahren kannte. Volkwin sah ich nicht. Dann hatte ich mich vermutlich doch nicht getäuscht, als ich glaubte, ihn am Pelsterhaus in der Gruppe um den Kirchenfürsten gesehen zu haben. Ungehindert passierten wir die Stadtbefestigung und machten uns auf den Rückweg zu Reinalds Klause auf dem Biesterberg.

Alles für die Katz - Lippe 1358

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