Читать книгу Zorn und Freundschaft. Max Frisch 1911-1991 - Urs Bircher - Страница 23
Der Neubeginn des Schreibens
ОглавлениеAls Frisch im Herbst/Winter 1939 wieder intensiv zu schreiben begann, hatte sich seine Situation gründlich verändert. »Das heimliche Gelübde, nicht mehr zu schreiben, wurde zwei Jahre lang nicht ernstlich verletzt; erst am Tag der Mobilmachung, da ich als Kanonier einrückte, überzeugt, daß uns der Krieg nicht erspart würde und daß wir kaum zurückkehren würden, wurde nochmals ein Tagebuch begonnen.«127
Angesichts der Todesgefahr bricht der Architekt sein Gelübde, um das Ende seiner Tage schreibend aufzubewahren. Auch diese Geschichte ist ein Stück weit Legende. Abgesehen davon, daß Frisch nach dem Gelübde mindestens vier weitere Zeitungsartikel mit durchaus literarischem Anspruch, darunter die fünfzehnseitige Jugenderinnerung Der erste Kuß, geschrieben hat, ersuchte er vermutlich im Herbst 1938, auf jeden Fall zu einer Zeit, als die Kriegsereignisse noch keinen Anlaß zum Bruch des »Gelübdes« boten, den eidgenössischen Fonds »zur Unterstützung arbeitsloser Künstler und Intellektueller« um Hilfe und bot dafür eine Novellensammlung an. Am 16. Januar 1939 wurde die Unterstützung gewährt, fünfhundert Franken sofort, weitere fünfhundert nach Ablieferung der druckfertigen Novellensammlung. Am 25. November 1939 bedankte sich Frisch für die ersten fünfhundert Franken und bedauerte, er könne die versprochenen Novellen nicht schicken. An ihrer Stelle kündigte er eine »neue und eben geschriebene Arbeit an: Es ist das Tagebuch eines Soldaten, eine Arbeit aus dem Grenzdienst … Ich danke … hoffe, daß Sie mir die zweite Hälfte möglichst bald zuweisen können, da ich sehr dringend darauf angewiesen bin«.128 Trotz »Gelübde« und »Schreibverbot« beschäftigte sich Frisch also weiterhin mit Schreiben – allerdings ohne den Druck des Broterwerbs und nur soweit das Architekturstudium ihm die Muße ließ.129 Aber mit der Wende 1936 hatte er sich, trotz gelegentlicher Inkonsequenzen, gegen ein Außenseiterdasein als Künstler entschieden. Es war daher nur folgerichtig, wenn er sich im nächsten Lebensabschnitt als guter Bürger unter Gutbürgerlichen etablierte.