Читать книгу Bergmütter, Quellfrauen, Spinnerinnen - Ursula Walser-Biffiger - Страница 28

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1885 wurde diese Sage im Jahrbuch des Schweizer Alpen-Clubs (SAC) erwähnt. Sie schien eine der bekanntesten Erzählungen der Gegend zu sein, und die Walliserinnen sahen in der Hohbachspinnerin eine Arme Seele, die für ihre Sünden büssen musste. Der Autor des SAC-Beitrags entdeckte jedoch in der emsig spinnenden Frau mit ihrer Katze einen Anklang an den uralten Berchta-Hulda-Mythos.22

Tatsächlich spricht vieles dafür, dass die Hohbachspinnerin verwandt ist mit der Berchta-Hulda (auch Bertha/Percht/ Holda/Hollermutter) oder eben mit Frau Holle, die wir aus dem gleichnamigen Märchen kennen. Um diese Gestalt mit den vielen Namen ranken sich zahlreiche weitere Mythen und viel Brauchtum in den Bergen Mitteleuropas. Dabei zeigt Holle neben ihren langen Zähnen mal ihren lieblichen, mal ihren garstigen Charakter.

Nach Ansicht der Sagenforschung geht die Gestalt der Holla bis in die Steinzeit zurück und bezeichnet niemand anderen als die Grosse Ahnfrau. Spätere, historisch überlieferte Indizien sprechen für die Annahme, dass Frau Holle die regionale Verkörperung einer uralten weiblichen Erd- und Himmelsgöttin ist, wie man sie überall auf der Welt unter den verschiedensten Namen verehrt hat. Holle/Hold/Hel, ihr Name im deutschen Sprachraum, beinhaltet das Verhüllte, Verhohlene, aber auch das Helle. Ihr weiterer Name Bercht/Berta/Percht bedeutet glänzend, leuchtend – wie die Gletscher und Schneefelder. Sie ist wild wie die Berge selbst und regiert über die Elemente, das Wetter und die Jahreszeiten.

In Bayern, Schwaben und Franken sowie im Tirol und Elsass wurde sie als Hausgöttin verehrt, die den Pflanzen, Tieren und Menschen Schutz und Heilung gibt. Die Holle hat den Menschen ausserdem zahlreiche Kulturtechniken wie das Spinnen und Weben gebracht – so glaubten es unsere Vorfahrinnen bis tief ins Mittelalter hinein.

Frau Holle lebt nach altem Volksglauben sowohl auf ihrem Berg als auch im unterirdischen Lichtreich. Die Menschen verehrten in ihr die Güte von Mutter Erde und das strahlende Himmelslicht zugleich. Sonnenschein fliesst von ihrem Haar, wenn sie es kämmt, die Welt ist von Nebel umhüllt, wenn sie Feuer macht und kocht, Wolken sind ihre Schafe, Regen fällt, wenn sie ihr Waschwasser auskippt, Schnee, wenn sie ihre Federbetten ausschüttelt. Frau Holles Himmelswagen wird von Katzen und Kühen gezogen. Mit diesem rast sie im Sturm durch die Lüfte und zerstört, was keine Kraft mehr hat.

Wie alle Muttergöttinnen ist die Holle zuständig für Leben und Tod. So kann sie verschiedene Gestalten annehmen. Mal ist sie jung und schön, ein andermal alt und hässlich. Sie beschenkt die Menschen, stellt sie auch auf die Probe, warnt oder droht. Sie ist nicht unversöhnlich und zeigt denjenigen ihre Huld, die ihren natürlichen Gesetzen folgen.

Die Kirche versuchte, die Holle/Percht zu verbieten. Noch in den Hexenprozessen des 17. Jahrhunderts wurden die Angeschuldigten danach gefragt, ob sie Kontakt zu ihr hätten. Da die Ausrottung der alten Göttin nicht vollständig gelang, wurde sie zur heiligen Bertha umgetauft oder dämonisiert: Sie galt als Schreckgespenst, das die Unfolgsamen verfolgt; die Katze, ihr Begleittier, verwandelte sich in ein teuflisches Monster.

Bald wurde die Geschichte der Frau Holle, eines der ältesten Märchen überhaupt, nicht mehr im eigentlichen Sinn verstanden. Sie entwickelte sich zur erzieherischen Droherzählung und sollte wilde Mädchen zu braven und tüchtigen Hausfrauen machen. Erst in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts entdeckten Frauen die Holle wieder als Grosse Ahnfrau.

Bergmütter, Quellfrauen, Spinnerinnen

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