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Tod

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Ich war gerade zwölf Jahre alt, als ich erfuhr, wie schrecklich der Tod ist.

An besonderen Tagen führten wir mit der Laienspielgruppe kleine selbstinszenierte Stücke auf. Unsere Geschichte handelte von einem kleinen Jungen, der aus seinem Heim wegläuft, weil er sich nicht mehr waschen will. Unterwegs trifft er die Sumpfhexe. Sie findet ihn herrlich dreckig und versucht, ihn mit allen Zaubertricks davon abzuhalten, ins Heim zurückzukehren. Ich spielte eine Blume, und mein Text lautete: »Pfui, von so einem Schmutzfink lasse ich mich nicht pflücken!«

Die Rolle des Schmutzfinken spielte Edgar, ein Waisenjunge. Er war älter als ich und der erste Junge, der mir gefiel. Wenn er lachte, hatte er statt der Augen nur noch zwei schmale Schlitze.

Für ihn war ich nur die »Kleine«, leider!

Ich fand es toll, dass ich mit ihm spielen durfte, wollte aber meinen Text nicht zu ihm sagen. Deshalb flüsterte ich ihn nur. Das brachte mir ziemlichen Ärger mit der Erzieherin ein, so dass ich nur aus Angst, man würde für die Rolle der Blume ein anderes Mädchen nehmen, mich überwinden konnte, laut und deutlich zu sprechen.

Dieses Stück war der größte Erfolg, den wir bisher hatten. Durch die vielen Proben war ich oft mit Edgar zusammen. Hier und da sagte er ein paar nette Worte zu mir, beachtete mich aber sonst nicht weiter.

Wenn ich auf dem Schulhof von Jungs geärgert wurde, rannte ich zu Edgar, und er stand mir bei. Darauf war ich mächtig stolz.

An einem Sonntag ging ich nicht zum Frühstück in den Speisesaal. Mir war nicht gut, weil ich meine Tage hatte. Nach dem Frühstück kamen die Kinder verstört und weinend zurück, sie redeten aufgeregt durcheinander. Ich erfuhr das Unfassbare. Beim Betreten des Speisesaales sahen die Mädchen ein großes Bild von Edgar auf dem Flügel, der auf der Bühne des Saales stand. Während des Essens wurde darüber getuschelt, was das für eine Bedeutung habe, als Herr Hühne den Saal betrat. Da er sonst nur selten im Saal erschien, wussten alle Schüler sofort, dass etwas Außergewöhnliches geschehen sein musste. Er stieg auf die Bühne, stellte sich neben Edgars Bild und sprach mit seiner ruhigen Stimme über Edgar. Dann bat er um drei Minuten des Schweigens, da Edgar soeben im Krankenhaus gestorben sei.

Ich konnte diese Nachricht nicht begreifen. Jetzt fiel mir ein, dass ich ihn schon lange nicht mehr gesehen hatte. Ich wollte es nicht glauben, lief zu den Kumpels seiner Gruppe und fragte nach Edgars Freund. Er war nirgendwo zu finden. Da rannte ich zum Speisesaal und sah auf dem schwarzen Flügel Edgars Bild mit Trauerflor.

Das Gefühl der Traurigkeit, das ich schon bei Christians Unglück kennengelernt hatte, zog sich schmerzhaft durch meinen Körper. Ich stand vor dem Bild und konnte nicht weinen, denn seine Augen lachten – lachten, als wollte er meine Trauer nicht. Erst draußen im Wald, wo ich mit mir allein war, weinte ich und fühlte mit Edgars Tod ein Stück meiner Kindheit sterben.

Weinen in der Dunkelheit

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