Читать книгу Einmal Malle und zurück - Uwe Beckmann - Страница 11
Nemos Welt
Оглавление„Hey Heiko!“, hörte ich es von dem gegenüberliegenden Gebäudekomplex.
Carsten stand auf seinem Balkon und ich winkte ihm zu.
„Ich komm mal rüber“, rief er mir zu.
Kurz darauf stand er bereits gut gelaunt in meinem Zimmer.
„Wo ist denn deine Flamme?“, fragte ich ihn.
„Ach das ist Schnee von gestern. Du weißt doch, wenn es anfängt eintönig zu werden, dann sollte man Schluss machen. Außerdem sind wir hier auf Malle, da laufen jede Menge Hasen rum. Wie läuft es denn bei dir?“
„Gestern hatte ich einen heißen Flirt mit einer die aussah wie Eva Longoria, aufgewacht bin ich aber neben einer drallen Blondine.“
Er sah mich kurz fragend an, lachte dann aber laut auf. „Heiko, wie kannst du nur so ernst bleiben, wenn du so was sagst?“
Das Ganze entsprach ja im Wesentlichen der Wahrheit. Sicherlich verschwieg ich ein paar Details, zu einigen konnte ich auch gar nichts sagen, da ich sie selber nicht kannte. Allerdings hatte ich auch gar keine Lust darauf, gegenüber Carsten noch mehr ins Detail zu gehen.
„Was machst du denn heute?“, fragte ich ihn.
„Ich habe noch keinen Plan. Wollen wir was zusammen unternehmen? Heute Abend können wir ja in die Disse gehen, ich habe gehört der MegaPark soll ziemlich gut sein, da gibt es Partystimmung pur.“
„Mal schauen. Aber was wollen wir denn jetzt machen? Hier gibt es doch so ein riesiges Aquarium mit echten Haien. Wollen wir dort hingehen?“
„Klar, auf dem Rückweg können wir ja noch mal ins Meer springen.“
„Ja das machen wir.“
„Dann hole ich schnell meine Sachen und wir treffen uns gleich unten okay?“
„Ja, geht klar.“
Es war nicht schwer, das Aquarium zu finden, da es überall mit großen Plakaten und Hinweisschildern beworben wurde. So führte uns der Weg, direkt entlang der Strandpromenade, zu dieser Touristenattraktion.
Davor war bereits eine riesige Schlange von Leuten, die alle hinein wollten, um die Meeresbewohner hinter riesigen Glasscheiben zu beobachten. Nach circa zehnminütiger Wartezeit und dem Löhnen eines stolzen Eintrittspreises, durchquerten wir den Eingangsbereich. Hier mussten wir uns für ein Foto postieren, das man später als Erinnerungsstück käuflich erwerben konnte. Carsten legte dabei den Arm um mich und grinste dabei so übertrieben, dass es fast schon kitschig wirkte.
Nun ging es einen dunklen Gang entlang, in dem sich Menschenmassen nach vorne bewegten. Links und rechts konnten wir ein paar Blicke auf die Meerwasseraquarien erhaschen, die in die Wand eingelassen waren. Ansonsten wurden wir von den Besuchern hinter uns nach vorne geschoben. In meinem Falle war es ein Kinderwagen, der mir von hinten den Weg wies.
„Das ist ja ganz schön eng hier“, sagte ich zu Carsten.
Der wiederum war bereits schon wieder damit beschäftigt, Ausschau nach hübschen Frauen zu halten, denn er sah offenbar in dieser beengten Situation die optimale Chance, Kontakt zu knüpfen.
So konnte ich erkennen, wie er eine Frau von hinten anrempelte, die sich natürlich auch gleich umdrehte und schon war er in ein Gespräch vertieft. Ich nahm das Ganze als eine Art praktische Lektion wahr und verfolgte seine Vorgehensweise, in der Hoffnung dabei etwas lernen zu können. Ich versuchte die beiden nicht aus den Augen zu verlieren, was mir bei dem Gedränge äußerst schwer viel. Wichtiger für mich war nun auch das Gespräch, das sich zwischen den beiden entwickelte. Schließlich war es nicht ganz unwesentlich, die richtigen Worte zu finden. Dies lehrte mir die Situation am Flughafen, als ich die österreichische Reiseleiterin mit meiner Geschichte zu Tode langweilte.
Der Lärm der Umgebung hinderte mich jedoch daran, den Gesprächsverlauf der beiden mitzuverfolgen, somit musste ich mir für diesen Teil der Anbahnung selber etwas überlegen. Natürlich schaute ich auch gleich, ob sich ein williges Opfer finden würde, das nur darauf wartete von mir angerempelt zu werden und ich wurde schnell fündig.
Im Zentrum meiner Aufmerksamkeit stand nun eine schlanke Frau, die eine neckische Kurzhaarfrisur trug. Den Adamsapfeltest bestand sie, da sie keinen hatte, was mich dazu bewegte, sie weiter im Auge zu behalten. Sie sah wirklich attraktiv aus und ich fasste den Mut, mich ihr weiter zu nähern, was bei den versammelten Menschenmassen gar nicht so leicht war.
Warum sollte das, was Carsten gerade gelang, nicht auch bei mir klappen. Bei ihm sah das alles so einfach aus, folglich konnte es auch nicht besonders schwer sein. Man musste nur den Mut aufbringen, es einfach zu machen.
Ich beobachtete die Frau eine Zeit lang, schließlich wollte ich sicher sein, dass sie nicht mit einer männlichen Begleitung hier war. Sie schien jedoch alleine zu sein. Diese Tatsache betrachtete ich als einen Wink des Schicksals.
Nun war es an der Zeit, eben diesem noch ein bisschen mehr auf die Sprünge zu helfen. Die Frau quetschte sich durch die Menschenmenge hin zu einem Aquarium, in dem offensichtlich Nemo sein neues Zuhause gefunden hatte. Zumindest sah der Bewohner, dieser mit Meerwasser befüllten Glasvitrine, so aus wie der Star des gleichnamigen Disney-Unterwasserspektakels, welches Millionen von Kinobesuchern in die Kinos lockte. So würde mir diese Gelegenheit auch gleich ein Gesprächsthema liefern, denn mit dem putzigen Nemo konnte man sicher auch eine Frau ködern.
Der prominente Bewohner dieses Aquariums lockte natürlich auch entsprechend viele Schaulustige an. Trotzdem gelang es mir, direkt hinter der Frau Aufstellung zu nehmen. Ich positionierte mich so, dass ich den Plan direkt umsetzen konnte. Vor der Frau stand noch ein Mann, der interessiert in das Aquarium blickte. Langsam atmete ich noch einmal durch. Nun holte ich mit meinem Arm aus und rempelte die Frau von hinten an. Leider bewegte sich der Mann, der gerade noch vorne stand zur Seite, um der Frau den Blick auf Nemo zu ermöglichen. Auch mein Rempler fiel etwas schwungvoller als ursprünglich geplant aus, da ich selber von hinten geschubst wurde. Dies hatte zur Folge, dass das Objekt meiner Begierde nach vorne wegkippte, mit dem Gesicht gegen die Scheibe knallte und an dieser nach unten rutschte, gefolgt von einer dünnen Blutspur, die sich ebenfalls nach unten zog. Auch von Nemo war nun nichts mehr zu sehen, er zog es scheinbar vor, sich hinter einer Wurzel zu verstecken.
In der herumstehenden Meute machte sich leichte Panik breit, da keiner genau wusste was genau passiert war. Der Mann, der eigentlich als Puffer zwischen der Scheibe und ihr dienen sollte, bückte sich zu ihr runter und half ihr auf. Gleichzeitig schob ich mich etwas zurück, da ich davon ausgehen musste, dass sich die Frau gleich umdrehen würde, um nach der Person Ausschau zu halten, die ihr den finalen KO-Stoß verpasste. Allerdings war es sehr dunkel, was mir sehr entgegen kam.
Schließlich gelang es mir, mich aus dem direkten Umfeld des Geschehens zu lösen und ich beobachtete die Szenerie aus gesicherter Distanz.
Offenbar hatte die Frau nur Nasenbluten und die allgemeine Unruhe, die sich im Laufe dieses Vorfalls ergab, ebbte auch allmählich ab. Ich konnte noch mit ansehen, wie sich der Mann nun rührend um die Frau kümmerte. Er reichte ihr ein Taschentuch, damit sie es auf ihre blutende Nase legen konnte. Diese quittierte die Geste mit einem liebevollen Lächeln und die beiden gingen weiter. Ich sah diesen Versuch der Annäherung als gescheitert an und blickte mich suchend nach Carsten um. Der war jedoch verschwunden, genauso wie die Frau, die er erfolgreich eroberte.
Mit der Menge schob ich mich durch den Gang, in dem sich ein Aquarium an das andere reihte. Carsten war jedoch wie vom Erdboden verschwunden, so versuchte ich ihn über das Handy anzurufen. Dieses Unterfangen war jedoch nicht von Erfolg gekrönt, da mir eine weibliche Computerstimme versicherte, dass der Teilnehmer derzeit nicht erreichbar sei.
Kurzer Hand entschloss ich mich nun auf eigene Faust in Richtung der Hauptattraktion zu begeben. Ich ging zu dem riesigen Meereswasserbecken, in denen es auch Haie zu bestaunen gab. Hier angekommen, betrat ich eine Art Vorraum, in dem bereits einige Menschen versammelt waren. An der vordersten Front, direkt vor der Scheibe, lagen Sitzkissen, die ziemlich gemütlich aussahen. So begab ich mich direkt dort hin, um mir einen Platz in der ersten Reihe zu sichern. Ein kleiner Junge hatte wohl denselben Gedanken, und steuerte dieses ebenfalls an. Er hätte sich diesen Weg jedoch sparen können, denn ich erreichte es schneller und machte es mir darauf bequem. Offensichtlich fiel es dem Unterlegenen jedoch schwer, mit dieser Niederlage umzugehen. Er heulte laut los und rannte in Richtung seiner Eltern. Die Mutter warf mir einen verächtlichen Blick zu, während der Vater den Kleinen in den Arm nahm, um ihn zu trösten. Ich drehte mich wieder nach vorne und zuckte erschrocken zusammen. Ein schätzungsweise fünf Meter langer Hai schwamm direkt vor meiner Nase an mir vorbei. Das, was ich zuerst zu sehen bekam, war das Furcht einflössende Gebiss des Monstrums, das sich ohne Vorwarnung von links in meinen Blickwinkel schob. Mich beschlich das Gefühl, dass dieser Riesen-Klopper ein leichtes Grinsen auf den Lippen hatte. Von hinten nahm ich zumindest das laute Lachen des Rackers wahr, der gerade noch den Kürzeren beim Kampf um das Sitzkissen zog.
Die nächsten zehn Minuten empfand ich jedoch als wahre Entspannung, da der Blick in dieses tiefe und endlos wirkende Becken sehr beruhigend war.
Der Hai, der mich gerade fast zu Tode erschreckte, schwamm zwischenzeitlich nochmal direkt an meiner Nase vorbei. Dieses Mal streckte ich ihm die Zunge raus, war jedoch mehr als froh, dass eine dicke Scheibe zwischen uns war.
Nach dieser chilligen Pause, mit Blick auf die weite Unterwasserwelt, begab ich mich in Richtung Hauptplatz, in der Hoffnung dort Carsten zu treffen. Dieser war jedoch weder dort, noch in dem Mittelmeergarten zu finden, den ich anschließend aufsuchte.
Die dort beheimateten Schildkröten empfand ich allerdings als eher langweilig. Bedauerlicherweise gab es in dem ganzen Areal keine Delphine, die ich schon als Kind so mochte.
Was ich hier jedoch sehen konnte, war die Dame, der ich kurz vorher einen schwungvollen Rempler verpasste. Sie unterhielt sich angeregt mit ihrem Helfer. Dieser schien die Rettungsaktion wohl genutzt zu haben, um näher mit ihr in Kontakt zu kommen.
Ich kam mir vor wie Amor mit dem Pfeil, der die beiden zusammengebracht hatte, fühlte mich in dieser Rolle jedoch überhaupt nicht wohl. Eigentlich sollte ich derjenige sein, der nun neben ihr stand. Dieser Zug war jedoch abgefahren.
Auf dem Weg zum Quallenbecken klingelte dann mein Handy. Es war Carsten.
„Wo bist du denn?“, fragte ich ihn.
„Ich bin vor der Eingangstür.“
„Vor der Eingangstür? Wieso das denn?“
„Das erkläre ich dir gleich. Kommst du raus oder willst du noch drin bleiben?“
„Okay, ich komme raus.“
Auf dem Weg nach draußen kaufte ich natürlich noch das Foto, das man am Eingang von uns machte, um dann draußen Carsten zu treffen.
„Wieso bist du denn schon draußen?“
„Das ist ziemlich einfach, ich bin rausgeflogen.“
„Warum das denn?“
„Man nennt das wohl Erregung öffentlichen Ärgernisses.“
Eigentlich hätte ich mir die Frage sparen können, ich stellte sie dennoch. „Wie hast du das denn geschafft?“
„Clarissa und ich sind uns im Dschungel etwas näher gekommen, wenn du verstehst was ich meine.“
Ich verstand natürlich schon, was er damit meinte und brachte es auf den Punkt. „Ihr habt da drinnen gepoppt?“
„Ja, hinter diesem riesigen Piratenschiff. Blöd nur, dass dort gerade so ein verkappter Kapitän einen auf Animation machen musste und just in dem Moment mit einer Horde Touris ums Eck kam, als ich dabei war meine Kanone abzufeuern. Peinliche Sache.“
Ich grinste. „Und wo ist diese Clarissa jetzt?“
„Der war das Ganze auch ziemlich peinlich und ist abgerauscht. Die war mit so einer Reisegruppe da und hat sich ein Taxi genommen, da sie Angst hatte, dass die anderen davon Wind bekommen würden.“
„Seht ihr euch denn noch mal?“
„Das glaube ich eher nicht, ihr Freund liegt nämlich in einem Hotel in Alcudia am Pool und wartet auf sie.“
„Das hat sie dir erzählt?“
„Nicht direkt, aber er hatte angerufen und das habe ich mitbekommen.“
„Vor oder nach eurem öffentlichen Schäferstündchen?“
„Währenddessen, deshalb hatte sich das Ganze ja auch rausgezögert.“
Ich schüttelte den Kopf. „Du bist ja drauf.“
„Tja, von dem Aquarium habe ich nicht viel mitbekommen. War es denn interessant?“
„Ja, ich habe sogar Nemo gesehen und einen riesigen Hai.“
Wir setzten uns in Bewegung und gingen zum Hotel zurück. Den Strand besuchten wir nicht mehr, da dicke Gewitterwolken aufzogen, und es nach Regen aussah.
„War aber ziemlich voll da drin“, sagte ich.
„Das stimmt, das kam mir aber durchaus gelegen, den durch die Enge bin ich Clarissa näher gekommen, ist echt eine gute Anmachmasche. Einfach anrempeln, sich entschuldigen und ins Gespräch kommen. Solltest du vielleicht auch mal probieren.“
Natürlich erwähnte ich nicht, dass ich es ausprobiert hatte, dabei ein mittelschweres Blutbad anrichtete und einen traumatisierten Nemo hinterließ. Ich nickte lediglich.
Im Hotel angekommen, trennten sich unsere Wege erst einmal wieder. Wir vereinbarten uns zum Abendessen zu treffen. Bis dahin dauerte es noch etwas und so hatte ich ein bisschen Zeit darüber nachzudenken, was sich am Abend zuvor abgespielt haben könnte. Trotz aller Anstrengungen und Abwägungen gelang es mir jedoch nicht, auch nur ansatzweise Licht ins Dunkel zu bringen. So überlegte ich, meiner Bettnachbarin der letzten Nacht einen Besuch abzustatten, um von ihr vielleicht nähere Einzelheiten zu erfahren. Nach reichlicher Überlegung entschied ich mich jedoch dagegen, da ich nicht wusste wie sie reagieren würde und wahrscheinlich eh nicht auf ihrem Zimmer war.
So verbrachte ich den Spätnachmittag auf meinem kleinen Balkon, von dem aus ich sogar einen seitlichen Meerblick hatte. Es war zwar nur ein Stückchen Blau, was man zwischen den Häusern erspähen konnte, aber es war das Meer. Somit konnte ich mit Fug und Recht behaupten, ein Zimmer mit Meeresblick zu haben. Über mir zogen im gefühlten Fünfminutentakt die Flugzeuge gen Himmel, um die Insel in alle Richtungen zu verlassen. An Bord Unmengen von Menschen, die alle erholt sein sollten und wahrscheinlich mit einem wehmütigen Gefühl in ihren Alltag zurück verfrachtet wurden. Somit erfreute ich mich daran, dass mir noch einige schöne Tage auf der Baleareninsel bevorstanden und ich die Hoffnung nicht aufgeben wollte, was die Kontaktanbahnungen anbelangte. Bisher verliefen die intensiven Bemühungen dahingehend ja eher suboptimal, aber ich beschloss positiv nach vorne zu blicken.