Читать книгу Alles für die Katz - Lippe 1358 - Ulrich Pflug - Страница 14
„Oh, mein geliebter Gatte, ich habe eine unangenehme Nachricht für dich. Reinald und ich haben soeben Besuch von einer Horde Männer erhalten, die im Begriff sind, uns zu entführen. Ich weiß zwar noch nicht wohin, aber ich werde es dir noch mitteilen.“
ОглавлениеIch bekam einen gewaltigen Schreck. Zum einen wegen des unerwarteten ‚Anrufs’, zum anderen wegen des Inhalts. Abrupt blieb ich stehen und hätte am liebsten laut losgeschrieen, brachte aber zum Glück keinen Ton heraus.
„Kannst du das nicht verhindern? Du hast doch gesagt, du seiest eine Hexe?“ ging es mir durch den Kopf.
„Eine Zauberische, habe ich gesagt. Aber egal! Jetzt überschätzt du jedenfalls meine Möglichkeiten. Ich kann dich auch nicht einfach in deine Zeit zurück versetzen, falls du das meinst. Um das zu tun, müsste ich dich berühren können. Als ich uns in diese Zeit versetzte, hast du mich auf dem Arm getragen. Erinnerst du dich? Außerdem – was glaubst du, würde dann wohl aus Reinald? Ich dachte, wir wollten ihm helfen!?“
„Ich finde das absolut nicht lustig!!“ dachte ich angestrengt, wobei ich hoffte, dass sie auch meinen Ärger über diese verkorkste Lage ‚hören’ konnte. „Was machen wir jetzt?“
„Wir?? – Du! Schließlich befinden wir uns im Zeitalter der ritterlichen Helden, da darf ich doch wohl annehmen, dass du weißt, was zu tun ist.“
Ich hatte den Eindruck, dass ihr die missliche Lage, in der wir uns befanden, auch noch gefiel, denn sie klang irgendwie begeistert. – Nun, ich war’s nicht!
„Ich bin kein Held, war nie einer und will auch keiner werden!!“ dachte ich wütend.
„Oh, oh - was würden die Gefährten deiner Jugend zu solch einer Einstellung sagen?“
Ich sah sie förmlich vor mir, wie sie in gespielter Empörung den Kopf schüttelte und sich über meine Hilflosigkeit amüsierte. „Robin und Little John, die Freunde aus deiner Jugend, würden sich schamrot von dir abwenden. Ja, sogar bestreiten, dich überhaupt gekannt zu haben. Selbst der sanftmütige Bruder Tuck würde dich eher exkommunizieren, als dir Absolution für dieses Bekenntnis zu erteilen. Also streng dich ein bisschen an! Lass dir etwas einfallen und befreie Reinald und mich aus den Händen dieser Unholde.“
„Hol’s der Teufel!“ fluchte ich laut, als ich fühlte, wie ich an den Schultern geschüttelt wurde.
„Roger, was ist los mit dir?“
Hagen stand vor mir, hatte mich an den Schultern gepackt und sah mich mit großen Augen an.
„Ist dir nicht gut? Bist du krank? Du bist plötzlich stehen geblieben und wurdest weiß wie eine frisch gekalkte Wand. Dann hast eine Weile völlig abwesend vor dich hin gestarrt und plötzlich begonnen zu fluchen. – Bist du sicher, dass alles mit dir in Ordnung ist?“
In Ordnung? Nichts war in Ordnung!! Nur konnte ich ihm den Grund dafür natürlich nicht nennen, denn wie hätte ich ihm meine mentale Plauderei mit Silvia erklären sollen?
„Irgend etwas stimmt nicht! Silvia und Reinald droht Gefahr! Komm!“
Ich rannte los, ohne eigentlich zu wissen, was ich tun wollte. Silvia hatte etwas von einer Horde finsterer Gestalten gesagt. Eine Horde! – Wie viele waren das? Hatten wir zu zweit überhaupt eine Chance? Hinter mir hörte ich Hagen keuchen.
„Wie ... wie ... wie kommst darauf, dass den beiden Gefahr drohen
könnte? Hast du das zweite Gesicht?“
„Intuition.“ erwiderte ich knapp, weil mir keine vernünftige Antwort einfallen wollte und mir genügend andere Dinge durch den Kopf gingen. Was würde geschehen, wenn es mir nicht gelang, wieder in Silvias Nähe zu kommen? Ich sah mich schon ziemlich verlassen durch eine Zeit wandern, in die ich nicht gehörte, und das war eine Vorstellung, die mir nicht wirklich behagte.
„Intu ... was?“
„Vergiss es! Glaub mir einfach!“
So sehr wir uns auch beeilten, ganz so schnell, wie ich es mir gewünscht hätte, kamen wir leider nicht vorwärts. Dazu war das Unterholz zu dicht. Obwohl mir selbst heute noch jegliches Zeitgefühl für diesen Lauf fehlt, brauchten wir bestimmt mehr als fünf Minuten, bevor wir in die Nähe des Lagerplatzes kamen. Wir hatten noch nicht den Waldsaum erreicht, als wir Hufgetrappel und Stimmengewirr hörten. Sehr vorsichtig, jeden Busch als Deckung nutzend, schlichen wir uns durch den lichter werdenden Wald an die Wiese heran - und erblickten schließlich das Malheur, dass unsere Gefährten ereilt hatte. Sie befanden sich in der Gewalt von vier Berittenen und acht Soldaten zu Fuß. Das war sehr leicht zu erkennen, denn man hatte sich bereits auf dem Weg zu einem Zug formiert und stand kurz vor dem Aufbruch. Die Spitze bildeten zwei Reiter, von denen der eine, ein blonder Jüngling, in einem auffälligen Plattenharnisch steckte. Dahinter kamen Silvia und Reinald, dann folgten zwei weitere Reiter und den Schluss des Zuges bildeten die acht Soldaten, die auch den Handkarren zu ziehen hatten.
„Verdammt! Der Kerl in der Plattenrüstung, das ist der Sternberger“, zischte Hagen neben mir, wobei er auf den Blonden zeigte. „Die anderen auf den Gäulen kenn ich nicht, aber das Fußvolk gehört eindeutig zum Sternberg. Ich erkenn es an dem Wappen.“
„Sprachst du nicht davon, dass dies ein kaum benutzter Weg sei?“ wisperte ich ärgerlich.
„Ist es ja auch!“ zischte Hagen empört zurück. „Konnte ich ahnen, dass ausgerechnet heute der Sternberger diesen Weg nehmen würde?“
„Der Sternberger? Kennt du den Mann?“ wisperte ich.
„Kennen? Wie sollte ich einen Grafen kennen? Aber der Blonde in der Rüstung ist Alf, der jüngste Sohn des Grafen zu Sternberg“,
flüsterte Hagen. „Ich bin ihm im vergangenen Jahr auf einem Markt in Hameln begegnet.“
„Aber warum, zum Teufel, schleppen die ein Weib und einen harmlosen Mönch fort?“ fluchte ich. „Ist dieser Sternberger ein Raub-ritter, oder ist es hierzulande Sitte, Reisende zu verschleppen?“
„Was weiß denn ich! Vielleicht hat es sich bereits bis zum Sternberg herumgesprochen, dass Balduin den Mönch suchen lässt, und einer von denen hat ihn erkannt. Auf jeden Fall scheint man sie zur Burg zu bringen. Schau nur, sie ziehen los.“
„Verdammt, verdammt, verdammt!“ fluchte ich und mochte kaum glauben, was ich sah, aber es war tatsächlich so. Schon hatte sich die Kolonne in Marsch gesetzt. Einer nach dem andren verschwand hinter den Bäumen und zwei Minuten später war nicht einmal mehr der Hufschlag der Pferde zu hören.
Hagen schaute genau so verständnislos hinterdrein wie ich. Allerdings aus einem anderen Grund.
„Das versteh’ ich nicht“, murmelte er. „Ich hätte geschworen, dass sie den Wald nach uns absuchen oder zumindest auf uns warten, um auch uns mitzunehmen.“
„Wahrscheinlich wissen sie nichts von uns“, entgegnete ich. „Silvia wird es ihnen schwerlich mitgeteilt haben und Reinald scheint ihnen auch nichts gesagt zu haben.“
Wir liefen über die Wiese auf den Weg und schauten ziemlich dumm den Weg hinunter, den die Entführer unserer Gefährten eingeschlagen hatten. Tja, da stand ich mit meinem Talent, hatte Mittelalter ‚live‘ - und nicht die Spur einer Ahnung, was ich mit dieser Situation anfangen sollte. Wie hatte Silvia doch auf dem Toythof gesagt? – ‚Musst gut auf mich Acht geben.‘ – Und was tat ich? Ich ließ mir von einem dahergelaufenen blondgelockten Jüngling im Blechanzug die Frau klauen! Das ging nun wirklich zu weit. Ich merkte, dass ich langsam wütend wurde – und Wut kann manchmal auch hilfreich sein. Der Zorn auf den Blechbüchsenheini sowie die Sorge um Silvia verdrängten gänzlich meine Angst, im Mittelalter festzusitzen.
„Was nun?“ fragte Hagen. „Folgen wir ihnen?“
„Was sonst? Komm!“
Wir rannten den Weg hinunter, den die Ritter mit ihren Gefangenen
genommen hatten und wurden erst langsamer, als wir den Hufschlag ihrer Pferde hörten. Uns geflissentlich außer Sichtweite haltend, folgten wir ihnen eine gute Viertelstunde, als der Weg plötzlich abschüssig wurde, um nach einer scharfen Biegung auf eine kahle Hochfläche zu münden. Noch im Schutze des Waldes blieben wir stehen und mussten hilflos zusehen, wie die Ritter mit unseren Gefährten über das kleine Plateau zogen, an dessen Ende auf einem Bergsporn Burg Sternberg lag.
„Jetzt haben wir ein Problem“, stellte ich fest, als der Tross mit lautem Gepolter über die Zugbrücke in der Burg verschwunden war.
„Das magst du wohl sagen“, nickte Hagen.
In der vagen Hoffnung, ich könne eine Stelle entdecken, an welcher man des Nachts in die Burg eindringen konnte betrachtete ich das Gemäuer genauer, konnte aber – selbstverständlich! - keinen einzigen Schwachpunkt entdecken. Meine Idee war ja auch von vornherein völlig illusorisch, um nicht zu sagen: idiotisch gewesen. Burgen wurden schließlich nicht dafür gebaut, um ungebetenen Besuch zu erhalten, sondern sie sollten eben diesen verhindern. Und dazu schien dies Gemäuer in der Lage zu sein. Ich konnte zwar die strategische Bedeutung der Anlage nicht wirklich ermessen, aber eines wurde selbst mir klar - um einen kleinen Möchtegernstrategen wie mich v o r den Mauern zu halten, langte es allemal.
„Was nun? Hast du einen Vorschlag?“
Ich blickte Hagen hilflos an.
„Nein“, erwiderte der kopfschüttelnd. „Hier, direkt unter den Zinnen der Burg, ist aber nicht der rechte Ort für einen Kriegsrat. Ich denke, wir sollten uns ein Plätzchen suchen, wo wir uns in Ruhe unterhalten können. Außerdem habe ich Hunger. Mit ein wenig Glück läuft uns ja etwas über den Weg, das essbar erscheint. Gott sei Dank haben wir unsere Waffen noch. Stell dir vor, wir hätten sie vorhin im Lager gelassen!“
„Das du jetzt ans Essen denken kannst“, sagte ich kopfschüttelnd.
„Durch unser Fasten ist niemandem geholfen“, rechtfertigte er sich gelassen. „Du bist doch lange genug Soldat, um zu wissen, dass in solchen Fällen nur Geduld weiterhilft.“
„Da hast du allerdings recht.“
Der zarte Hinweis auf meine langjährige Söldnerkarriere beschämte
mich, half mir aber, mich zusammenzureißen. Dank Silvias Erzählungen musste ich als altgedienter Kämpe logischerweise über die nötige Erfahrung verfügen. Hagens Bemerkung war durchaus angebracht gewesen. Er durfte mit Fug und Recht von mir erwarten, dass ich ihm sagte, was in diesem Fall zu tun war, und nicht etwa umgekehrt.
Wir machten uns auf in den Wald, um ein lauschiges Plätzchen zu suchen, wo wir uns beraten konnten. Die zwei Hasen, die uns dabei über den Weg liefen, hatten einfach Pech. Nach einer kleinen Viertelstunde kamen wir auf eine Lichtung, die weit genug von der Burg entfernt war, dass wir ein Lagerfeuer entzünden konnten, ohne dabei Gefahr zu laufen, entdeckt zu werden. Trockenes Holz für das Feuer war rasch gefunden, Während ich noch darüber nachdachte, wie man wohl einen Hasen ausnimmt und aus der Decke schlägt, hatte der Bogner bereits mit dieser Arbeit begonnen. Er tat sie mit einer Geschicklichkeit und in einer Geschwindigkeit, die den erfahrenen Wilddieb verriet. Fasziniert schaute ich ihm zu.
Mit dem Messer öffnete er die Bauchhöhle eines der Hasen, sodass die Eingeweide sichtbar wurden. Dann hielt er ihn mit einer Hand an den Vorderläufen fest, bog den Körper zurück, sodass er auch die Hinterläufe zu fassen bekam, und schleuderte dann den Hasen nach vorn, ohne dabei die Läufe loszulassen. Der Tierkörper blieb in seiner Hand, während die Eingeweide in die Büsche flogen. Anschließend zog er das Fell ab und verfuhr mit dem anderen Hasen in gleicher Weise. Auf Stöcke gespießt brieten die Tiere wenig später über dem Feuer. Geschmacklich entsprach unser Mahl keineswegs meinen Vorstellungen. Es ist ein Unterschied, ob man gut abgehangenes, wohlmöglich mariniertes Fleisch auf den Grill legt oder, wie wir, sehr frisches Fleisch über offenem Feuer brät. Wir besaßen ja nicht einmal Salz zum Würzen. Unsere gesamten Vorräte lagen in Reinalds Handwagen, und der stand gut verwahrt in der Burg. Immerhin wurden wir satt und das war die Hauptsache.
Hagen lag neben dem nur noch glimmenden Feuer und stocherte mit einem Holzspan in den Zähnen.
„Nun, ist dir inzwischen ein Einfall gekommen, Roger?“ fragte er, seinen Zahnstocher in die Glut werfend.
Da war sie, die Frage die ich gefürchtet hatte. Nun hieß es Farbe bekennen. Um noch ein wenig Zeit zu gewinnen, schaute ich zu, wie das Holz Feuer fing und kurz aufflammte, ehe ich antwortete.
„Nicht wirklich. – Ich hörte, dass der Sternberger Leute sucht, die mit einer Waffe umgehen können. Wir sollten versuchen, uns bei dem Grafen als Bogenschützen zu verdingen. Wenn‘s klappt, wären wir schon einmal in der Burg. Wir müssten dann nur noch herausfinden, wo man unsere Gefährten gefangen hält, die beiden befreien und aus der Burg verschwinden.“
„Nur noch...“, lachte Hagen. „Mann, es dürfte schon schwierig genug sein, zu den Kerkern zu gelangen, doch anschließend ungesehen aus der Burg verschwinden?“ Er kratzte sich am Kopf. „Das halte ich für unmöglich. Die Torwache wird uns kaum die Brücke herunterlassen und uns eine gute Reise wünschen. Zudem sind wir zu Fuß den Rittern hoffnungslos unterlegen.“
Damit hatte er fraglos recht, doch so schnell wollte ich mich nicht geschlagen geben.
„Dann müssen wir uns eben in der Burg Pferde besorgen.“
Der Bogner nickte bedächtig.
„Ja, selbstverständlich - und uns dann obendrein mit den Stallknechten herumschlagen.“
„Ja, zum Teufel, was sollen wir denn dann tun?“ explodierte ich. „Ihnen mit einem Pfeil einen Fehdebrief ans Burgtor nageln? Ich kann nicht hier herumsitzen und nichts tun, verstehst du? Mein Weib ist da drin!“
Schon erstaunlich! Ich meinte es wirklich so, wie ich es sagte! Wenn ich am Abend vorher noch darüber gerätselt hatte, was mir Silvia eigentlich bedeutete, bezeichnete ich sie jetzt bedenkenlos als mein Weib und war bereit, mich mit jedem zu prügeln, der das in Frage stellen wollte.
Hagen lächelte schwach.
„Ich glaube nicht, dass dein Plan funtionieren wird, aber die Art, wie wir in die Burg gelangen können, scheint mir die einzig richtige zu sein.“
Noch den ganzen Nachmittag beratschlagten wir, wie wir unsere Gefährten befreien könnten, kamen jedoch immer wieder auf den ersten Plan zurück. So man uns als Söldner einstellte, mussten wir uns ja frei bewegen können und unseren Arbeitsplatz kennen lernen.
Wenn wir bei dieser Umschau in die Nähe des Kerkers gerieten, so hatten wir uns eben verlaufen. Problematisch blieben natürlich die Befreiung und die Flucht. Wir hofften darauf, dass die Burg nachts nicht stark bewacht wurde, da zur Zeit ja Frieden im Lande herrschte. Es müsste also möglich sein, die Torwachen zu überwältigen und dann zu fliehen. Die Dämmerung sank bereits als wir uns entschlossen, endlich ein Nachtlager zu bauen. Wir schlugen etliche Zweige von Fichten und Tannen, die wir schuppenförmig übereinander legten. Darauf kam ein großer Haufen Laub und fertig war das Bett.
„Nicht so angenehm wie ein Strohsack und ein paar Felle, doch für die heutige Nacht muss es genügen“, sagte Hagen, der meinen misstrauischen Blick auf unser Lager bemerkt hatte. „Ihr werdet doch wohl nicht alt, Herr Roger? Willst du mir weis machen, dass ein Krieger wie du ständig in einer Herberge übernachtet hat?“
„Zumindest in den letzten Jahren ist mir ein solches Bett erspart geblieben“, grinste ich verlegen. „Man wird eben bequem.“
Wir entzündeten das Lagerfeuer neu, hielten es aber sehr klein, um zu vermeiden, dass sein Schein durch einen dummen Zufall entdeckt würde. Noch eine ganze Weile unterhielten wir uns, unterließen es aber, über unser Vorhaben am nächsten Tag zu sprechen. Irgendwann krochen wir in unseren Laubhaufen und versuchten zu schlafen.