Читать книгу Einführung in die Medienlinguistik - Ulrich Schmitz - Страница 15
4. Mediengeschichte und Sprachwandel 4.1 Sprachwandel
ОглавлениеSprache als Form ohne Identität
Sprache ändert sich fortwährend. Denn sie ist nicht fixiert und kann sich wechselnden Bedürfnissen schnell anpassen. Medien forcieren das und beschleunigen Sprachwandel. Schauen wir uns das einmal genauer an.
Sprache selbst, wenn man sie losgelöst von ihren Sprechern und ihrer Verwendung betrachtet, ist reine Form und gerade deshalb stets flüchtig und veränderlich. Humboldt (1963: 418) begriff Sprache – und niemand wird das besser formulieren können – als „die sich ewig wiederholende Arbeit des Geistes, den articulirten Laut zum Ausdruck des Gedanken fähig zu machen“. Deshalb gibt es – wir folgen Saussure (1997: 107) – nichts Festes in der Sprache, keine Identität. Vielmehr ist Sprache nichts als ein „Geflecht [Aplexusa] ewig negativer Differenzen“ (ebd. 156). Beispielsweise – um diesen abstrakten Gedanken zu illustrieren – sind die Laute/l/und/r/, die durch die Buchstaben aLA und aRA dargestellt werden, keine selbständig geltenden Einheiten. Vielmehr werden sie nur dann zu Werten in einer Sprache, wenn ihre Differenz für die Sprecher wichtig ist. So etwa im Deutschen: Nicht die Laute selbst, sondern nur der Unterschied zwischen den beiden Phonemen trägt den Bedeutungsunterschied zwischen solchen Wörtern wie leise und Reise, Laute und Raute, Leben und Reben und so fort. In den meisten ostasiatischen Sprachen spielt dieser Unterschied aber keine Rolle, obwohl es die Laute rein physikalisch natürlich auch gibt. Auch auf den anderen Ebenen besteht jedes sprachliche System nur aus Relationen. Zum Beispiel Wörter benennen nicht etwa objektiv existierende Gegenstände, sondern unterscheiden Sachverhalte auf eine von Sprachgemeinschaft zu Sprachgemeinschaft verschiedene Weise.
allein durch Anerkennung
Sprache als Form existiert also bloß als ein willkürliches bewegliches Gefüge (System) wechselseitiger Unterschiede; die Regeln gelten allein durch gewohnheitsmäßige Anerkennung im Gebrauch. Logisch gesehen ist Sprache „auf die Unvernunft selbst gegründet“ (ebd. 146). Gerade deshalb ist sie so praktisch in der Anwendung, weil jederzeit anpassungsfähig. Sprachgebrauch ist „Wirbel der Zeichen“ (ebd. 355), permanenter Sprachwandel eine soziohistorische Notwendigkeit.
Jede neue Generation, jeder neue Tag, jede neue Situation verändert sprachliche Gewohnheiten in unterschiedlichen Größenordnungen. Keller (2014: 208) zufolge ist sprachliche Kommunikation eine artspezifische Methode, „den anderen zu etwas Bestimmtem zu bringen“. Dabei spielen Erfolg und Misserfolg eine Rolle, so dass Sprache sich über längere Zeiträume hinter dem Rücken der einzelnen Sprecher – von Menschen gemacht, doch nicht willentlich beeinflusst – so entwickelt, wie es durchschnittlich für alle am effizientesten ist. Das geschieht innerhalb von Lebensverhältnissen, die sich andauernd ändern. Solchen Änderungen kann und muss Sprache gerecht werden. Wachsende Bevölkerung, komplexere gesellschaftliche Strukturen und differenziertere Bedürfnisse, unterstützt durch kommunikationstechnische Entwicklungen, treiben Sprachwandel an. Medienlinguisten interessieren sich auch dafür, wie medialer Sprachgebrauch das Sprachsystem beeinflusst. Es wandelt sich ja unentwegt, auch wenn man das oft erst im Nachhinein bemerkt. (Zum Sprachwandel in der Mediengeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts vgl. von Polenz 1999.)