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Die Quellfrau Blanka

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Leukerbad, Leuk

Blanka war eine junge, wunderschöne Frau. Zwei adelige Brüder kämpften um sie. Jeder wollte ihr Gatte werden, und deswegen gab es Streit. Mit einem Wässerbeil erschlug Rudolf den anderen und musste dann fliehen: Blanka zog mit ihm ins wilde, damals unbewohnte Tal von Leukerbad. Hier bauten sie sich ein Haus, und bald war Blanka schwanger.

Eines Tages, als ihre Niederkunft nahte, verliess Rudolf die Hütte und ging auf die Jagd. Als er sich am Abend verspätete, fürchtete sich Blanka und rief laut schluchzend nach ihm – kein Wunder, schliesslich lag sie in den Wehen mit ihrem ersten Kind und war allein. In ihrem Kummer schleppte sie sich hinaus, sank an einer Quelle nieder und weinte vor Schmerzen. Doch bald schenkte sie im dunklen Wald einem munteren Knaben das Leben.

Rudolf war inzwischen zurückgekehrt und fand Blanka mit ihrem Kind. Die Quelle ihr zur Seite floss jetzt heiss – erwärmt durch ihre Not und ihre Tränen. Rudolf jedoch, der das Schlimmste und das Schönste verpasst hatte, liess sich auch durch das warme Wasser nicht beeindrucken. Er war ein wackerer Christ und taufte seinen Sohn und die Quelle an Ort und Stelle auf den Namen Lorenz.

Nun, wem diese Geschichte seltsam vorkommt, begibt sich am besten in ein Quellgebiet, lässt sich am Wasser nieder – mitternachts, in der Dämmerung oder in der flirrenden Hitze des Mittags. Dann ist die Zeit günstig, um dem geheimnisvollen Ursprung der ewig sprudelnden Lebenskraft zu lauschen. Um der Quellfrau zu begegnen und sich von ihr die wahre Geschichte erzählen zu lassen.

Nach Guntern 1965, Nr. 313

Bergmütter, Quellfrauen, Spinnerinnen

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