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»Geistige Landesverteidigung«

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Dieses Paradox prägte auch das Kulturkonzept, welches unter dem Titel »Geistige Landesverteidigung« in die Geschichte eingegangen ist. Die Wurzeln dieser Ideologie reichen bis in die Kulturkrise nach dem Ersten Weltkrieg zurück. Die Gesellschaft, so vernahm man damals allenthalben, sei von »entwurzelten Großstadtmenschen« und »materialistischem Denken« »durchseucht«. Ein »heimatloses Literatengeschlecht« treibe sein Unwesen, »unter denen es dem ewigen Literaturjuden besonders wohl ist«, wetterte der konservative Volkskulturpapst Otto von Greyerz132 . Die Angst vor dem Neuen war panisch. Weder in der Architektur, noch in der bildenden Kunst, der Literatur oder der Musik hatte die kulturelle Avantgarde in der Schweiz ein Zuhause. Es herrschte der Geist eines »verkrampft politischen Kleinbürgertums«, das in seiner »Ungleichzeitigkeit« mit der technischen und ökonomischen Entwicklung für den Faschismus und Nationalsozialismus besonders anfällig war133 . Führende Intellektuelle der Zeit wie Schaffner, Oltramare, de Reynold sympathisierten offen mit diesen Ideologien.

Die kulturellen Axiome des Nationalsozialismus konnten allerdings nur beschränkt übernommen werden. Die Idee einer Überlegenheit der germanischen Rasse und Kultur über die französische war z.B. für den Erhalt einer mehrsprachigen Schweiz unbrauchbar. Völkische und sprachkulturelle Distinktionen zementierten in Deutschland den nationalen Zusammenhalt. In der multikulturellen Schweiz wären sie Sprengstoff gewesen. Hier mußte eine eigene kulturelle Identität geschaffen werden. Diese Aufgabe übernahm die »Geistige Landesverteidigung«.

Bereits 1934 erschienen erste Schriften, die unter diesem Schlagwort eine national-schweizerische Identität einforderten. Frischs Kritik am Zürcher »Emigrantentheater« mit seiner »leichtfertigen Deutschfeindlichkeit« gehört in diesen Zusammenhang. 1935 debattieren die eidgenössischen Räte das Thema mit dem Ziel eines gesamtschweizerischen Kulturkonsenses. Vom bislang üblichen Kulturföderalismus – jeder sollte in seiner Façon selig sein – ging man über zur offensiven Propagierung einer gesamtschweizerischen Volks- und Bodenideologie, unter deren Dunstglocke sich konservativ-heimattümelnde Kulturkritiker zusammenfinden konnten mit traditionalistischen, aber staatsverdrossenen Intellektuellen sowie mit sozial engagierten, national orientierten Fortschrittlern. 1938 erließ der katholisch-konservative Bundesrat Philipp Etter eine einflußreiche Kulturbotschaft, worin er in beschwörendem Gestus die Prinzipien der »Geistigen Landesverteidigung« postulierte: Wir gehören zwar ebenso zur französischen, deutschen und lateinischen Kultur, wir sind aber in der spezifisch schweizerischen Zusammenfassung dieser Kulturkreise ebenso etwas Neues, Ureigenes, eben etwas Schweizerisches.

Nicht Antifaschismus war der gemeinsame Nenner, auf dem sich die unterschiedlichen kulturellen Kräfte der Schweiz zusammenfinden sollten – ein solches Konzept hätte eine große Toleranz beinhaltet –, sondern die gesamte Kultur wurde eingeschworen auf einen zugleich diffusen wie engen Begriff des »Schweizerischen«. Gleichzeitig faßte Etter den Begriff der Kultur extrem konservativ: Für Geist und Kultur genüge, so der Bundesrat, der Name Jeremias Gotthelf.

An der »Landi 39« – der Landesausstellung in Zürich – erhielt das Konzept seine mythischen Weihen: Die Fahnen aller Schweizer Gemeinden formten vor der erhabenen Kulisse der Mythen – so heißen zwei Alpengipfel im Kanton Schwyz, die bei klarem Wetter von Zürich aus zu sehen sind – ein symbolisches und jedermann verständliches Dach über alle Schweizer. Wer sich diesem Dach entziehen wollte, geriet in den Ruch, ein unzuverlässiger Bürger zu sein. Kritik an der »Geistigen Landesverteidigung« grenzte an geistigen Landesverrat. So hatte die Schweiz in der Abgrenzung von ausländischen totalitären Ideologien ihre eigene entwickelt: auch sie intolerant, aggressiv und totalitär in vielen Zügen134 .

Max Frisch stand bei dieser Entwicklung nicht abseits. Hatte er in Jürg Reinhart noch ganz im Trend der zwanziger Jahre den einzelgängerischen, in der Fremde irrenden Selbstsucher thematisiert, so näherte er sich in Antwort aus der Stille dem Gedankengut der »Geistigen Landesverteidigung«. Inmitten des grandiosen einheimischen Alpenpanoramas fand Dr. Leuthold, der ehrgeizige Einzelgänger, dem die Niederungen der Normalität sterbenszuwider sind, zurück zur Gemeinschaft der Biederen und entdeckte die Würde der tätigen Eingliederung in und Unterordnung unter die Gemeinschaft.

Dabei war Frisch nicht einfach ein unpolitischer Mitschwimmer im nationalistischen Mainstream der Zeit, sondern ein engagierter Mitdenker, der, wie der folgende Brief zeigt, recht militant und unzimperlich auftreten konnte.

Zorn und Freundschaft. Max Frisch 1911-1991

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