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Von der geistigen zur militärischen Landesverteidigung

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Am 1. September 1939 überfiel Deutschland Polen. Zwei Tage später traten England und Frankreich in den Krieg. Der Schweizer Bundesrat ordnete die Generalmobilmachung an. Die Vereinigte Bundesversammlung hatte bereits am 30. August den Gutsherrn und Berufsmilitär Henri Guisan zum General, dem Oberbefehlshaber der Schweizer Armee zu Kriegszeiten, gewählt.156 Max Frisch, der gerade mit seinem ersten Bauauftrag, einem Taubenhaus und einem Kinderplanschbecken, beschäftigt war, rückte als Kanonier ins Tessin ein. Hier wurde er beim Bunkerbau eingesetzt. Vom Frieden zum Krieg, vom Taubenhaus zum Bunker – der Übergang hätte symbolischer nicht sein können.

In der Armee begann Frisch wieder intensiv zu schreiben. Er verfaßte ein Tagebuch, die Blätter aus dem Brotsack: »Nach den ersten [schriftstellerischen, U.B.] Anfängen, die sehr ungenügend waren … gab ich mir das Versprechen, nie wieder zu schreiben, und dann brach der Krieg aus, und unter dieser Bedrohung, die ich damals sehr ernst nahm (ich hatte nicht gedacht, daß wir ausgelassen würden), hab ich sozusagen für die letzte Zeit, die noch blieb, nochmals für mich diese Notizen gemacht und ohne jede theoretische Überlegung, ohne jede Reflexion in dieser unpraktischen Situation des Soldatseins natürlich das Tagebuch gewählt, denn das war möglich, daß ich in einer halben Stunde Feierabend, oder zwischendurch Notizen machen konnte; und ich habe eigentlich dort ohne viel Bewußtsein eine Form für mich entdeckt, die offenbar eine der möglichen Formen für mich ist.«157

Die Todesahnung war nicht unberechtigt. Die Spitzen von Politik und Armee rechneten 1939/40 ernsthaft mit dem Einmarsch der Reichswehr, und sie wußten auch, daß die Schweizer Truppen diesen Angriff nicht hätten aufhalten können. In Jonas und sein Veteran erinnerte Frisch an die Dramatik des 14. Mai 1940, an den Tag, an dem der Einmarsch erwartet wurde.158 Man saß hilflos und wehrlos herum und wußte, in wenigen Stunden konnte alles vorüber sein; man dachte an Selbstmord, an die unerfüllt gebliebenen Sehnsüchte, an den Tod. Der Kommandant der Einheit kommandierte »Bereitschaft zum Letzten, zum Sterben«.159 Wohl eher ins Reich der Legende gehört die Geschichte von der zufälligen Formfindung des Tagebuchs. Immerhin hatte sich Frisch bereits 1935 in Berlin für Hans Carossas Kriegstagebuch begeistert160 und im selben Jahr, in der NZZ vom 16. September 1935, ein eigenes Taschenbuch eines Soldaten in Form eines Tagebuchs publiziert. Vorbild und Erfahrung waren also vorhanden. Eine wirklich eigene Tagebuch-Form entwickelte Frisch erst im Tagebuch 1946–1949.

Zorn und Freundschaft. Max Frisch 1911-1991

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