Читать книгу Bergmütter, Quellfrauen, Spinnerinnen - Ursula Walser-Biffiger - Страница 26

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Die Menschen der frühen, vorgeschichtlichen Zeit erfuhren gewisse Erhebungen und Berge als Orte der Urmutter, gar als eine Landschaftsahnin: eine irdische und himmlische Macht und zugleich Gebieterin der Unterwelt. So gilt wie viele andere Berge auch der Mount Everest als Berggöttin. Die Himalaya-Völker nennen sie Chomolungma, was «Mutter des Universums» bedeutet; sie verehren sie als «Weisse Himmelsgöttin», als «Weisse Gletscherherrin».15 In ihrem Buch «Berggöttinnen der Alpen» erschliesst uns Heide Göttner-Abendroth diese Sicht für das Matterhorn.16 Die manifestierte Gestalt der Bergmutter Matterhorn kann man am besten vom Gornergrat aus wahrnehmen. Sie ähnelt den stilisierten Göttinnenfiguren aus der Steinzeit, wie sie zu Tausenden in Alteuropa gefunden wurden: dreieckiger Kopf, verkürzte Arme, breite Hüften, mit oder ohne Beine.

Archäologische Funde belegen, dass sich in dieser Bergregion seit Jahrtausenden Menschen aufgehalten haben: als Wildbeutergruppen, als Hirten, als Reisende.17 Sie kamen von Norditalien her, wo in der Jungsteinzeit sesshafte matriarchale Kulturen blühten. Nach und nach wurde die Route in die Zermatter Bergregion zu einem festen Weg weiterentwickelt. Dieser ging von der Poebene über das Aostatal durchs Valtournenche zum Theodulpass hinauf und führte am Fusse des Matterhorns vorbei über den Col d’Hérens ins Val d’Hérens und dann ins Rhonetal. Hier gab es schon im 6. Jahrtausend v. Chr. bäuerliche Siedlungen. In der Mittelsteinzeit, also etwa 3000 Jahre vor unserer Zeitrechnung, entwickelte sich bei der heutigen Stadt Sitten eine der bedeutendsten Grab- und Sakralstätte Alteuropas.18

Sagen berichten von einem goldenen Zeitalter: Wiesen, Fruchtbäume und Wälder wuchsen bis weit oberhalb der heutigen Waldgrenze, und ganze Herden von Gämsen, Steinböcken, Hirschen bevölkerten die hochalpinen Gebiete. Die Passübergänge waren eisfrei, und die Route vom Aostatal über Zermatt bis ins Rhonetal soll an saftigen Weiden, an Dörfern und Städten vorbeigeführt haben.19 Das goldene Zeitalter, das zeitlich nicht genau verortet werden kann, ging jäh zu Ende, als sich erneut eine Kältephase einstellte, Alpen vereisten, die Gletscher zu wachsen anfingen und Dörfer bedrohten. Belegt ist eine solche Periode relativ kühlen Klimas, die sogenannte Kleine Eiszeit, von Anfang des 15. Jahrhunderts bis in das 19. Jahrhundert hinein. Sie führte zu schlechten Ernten, Hungersnöten, Seuchen und sozialen Spannungen. Es gibt im ganzen Alpenraum eine Fülle von Sagen, die sich auf diese Klimaveränderungen beziehen.

Bei Zermatt, oberhalb des Weilers Zmutt, sind noch heute zwei grosse Steinplatten mit vielen Schalen und Ritzungen zu sehen, die zum Teil aus uralter Zeit stammen und wohl auch auf eine kultische Verwendung schliessen lassen.20 An den vermutlich vorgeschichtlichen Kultstätten von Blatten, Furi, Findeln und Schwarzsee stehen heute Marienkapellen, die durch ihre Atmosphäre und besondere Mariendarstellung immer noch auf die Berggöttin hinweisen.21

Bergmütter, Quellfrauen, Spinnerinnen

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