Читать книгу Alles für die Katz - Lippe 1358 - Ulrich Pflug - Страница 8

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Erst als die Stadt schon eine geraume Strecke hinter uns lag, schlug Reinald seine Kapuze zurück, in der er sich bis dahin versteckt hatte. Er schaute sich um und atmete tief durch.

„Sagt einmal, Bruder Reinald“, begann ich, „vorhin, beim Essen, habt Ihr Eurem Herrn gedankt, dass er uns zu Euch geschickt hat. Ich hatte allerdings vorhin auf dem Markt den Eindruck, dass Ihr Eurem irdischen Herrn für seine Gesandten erheblich weniger dankbar seid. – Habt Ihr die Leute zu fürchten?“

Reinald blieb stehen und sah mich lange an.

„Ich hatte inständig gehofft, Ihr würdet es nicht bemerken“, sagte er endlich.

„So wie Ihr Euch aufgeführt habt, konnte uns das gar nicht verborgen bleiben“, bemerkte Silvia.

„Nun ja, das ist eine lange, nicht sehr erbauliche Geschichte“, seufzte der Mönch. „Aber lasst uns weitergehen. Je weiter ich von der Stadt fort bin, desto besser. Das, was ich euch zu erzählen habe, kann ich auch im Gehen berichten.“

Wir setzten unseren Weg fort, wobei uns Reinald seine Geschichte erzählte.

„Ich habe euch heute Morgen nicht die ganze Wahrheit gesagt“, begann er, „weil ich fürchtete, ihr könntet Häscher des Bistum sein. Ihr müsst schon entschuldigen, aber ich kannte euch ja nicht. Es stimmt zwar, dass ich in der Abtei Montmajour als Scriptor gearbeitet habe, aber ich habe nicht nur Kopien erstellt, ich habe auch eigene Werke geschaffen. – Ich war ein Fälscher. Genauer gesagt, ein Urkundenfälscher.“

„Ihr seid was gewesen?“ fragte ich erstaunt.

„Ihr habt schon richtig gehört, Roger. - Ich war ein Fälscher. – Das ist nicht einmal so ungewöhnlich, wie Ihr wahrscheinlich glaubt. Schon seit Jahrhunderten existieren Urkunden, die in den Klöstern gefälscht wurden. Diese Dokumente wurden von Brüdern geschaffen, welche einerseits die dafür notwendigen Fähigkeiten besaßen, andererseits aber auch verschwiegen genug waren, nicht einmal ihre

Mitbrüdern ins Vertrauen zu ziehen. Es ist geradezu eine Zunft, die im Laufe der Jahrzehnte im Schutze der Klostermauern entstanden ist. - Nun ja, und eines Tages wurde auch ich Mitglied dieser Gilde.

Es begann damit, dass der Abt von Montmajour mich damit beauftragte, eine Urkunde aus der Zeit Dagoberts des Ersten neu zu schreiben. Das Original sei von Rattenfraß und Feuchtigkeit so schwer beschädigt, dass es völlig unleserlich geworden sei und er es mir daher nicht zum Kopieren vorlegen könne, erzählte er mir. Er wisse aber den Text auswendig und wolle ihn mir vorschreiben, was er auch tat.

Ich dachte mir nichts dabei und fertigte nach seinen Angaben eine Kopie der Urkunde, in der es um eine Landschenkung ging, die der Abtei zugesprochen wurde. Erst als ich auch die Unterschrift und das Siegel kopieren sollte, kamen mir Bedenken an der Rechtmäßigkeit meines Tuns.

Als ich dies meinem Abt gegenüber äusserte, lächelte er nur. Ich, Reinald, sagte er, hätte der Mutter Kirche mit meiner Arbeit einen großen Dienst erwiesen. Schließlich trüge sie dazu bei, den Besitzstand des Klosters und damit den der Kirche zu mehren. Er erzählte mir von weiteren Fälschungen, die es schon seit langer Zeit gebe, und begründete ihre Notwendigkeit damit, dass die Macht der weltlichen Herrscher nicht ins Uferlose wachsen dürfe. Die Tätigkeit der Fälscher, in deren Gilde er mich nun aufnehmen wolle, sei vom Papst als gottgefälliges Werk abgesegnet worden. Mehr noch. Die Gilde der Fälscher sei eine der Heerscharen, die der Heilige Stuhl gegen den zügellosen Machtanspruch der weltlichen Herrscher ausgesandt habe. Die Argumente des Abtes überzeugten mich. Ich verwarf meine Bedenken. Wie hätte ich auch anders handeln sollen, wenn selbst der Heilige Vater diesen Betrug befürwortete?

In der Folgezeit durfte ich in meiner Zelle noch viele weitere Dokumente anfertigen, deren Wahrheitsgehalt jeglicher Grundlage entbehrte. Einige davon wurden sofort benötigt, andere dienten der Übung und wieder andere landeten im geheimen Archiv der Abtei, darauf harrend, eventuell irgendwann Verwendung zu finden.

Es mag in euren Ohren merkwürdig klingen, aber meine Arbeiten wurden immer besser. Mein Ansehen bei den Mitbrüdern der Gilde wuchs mit jedem neuen Dokument und ich war nicht ohne Grund stolz auf mein Können. Im Laufe der Zeit entwickelte ich eine regelrechte

Kreativität im Verfassen von Urkunden.

Eines Tages erschien der Bruder Abt in meiner Zelle. Er befahl mir, mich in das Kloster nach Cîteaux zu begeben. Der dortige Abt wollte sich an dem Geschäft mit den Urkunden beteiligen. Er verfügte zwar über geeignete Schreiber, aber ihnen fehlte das Wissen, Fälschungen kunstgerecht zu erstellen. Daher hatte er meinen Abt gebeten, ihm einen Mann zu schicken, der in der Lage war, seine Scriptori auszubilden. So ging ich nach Cîteaux, um binnen eines Jahres den dortigen Brüdern die Grundkenntnisse meines Handwerks beizubringen.

Dann ergab es sich, dass Dietrich, der Abt unserer Brüder in Corvey, bei uns zu Gast war. Es ging bei diesem Besuch auch um Urkunden, denn Ihr müsst wissen, dass in Corvey die besten meiner Zunft arbeiten. Hier werden Dokumente für den Gebrauch in anderen Klöster und sogar für den Heiligen Stuhl selbst hergestellt. Während solcher Gespräche der beiden Äbte, zu denen auch ich als Erster Schreiber des Klosters hinzugezogen wurde, beschlossen die beiden, dass ich Dietrich für die Dauer von drei Jahren nach Corvey begleiten sollte. Man hatte damals viel Arbeit und war um gute scriptori verlegen und ich – nun, ich betrachtete es als eine hohe Ehre, in Corvey arbeiten zu dürfen. So kam ich dorthin.“

Reinald stiess einen tiefen Seufzer aus.

„Mein Schicksal wendete sich, als ich zu Beginn des letzten Jahres Bischof Balduin von Paderborn kennen und auch fürchten lernte. Er hatte von meinem Können gehört und bat mich zu einem vertraulichen Gespräch. Balduin benötigte mehrere Urkunden, die sich alle auf die Grafschaft Schwalenberg und die Herren zur Lippe bezogen. Das war Arbeit für die nächsten Monate. Wie schon so oft, fälschte ich Urkunden im Auftrage der Kirche. Das letzte Dokument, welches Balduin haben wollte, wies sein Bistum als Besitzer des Lehens Schwalenberg aus. Ich dachte mir wie immer nichts dabei. Die Urkunde war fast fertig, es fehlte nur noch das genaue Datum, als ich in meiner Zelle, die mir Balduin zur Verfügung gestellt hatte, Besuch aus Corvey erhielt. Mein Bruder betrachtete sich mein Werk, schüttelte verständnislos den Kopf und erzählte mir dann, dass die Grafschaft Schwalenberg ein zu Corvey gehöriges Lehen sei, welches zu keiner Zeit zum Bistum Paderborn gehört habe.

Ich war erschrocken. Sollte hier mein Abt um sein Lehen geprellt

werden? Mit dieser und den anderen Urkunden war das fraglos möglich. Zu ersten Mal kamen mir Zweifel an der Rechtmäßigkeit der päpstlichen Heerscharen.“

Der Mönch lachte bitter.

„Noch während mein Besucher und ich uns ansahen, nicht wissend, was nun zu tun sei, betrat Balduin meine Zelle. Er sah unsere bedrückten Gesichter, wobei ihm der Grund dafür sicher klar wurde, als er die fast fertige Urkunde in meinen Händen erblickte. Wortlos nahm er mir das Schriftstück aus der Hand und verließ den Raum. Ich sprach noch lange mit meinem Bruder aus Corvey, der noch am gleichen Tag zurückreisen wollte. Wir verabredeten, wenn ich ebenfalls zurück in Corvey sei, mit Dietrich über das Dokument zu sprechen. Erst am späten Nachmittag verabschiedete ich meinen Bruder und verbrachte den Rest des Tages im Gebet.

Am nächsten Tage entstand große Aufregung, als ein Bote die Nachricht brachte, auf dem Wege nach Höxter sei einer unserer Brüder erschlagen aufgefunden worden.“

„Dein Klosterbruder aus Corvey, nehme ich an“, unterbrach ich ihn.

Reinald nickte stumm und setzte nach einer Weile des Schweigens seine Geschichte fort.

„Mir war sofort klar, dass der Tod meines Bruders kein Zufall sein konnte. Wer sollte schon einen armen Mönch erschlagen? Und vor allem, warum? – Um ihn seines Rosenkranzes zu berauben oder sein Brevier zu stehlen? Ich war und bin überzeugt, dass Schergen des Bischofs dieses Werk verrichteten. Grund genug hatte er ja, diesen Mord zu befehlen.

Da ich mich in Paderborn nicht länger sicher fühlen konnte, wegen der gefälschten Urkunden aber auch nicht unter die Augen meines Abtes treten mochte, floh ich noch am selben Abend und gelangte einen Tag später auf den Bisterberg. In den Ruinen des verlassenen Hofes fühlte ich mich einigermaßen sicher.

Seit mehr als einem halben Jahr hause ich nun schon hier. Das Auftauchen der Leute des Bischofs macht mir jedoch Angst. Ich fürchte, sie suchen mich. Während der Wintermonate war ich sicher, weil sich die Herren nicht aus ihrem warmen Nest trauten, doch jetzt werden sie wohl die Jagd beginnen.“

Ich muss gestehen, dass ich etwas Zeit brauchte, um das eben

Gehörte zu verarbeiten. Zwar wusste ich von diversen Vergehen der Kirche, aber so unmittelbar war ich noch nie damit konfrontiert worden. Eine Weile schritten wir stumm weiter, bis Silvia das Schweigen beendete.

„Das hört sich nicht gut an, Bruder Reinald.“ Ihre Stimme klang nachdenklich. „Ihr fürchtet also, dass Euch der Bischof nach dem Leben trachtet?“

Der Mönch zuckte resignierend mit den Schultern.

„Das muss ich ja wohl. Nachdem mein Klosterbruder beseitigt worden ist, bin ich der einzige, der weiß, dass die Urkunden des Bischofs gefälscht sind.“

„Ich versteh das immer noch nicht“, sagte ich kopfschüttelnd. „Es klingt einfach unglaublich, was Ihr uns erzählt habt. Die Klöster als Fälscherwerkstätten für Dokumente. – Noch dazu mit dem Segen des Papstes.“

Reinald blieb stehen und begann zu lachen.

„Ihr glaubt mir nicht, Roger? Wisst Ihr, was Papst Clemens IV. vor Jahren zu seinen Prälaten sagte? - Wohlan, ich werde es Euch zitieren :

‚Was könnt ihr den Menschen predigen?

Demut? Ihr seid der Stolz selbst, aufgeblasen, pompös und verschwenderisch!

Armut? Ihr seid so habgierig, dass alle Reichtümer der Welt euch nicht zufrieden stellen könnten.

Keuschheit? Davon wollen wir schweigen ...‘

Als ich zum ersten Mal von dieser Schelte vernahm, glaubte ich noch, der Heilige Vater habe übertrieben, um den Männern die Notwendigkeit der Demut deutlicher vor Augen zu führen. Heute weiß ich, der Mann hatte nur zu recht und dabei noch untertrieben, denn seine Aussage trifft nicht nur auf die Prälaten zu, sondern auch auf die niederen Würdenträger der Kirche.“

Inzwischen hatten wir fast Reinalds Kate erreicht. Die letzten Meter legten wir schweigend zurück, warfen dann unser Gepäck auf den Tisch und ließen uns müde auf die Bänke fallen.

Alles für die Katz - Lippe 1358

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