Читать книгу Zorn und Freundschaft. Max Frisch 1911-1991 - Urs Bircher - Страница 22

Die Wege ins bürgerliche Leben: Schreibverbot und Architekturstudium

Оглавление

Die Entscheidung gegen die Kunst und für die Bürgerlichkeit fiel 1936, als Frisch an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich (eth) das Studium der Architektur aufnahm. Sie wurde mit einer Manuskriptverbrennung besiegelt. Im Herbst 1937 »wurde alles Geschriebene zusammengeschnürt, inbegriffen die Tagebücher, und alles dem Feuer übergeben. Ich mußte zweimal in den Wald hinaufgehen, so viele Bündel gab es, und es war, ich erinnere mich, ein regnerischer Tag, wo das Feuer immer wieder in der Nässe erstickte, ich brauchte eine ganze Schachtel Streichhölzer, bis ich mit dem Gefühl der Erleichterung, auch der Leere weitergehen konnte.« – »Das heimliche Gelübde, nicht mehr zu schreiben, wurde zwei Jahre lang nicht ernstlich verletzt.«117

Die Gründe für diesen Entschluß waren vielfältig. Die ablehnenden Reaktionen Hermann Hesses, Werner Coninx' und anderer auf die »Bergerzählung« – die deutsche Tageskritik hatte sie überwiegend gelobt – bestärkten Frisch in der Furcht, als Schriftsteller nicht zu genügen. Später sprach er von einem eigentlichen »Zusammenbruch«,118 der ihn veranlaßt habe, die Schriftstellerei aufzugeben und, fünfundzwanzigjährig, ein Architekturstudium zu beginnen. Werner Coninx, der reiche Schulfreund, setzte ihm ein Stipendium aus: 16 000 Franken verteilt auf vier Jahre – eine ansehnliche Studentenbörse, die ungefähr dem späteren Anfangsgehalt des dipl. Arch. Max Frisch entsprach. Auch außerliterarische Ereignisse spielten wohl eine Rolle: 1936 wollte Frisch Käte Rubensohn heiraten. (Auf dem Zürcher Standesamt wurde ihm unaufgefordert ein Arierausweis ausgehändigt!) Käte lehnte den Heiratsantrag schließlich ab. Einmal, weil sie argwöhnte: »Du bist bereit, mich zu heiraten, nur weil ich Jüdin bin, nicht aus Liebe.« (Montauk) Zum andern habe sie ihn darauf hingewiesen, daß er »nichts erlernt hätte, was man einen Beruf nennen könnte«.119

Soweit die Geschichte, wie Frisch sie überliefert hat. Sie enthält manche Selbststilisierung. Zum Beispiel: Frisch hatte sein Architekturstudium damals keineswegs als Gegensatz zur Schriftstellerei konzipiert. Käte Rubensohn brachte ihn auf die Idee, zur Überbrückung literarisch nicht inspirierter Zeiten ein anderes Arbeitsfeld anstelle des zunehmend lästigen Journalismus zu suchen, ein Feld, das ebenfalls kreativ, aber nicht literarisch besetzt war. Auf Vermittlung ihres einflußreichen Onkels Ludwig Borchardt kam ein Beratungsgespräch mit Peter Meyer, dem Zürcher Professor für Architektur und Städtebau, im Café Select zustande. Frisch berichtete Käte davon in einem Brief vom 24. März 1936. Er bestätigt darin nicht nur ausdrücklich, daß er die Idee zum Architekturstudium von Käte erhalten habe, er hebt auch explizit den komplementären Nutzen von Architektur und Schriftstellerei hervor: Er denke, »daß es für mein Schreiben, also für das eigene, sehr förderlich sein könnte, wenn ich in einem völlig anderen, völlig literaturfernen Bezirk künstlerischen Wirkens mich betätigen dürfte, vorallem natürlich, weil die Architektur in hohem und glücklichem Maß mit dem Stoff, mit dem Material verbunden bleibt. Gerade dieses An-die-Dinge-heran ist ja meine Sehnsucht, dieser Wunsch auch nach Substanz im äußerlichen Sinn. Substanz im innerlichen Sinn, auch darin dürfte sich eine Bereicherung erhoffen lassen, nicht nur weil man mit Menschen völlig andren Geistes zusammenstößt und zum Beispiel auch volkswirtschaftlich manchen Einblick gewinnt, weil man diese praktischen Zeiten auf dem Bau mitmacht, was übrigens für mich ein prächtiger Fund sein dürfte – sondern vorallem weil man dem Wesen der Kunst vielleicht näher kommt, wenn man sie in zwei Ausstrahlungen nicht nur kennt, sogar auch ausübt. Ich glaube nicht, daß dann nichts mehr übrig bliebe auf beiden Seiten, im Gegenteil, vielleicht würde sich mein Schreiben von manchem reinigen, was nicht in diesen Bezirk gehört, und da die Architektur jedenfalls, ob ich sie so oder so ausüben würde, in engster Verbindung mit dem Leben, mit dem Wohnen, mit der sozialen Struktur einer Zeit steht, würde sie gewiß gerade für mein Schreiben, das ich auf keinen Fall preisgeben wollte, eine Bereicherung bedeuten.«120 Der Brief belegt, daß Frisch nicht, wie er später behauptete, das Schreiben zugunsten der Architektur aufgeben wollte; im Gegenteil, er reflektierte mit großer Sorgfalt die sinnvolle Kombination beider Tätigkeiten.

In den Herbst 1937 fiel auch die Trennung von Käte. Sie berichtete von einer schweren Krise: »Es war eine sehr sehr traurige Erfahrung, die wir beide machen mußten, daß die Liebe erloschen war, auf jeden Fall nicht mehr die alte war. Das Auseinandergehen fiel uns beiden unendlich schwer. Es gab Augenblicke, in denen ich ganz verzweifelt war, und ich habe mich nur aufgefangen, indem ich den Entschluß faßte (im Frühjahr 1938), nach Basel überzusiedeln, um die Trennung von Max zu überwinden.«121 Eine Schaffenskrise, Hesses negatives Urteil zur Antwort aus der Stille, die Trennung von Käte – es gab verschiedene Gründe für einen affektiven Zusammenbruch des jungen Manns.

Erst Jahrzehnte später hat Frisch die damalige Krise mit ihrer Manuskriptverbrennung und dem ›Schreibverbot‹ zu einer planvollen Handlung uminterpretiert.122

Zu berichtigen ist auch die Legende, Käte habe seinen Heiratsantrag 1936 abgelehnt, weil er »nichts erlernt hätte, was man einen Beruf nennen könnte«. Käte Schnyder-Rubensohn erinnert sich einer früheren Liebe Frischs namens Fanny – im Jürg Reinhart taucht sie als Erzählepisode auf –, die ihn mit diesem Argument abgewiesen habe. »Das war eine ganz zentrale Erfahrung für ihn«, die noch bei der späteren Hochzeit mit der Constance von Meyenburg eine Rolle gespielt hat.123 Zutreffend ist, daß Käte nicht aus Mitleid geheiratet sein wollte. Mit gutem Grund. Bereits am 29. August 1934 hatte ihr Max unmißverständlich erklärt, daß er für die Ehe nicht geschaffen sei: »Ich glaube an das Mysterium des Lebens, ich glaube an die Gewalt der Liebe und der Untreue, ich glaube an das schmerzlich Unberechenbare unseres Tuns … ich glaube an den Sinn, den wir nicht sehen können und den wir als Rätsel austragen müssen. Darum dünkt mich der größte Witz, den sich die Menschen erlauben: die bürgerliche Heirat, die wohl als Organisation der Masse, die ohne Eigenhaltung ist, ihre Notwendigkeit hat, aber die eine Überheblichkeit ohne Grenzen darstellt, indem die Unterzeichnenden die Welt und ihr unsagbares Vorhaben, das wir Schicksal heißen, einfach durchstreichen wollen …«124 Um so verwunderter – und verletzt – war Käte, als Frisch ihr acht Jahre später kommentarlos eine Heiratsanzeige schickte, auf der in gutbürgerlicher Manier die Eltern der Braut auf der einen, die Mutter des Bräutigams auf der anderen Seite sich beehrten, die Hochzeit ihrer Kinder anzuzeigen: die Hochzeit zwischen Max Frisch und Gertrude Constance von Meyenburg.

Mit der Manuskriptverbrennung schließt eine erste Arbeitsphase (1932 bis 1937). Aus den Briefen an Käte Rubensohn geht hervor, daß unter den verbrannten Manuskripten zwei weitgediehene Stückentwürfe waren, ferner ein Doppelgängerroman mit dem Titel Der Häßliche und der Heilige, ein fast fertiger Roman mit dem Titel Stern des Friedens (der möglicherweise identisch ist mit dem 1937 veröffentlichten Text Antwort aus der Stille) und eine fertige Erzählung Der Erneuerer. Wie muß dem jungen Mann zumute gewesen sein, als er, kurz nach der Absage an die Schriftstellerei, seinen ersten literarischen Preis erhielt: den mit 3000 Franken sehr gut dotierten Conrad-Ferdinand-Meyer-Preis der Stadt Zürich?125

Fragen wir abschließend nach den Autoren, die Frisch in diesen frühen Jahren gelesen und für wichtig befunden hat, so verwundert es nicht, daß sein literarischer Geschmack durchaus seiner politischen Haltung entsprach. Exzentrische, experimentelle oder oppositionelle Literatur war ihm fremd. Seine Präferenzen galten konventionellen, bürgerlichen Schriftstellern. Abgesehen von den zahlreichen Neuerscheinungen, die er für die NZZ rezensierte – es handelte sich meist um zweitrangige Literatur –, las und schätzte er vor allen Albin Zollinger, Hermann Hesse, Max Mell, Heinrich Wackerl und Hans Carossa, dessen Kriegstagebuch sowie Führung und Geleit er mehrfach genau studierte. Von Wiechert schätzte er Die Majorin, Pagnols Komödien begeisterten ihn, doch seine »Bibel«, wie er es nannte, war Rilkes Malte Laurids Brigge. Von den älteren Autoren schätzte er besonders Gottfried Keller sowie den Don Quichote und Goethes Gespräche mit Eckermann. »Er las wenig, doch manche Bücher mehrfach, um deren Machart genau zu ergründen«, erinnerte sich Käte Rubensohn.126

Zorn und Freundschaft. Max Frisch 1911-1991

Подняться наверх