Читать книгу Warum ich nicht mehr fliegen kann und wie ich gegen Zwerge kämpfte - Ursula Strauss - Страница 15
PAPA
ОглавлениеAuf meinem Balkon in Wien sitzen neuerdings süße Vögel. Ich freue mich darüber, weil die Tauben endlich weg sind, die nur Dreck gemacht haben. Unlängst war ein Wiedehopf da! Im Hinterhofhaben wir Falken, die fressen die Tauben. Meine Freundin hat ein Video vom Hinterhof gemacht, auf dem man sieht, wie ein Falke eine Taube erlegt, im Flug. Wir waren auf der Seite des Falken, was natürlich sehr grausam ist, aber die Tauben scheißen alles zu. Umgekehrt sind die Tauben ja auch Lebewesen, und man sollte sich nicht einmischen in das Spiel um Leben und Tod. Der Kreislauf der Natur, mitten in der Stadt, mitten im 15. Bezirk. Wenn man genau hinschaut, spielt sich’s auch hier naturtechnisch ordentlich ab. Aber zurück zum Foto.
Meine Großmutter väterlicherseits hieß Maria Strauss, brachte acht Kinder zur Welt und war für uns die »Würnschdorfer Oma«, was sich vom Ort ihrer Herkunft im Waldviertel ableitet. Sie entstammte einer Bauernfamilie in Bergern oberhalb von »Würnschdorf« und heiratete den Ross-Fuhrwerker Franz Strauss, meinen Opa. Ihr Leben war geprägt von harter Arbeit und Kindern. Das Wort Vergnügen war beiden fremd.
Der kleine Rupert, ihr Sohn und mein späterer Vater, ging täglich kilometerweit zur Schule, im Winter oft durch meterhohen Schnee. Ich nehme an, das stärkte seinen Willen, er wurde fleißig und arbeitete sich hoch, obwohl er etliche Rückschläge hinnehmen musste. Er wäre gern Tischler geworden, hätte aber nur eine Lehre im Weinviertel bekommen. Dort wollte er nicht hin, ins Weinviertel, das war ihm zu weit weg vom Waldviertel. Er hätte Heimweh gehabt und machte deshalb eine Bäckerlehre. Die machte er in Pöchlarn. Nach dem Bundesheer bekam er Asthma und konnte den Beruf des Bäckers wegen seiner Mehlstauballergie nicht ausüben. Als 1959 das erste Kind kam, arbeitete er bei der EVN, dem niederösterreichischen Energieversorger. Jetzt war er derjenige, der mit dem Moped kilometerweit zum Dienst fuhr. Ein sicheres Einkommen war wichtig.
Der Papa war patent und begabt in allen Angelegenheiten, handwerklich unheimlich geschickt, er konnte praktisch alles und kämpfte wie ein Löwe, wenn ihm etwas wichtig war.
1967 begannen meine Eltern in einer Siedlung in Pöchlarn ein Haus zu bauen. Es dauerte fünf Jahre, bis sie fertig waren. Sie hatten kein Geld und bauten alles selbst. Nur einen oder zwei Tage während dieser fünf Jahre beschäftigten sie einen Maurer. Sie gossen sogar die Schalsteine für den Keller selber, und der Papa tischlerte alle Möbel. Das mit drei Kindern, einem Vollzeitjob und meiner Mama, die hin und wieder Urlaubsvertretung bei der Post machte. Extrem beeindruckend, wie sie das schafften. Als Kind nahm ich immer alles für selbstverständlich, aber das haben wir ja schon besprochen, wie das ist mit den Kindern und der Befriedigung deren eigener Bedürfnisse. Heute bewundere ich meine Eltern sehr dafür, was sie zu zweit aus eigener Kraft aufgebaut haben.
Weil er lange Gemeinderat und politisch aktiv war, wurde mein Papa schließlich Bürgermeister der Stadt Pöchlarn, für die ÖVP. Und er war ein Segen für die Stadt. Er holte Fachärzte, siedelte Wirtschaftsbetriebe an, trieb den Bau der Donaubrücke voran und so weiter und sofort. Mein Papa war schon wirklich ein Supertyp! Kein Wunder, dass meine Mama sich in ihn verliebt hat. Das war, wie man so sagt, ein guter Griff.
Mit meiner Mama fuhr er regelmäßig ins Theater und in Konzerte, obwohl er nicht so der kunstaffine Typ in der Familie war. Aber der Papa war eben nicht nur unheimlich praktisch begabt, er hatte auch die nötige Portion Pragmatismus, was die Beziehung zu seiner Frau und seiner Familie betraf. Für die Mama standen die Kinder immer an erster Stelle, das hatte für sie Priorität, da wollte sie nichts versäumen. Und deshalb fuhr der Papa selbstverständlich mit der Mama in jede Premiere, sah alles, was ich spielte, und manchmal sind ihm dabei, stolz zwar, aber doch, die Augen zugefallen, weil er vom Tag müde war und noch eine lange Autofahrt vor sich hatte. Manche Theaterabende hätte ich ihm gern erspart, weil ich wusste, dass er damit nichts anfangen konnte. Aber er war da. Immer.
Manchmal wäre der Papa wahrscheinlich lieber am Fußballplatz gewesen oder hätte sich im Fernsehen ein Match oder einen Krimi angeschaut. Er verzichtete auf viele Fußballerlebnisse und aufzuklärende Mordfälle zugunsten der Kunst und beschwerte sich nie.
Das einzige Stück, das meine Eltern nicht sahen, war 2000 Café Tassl von Felicia Zeller im Gloria in Köln, weil sie beide Herzprobleme hatten und nicht so weit reisen konnten.