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Rache ist süß

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Tanja hatte einen Zwillingsbruder, aber sie sahen sich überhaupt nicht ähnlich. Irgendwie hatte die Natur bei den beiden etwas falsch gemacht. Sie hatte das Gesicht eines Jungen und er das eines Mädchens. Wilhelm Pieck, der erste Präsident der DDR, übernahm für jedes Zwillingspärchen die Patenschaft. Darauf war Tanja mächtig stolz, aber geholfen hat es ihr auch nichts. Denn als ihre Mutter starb, kam sie trotzdem ins Heim. Und hier ließ sich der berühmte Patenonkel auch nie blicken. Dafür strebte sie alle Posten in der Pionierorganisation an, die man nur kriegen konnte. Bald war sie Gruppenratsvorsitzende und der Liebling der Erzieher. Sie versuchte, die Erzieher in allem nachzuäffen. Wenn einer von ihnen einmal fehlte oder später kam, kommandierte sie uns herum, aber dafür beschimpften wir sie mit Wörtern wie: Anschmierer, Anscheißer oder Streber. Da ich mir von ihr gar nichts sagen ließ, rächte sie sich einmal beim Abendbrot.

Der Hausleiter hielt nach dem Essen eine Rede. Im Saal war es mucksmäuschenstill. Jede Gruppe saß an einer langen Tafel, so hatte der Erzieher alle Kinder gut im Blick. Hätte man auch nur ein Wort geflüstert, wäre man aus dem Saal geflogen. Das war schon sehr peinlich, wenn dreihundert Kinder einem hinterherstarrten.

Plötzlich sah ich, wie Tanja einem Mädchen etwas ins Ohr flüsterte. Das ging durch die ganze Reihe wie »Stille Post«, und am Ende sahen mich alle Kinder an. Ich spürte, wie ich dunkelrot wurde. Keiner sah weg, ich wusste nicht mehr, was ich machen sollte, es war eine Folter ohne Worte und Schmerz.

Ich musste etwas tun – aber was? Mein Blick fiel auf die Stullen und die Margarine. Da kam mir eine Idee, wie ein Blitz schoss mir der Gedanke durch den Kopf. Langsam, ganz ruhig beschmierte ich eine Stulle dick mit dem Fett und stand auf. Nun schauten alle Kinder auf mich, staunend, dass ich es wagte, die Rede des Hausleiters zu unterbrechen. Aber nun war mir alles egal, noch röter als eine Tomate konnte ich nicht mehr werden. Ich schritt durch die Reihen auf Tanja zu, die mich verständnislos ansah. Mit der linken Hand griff ich in ihren Nacken und drückte ihr mit der rechten die Stulle so lange ins Gesicht, bis sich die Nase durch das Brot bohrte. Dann ging ich auf meinen Platz zurück. Kein Mädchen sah mehr zu mir, alle schauten Tanja an und lachten schallend.

Der Hausleiter sagte kein Wort. Er wartete, bis es wieder still war, und setzte seinen Vortrag fort, als sei nichts geschehen.

Wir zogen die Köpfe ein, denn wir wussten, die Strafe würden wir von unserer Erzieherin bekommen, und das war schlimmer. Aber ich war zufrieden.

Weinen in der Dunkelheit

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