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»Von der guten Laune und dem Ernst der Zeit«

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Auch das neue Buch sparte, obschon es bis in die Gegenwart führte, das politische Zeitgeschehen aus. Zur Erinnerung: 1942 hatten die Deutschen mit der industriell betriebenen Menschenvernichtung in den kzs begonnen. Zur gleichen Zeit schloß die Schweizer Regierung die Grenzen für alle Flüchtlinge, und Bundesrat von Steiger prägte das schlimme Wort: »Das Boot ist voll.« An der Grenze spielen sich erschütternde Szenen ab.240 Gegen diese Flüchtlingspolitik opponierten breite Kreise. In Zürich öffneten nicht nur linksengagierte Personen, sondern auch manche intellektuelle und gutbürgerliche Häuser, also Frischs eigene Kreise, demonstrativ ihre Häuser für die Flüchtlinge, so die Rosenbaums, die Humms, die Fleischmanns. Wer wissen wollte, welche Ungeheuerlichkeiten jenseits der Grenzen geschahen, konnte es wissen. Doch Frisch blieb seinem poetologischen Konzept treu, wonach Politik in der Literatur nichts zu suchen habe. Zur Rechtfertigung dieser Auffassung veröffentlichte er in der NZZ vom 21. November 1943 einen Aufsatz mit dem launigen Titel: Von der guten Laune und dem Ernst der Zeit.

Das eine Auge auf die Zeitung gerichtet, worin die Vernichtung Kassels berichtet wird (eine Untat der Alliierten, nicht der Nationalsozialisten), »das andere Auge auf die Milchpfanne … die jeden Augenblick meine Geistesgegenwart erfordert«,241 mit diesem Bild umriß Frisch seine Situation als Dichter im Zeitgeschehen. Dichtung ist die Milchpfanne, welche die ganze Geistesgegenwart erfordert. Ein zweites Bild – Christi Kreuzigung von Pieter Bruegel – sollte das Verhältnis von Zeitgreuel und Dichtung präzisieren. Jäger sehe man auf dem Bild, so Frisch, und Liebende und Äcker und Bauern und Pferde, Städte, Vögel und Kinder, »und man muß schon suchen, wo eigentlich der Heiland mit seinem Leiden stattfindet, nicht in der Bildmitte, nicht größer als alle die anderen …«242 Zumindest hätte Frisch auffallen müssen, daß, im Unterschied zum eigenen Dichten, die Kreuzigung bei Bruegel immerhin stattfand, wenn ihm schon das Auge fehlte, zu sehen, daß Bruegel die Kreuzigung eben dort »am Rand« malte, wo sich die wichtigen Kompositionslinien des Bildes treffen. Will sagen: Die Kreuzigung findet nicht ›unter anderem‹ und ›neben anderem‹ statt, sondern sie ist der Focus, von dem aus die Komposition des ganzen Lebensbildes aufgebaut ist.

Frisch kritisierte zu Recht Abstumpfung, Zynismus und gewissensentlastendes Bekennertum als falsche Haltungen gegenüber dem Zeitgeschehen, und er forderte eine pragmatische Haltung: »Es kommt wenig darauf an, was wir empfunden, oder nicht empfunden haben«, wichtig sei allein, daß die Flüchtlinge Unterkunft, Kleider und Brot hätten.243 Offenbar hatte Frisch aber bereits gespürt, daß das Verhältnis von Politik und Kunst aufgrund der aktuellen Entwicklungen allmählich brisant wurde. 1943 war das Wendejahr des Krieges: Im Januar hatten die deutschen Armeen vor Stalingrad kapituliert, im Mai in Nordafrika, im Juli landeten die Alliierten in Sizilien, Mussolini fiel, und im November 1943 wurde auf der Teheraner Konferenz die Landung in Westeuropa vorbereitet. Der Alptraum vom faschistischen Europa verflog, Deutschlands Zusammenbruch wurde absehbar. Absehbar war somit auch die Frage nach der Mitverantwortung am Krieg, die Frage, wer dereinst zu den Schuldigen, wer zu den Schweigern, den Mitläufern, den Sympathisanten und wer zu den Siegern, auch zu den geistigen und moralischen Siegern, des Kriegs gehören würde. In dieser historischen Konstellation schrieb Frisch seinen Aufsatz über Kunst und Politik. Auch seine erste Ich-Erzählung entstand in dieser Zeit.

Zorn und Freundschaft. Max Frisch 1911-1991

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