Читать книгу Einmal Malle und zurück - Uwe Beckmann - Страница 4

Der Flug

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Die Waage beim Einchecken zeigte zweiunddreißig Kilo an und die freundliche Dame am Schalter zauberte ein rotes Schildchen unter ihrem Tisch hervor, auf dem in großen Lettern das Wort Heavy stand, welches sie nun sorgfältig am Griff meines Gepäckstücks befestigte. Nachdem der Koffer von Carsten nur vierzehn Kilo wog, drückte sie beide Augen zu und ich musste nicht mehr bezahlen. Sicherlich hatte auch der kleine Flirt von ihr mit Carsten einen nicht ganz unerheblichen Anteil daran, dass es so lief, wie es lief.

„Du schuldest mir was“, sagte er als wir in Richtung Personenkontrolle gingen.

Nachdem wir dort circa zehn Minuten in der Schlange standen, wurden unsere Reiseunterlagen von einem Mann kontrolliert, der uns musternd ansah.

„Aha, einmal Malle und zurück“, gab er mit einem leicht abwertenden Unterton von sich, so als ob er uns mitteilen wollte, dass ihm gleich klar war, dass unser Reiseziel nicht die Nobelinsel St. Barth in der Karibik war.

Im Anschluss mussten wir uns einer Leibesvisitation unterziehen, die es in sich hatte. Für eine solch gründliche Untersuchung hätte man bei jedem Kassenarzt private Zusatzleistungen in Anspruch nehmen müssen. Nachdem auch meine Handgepäckstasche die Kontrolle überstand, befanden wir uns im Wartebereich des Flughafens. Von dort aus konnten wir bereits den Flieger sehen, der uns gleich Richtung Mallorca bringen sollte. An der Tür zu dem Verbindungsarm, der den direkten Zugang zum Flugzeug ermöglichte, stand bereits eine lange Schlange von Menschen, obwohl das Boarding laut Anzeigetafel erst in gut zehn Minuten starten sollte. Wir gesellten uns zu den Leuten, die sich einen Sitzplatz sicherten, um auf die immer länger werdende Schlange zu blicken und stellten vergnügt fest, wie die Ungeduld der stehend Wartenden immer größer wurde.

Als eine der letzten bestiegen wir das Flugzeug und begaben uns in Richtung Sitzreihe siebzehn, in der sich unsere Plätze befanden. Am Fenster saß bereits eine jüngere Frau, die mir schon vorher in der Schlange aufgefallen war. Sie machte einen sehr nervösen Eindruck und sah mich fast panisch an.

„Hallo!“, begrüßte ich sie kurz und nahm meinen Platz in der Mitte ein, während sich Carsten noch angeregt mit einer blonden Stewardess unterhielt, die absolut seinem Beuteschema entsprach. Auch meine Sitznachbarin brachte ein kurzes „Hallo“ hervor, klang dabei aber nicht sehr entspannt. Ich ließ mich in den Sitz plumpsen, stieß dabei mit meinem Knie am Vordersitz an und rutschte nach hinten, um den sehr eng bemessenen Platz dieses Touristenbombers optimal zu nutzen. Anschließend schnallte ich mich an. In diesem Moment schnappte meine Sitznachbarin mit einem beherzten Griff nach meinem linken Arm und umschloss ihn wie ein Krake. Ich sah sie an, blickte auf meinen linken Arm und richtete meine Aufmerksamkeit dann erneut auf sie, in der Hoffnung eine Erklärung für ihr Verhalten zu bekommen. Ihr Blick war allerdings starr nach vorne gerichtet, zudem konnte ich eine Schweißperle auf ihrer Stirn erkennen.

„Ich glaube Sie haben da gerade die Lehne mit meinem Arm verwechselt.“

„Ich habe Flugangst!“, presste sie kurz und knapp zwischen ihren Lippen hervor.

„Das ist natürlich nicht so schön, es ist aber trotzdem mein Arm.“

„Bitte lassen Sie mich ihren Arm halten, das beruhigt mich. Ansonsten könnte es sein, dass ich in Panik ausbreche.“

Na toll, dachte ich.

„Vielleicht könnten Sie ihren Griff dann zumindest etwas lockern.“

Sie lächelte mich mit einem gequälten Gesichtsausdruck an, lockerte den Griff minimal und bedankte sich, um gleichzeitig ihren Blick wieder starr nach vorne zu richten. Carsten, der seinen kurzen Flirt mit der Stewardess, zumindest für eine Zeit lang unterbrechen musste, zwängte sich nun auch auf seinen Platz und nahm natürlich sofort wahr, wie sich meine Sitznachbarin an mir festkrallte.

Beim Hinsetzen flüsterte er mir zu: „Heiko, du alter Schwerenöter, da lässt man dich einmal aus den Augen und da lachst du dir gleich eine Frau an. Scheint aber ziemlich anhänglich zu sein.“

Ebenfalls im Flüsterton, klärte ich ihn über die Situation auf und wusste sogleich, dass es ein Fehler war, ihm von der Flugangst der Frau zu erzählen. Er schielte an mir vorbei und nahm sie ins Visier, um mir dann wieder zuzuflüstern: „Was macht die denn mit deinem Arm wenn wir erstmal abheben? Panik kann ungeahnte Kräfte freisetzen.“

Er sollte Recht behalten, nachdem das Flugzeug die Rollbahn verließ und sich in die Luft bewegte, spürte ich welche Kraft Panik freisetzen konnte. Ich war froh, dass wir nicht in einem Flieger nach Australien saßen.

„Ihnen ist es wahrscheinlich nicht aufgefallen, aber ihr Griff ist wieder stärker geworden. Könnten Sie ihn vielleicht wieder etwas lockern?“

Ich sah auf die Seitenansicht einer Frau, die immer schneller atmete und dabei Unmengen von Schweiß aussonderte, aber scheinbar nicht in der Lage war, auch nur irgendeine Information aufzunehmen, geschweige denn darauf zu reagieren. So musste ich mich mit dieser Situation arrangieren und hoffte, dass es nicht zu Turbulenzen kam. Diese hätten mit ziemlicher Sicherheit dazu geführt, dass ich mich von meinen linken Arm hätte verabschieden können, da die Blutzufuhr zu meiner Hand bereits jetzt schon, nahezu gänzlich unterbrochen war.

Es bedurfte jedoch keiner Wetterkapriolen, um die Intensität des Würgegriffs, der von Flugangst geplagten Dame in neue Dimensionen zu heben. Ein einziger Spruch meines Freundes zur Rechten reichte hierfür völlig aus. „Oh, das hört sich aber gar nicht gut an“, posaunte er laut genug, dass auch sie es hören konnte. Unterstützend dazu machte er noch eine Geste, indem er seine Hand hinter das Ohr hielt, um scheinbar lokalisieren zu können, woher dieses Geräusch kam, das er da hörte.

Es muss nicht erwähnt werden, dass es kein solches Geräusch gab. Die Aktion verfehlte die von ihm gewollte Wirkung jedoch nicht, denn für solch negative Informationen zeigte sich die schwitzende Frau mehr als aufgeschlossen. Was dazu führte, dass ihr Kleinhirn diese Information sofort verarbeitete und einen direkten Befehl an ihren rechten Arm weitergab. Dieser lautete wohl: Krall dich fest, es geht um dein Leben. Zumindest beschlich mich das Gefühl, dass die Frau nun all ihre Kraft und Energie in das Umklammern meines Unterarmes legte. Ich versetzte Carsten einen Stoß mit dem rechten Ellbogen in die Rippen, worauf er leise grinste.

Von meiner linken Seite aus, vernahm ich immer lauter werdende Atemgeräusche, die auch aus einem billig produzierten Pornofilm hätten stammen können, hier jedoch der Ausdruck purer Angst waren. Mir tat die Frau ja mittlerweile leid, wusste aber auch nicht so recht was ich machen sollte, da sie schier nicht ansprechbar war. Als das Flugzeug die angepeilte Höhe erreichte, entspannte sich auch die Situation zu meiner Linken etwas.

„Es tut mir leid“, presste die Dame hervor.

„Das ist schon okay!“

Das war zwar gelogen, aber ich dachte ich könnte sie damit etwas beruhigen.

„Warum fliegen Sie denn eigentlich, wenn Sie Flugangst haben?“

„Jürgen Drews tritt morgen auf dem Ballermann auf, und da muss ich hin.“

Ich blickte sie ungläubig an, da ich dachte sie wolle mich verarschen, konnte hierfür jedoch keinerlei Anzeichen erkennen.

„Ja, da muss man Opfer bringen“, flüsterte ich vor mich hin.

Während Carsten bereits schon wieder mit der blonden Stewardess anbandelte, löste meine Sitznachbarin ihren Griff komplett und ich konnte meinen Arm etwas ausschütteln, spürte aber Lähmungserscheinungen vom Ellbogengelenk abwärts. Sie kramte einen iPod aus der Tasche und ich konnte erkennen, wie sie aus ihrer Play List Best of Jürgen Drews wählte. Nun setzte sie sich schnell die Kopfhörer auf, um sich dann wieder meinen Arm schnappen zu können. Zu allem Überfluss war die Musik so laut, dass auch ich noch etwas von der fragwürdigen Musik des selbsternannten Schlagerkönigs mitbekam.

Zum Essen gab es Huhn mit Rahmnudeln, welches in kleinen Aluschälchen serviert wurde. Allerdings konnte ich kein Fleisch entdecken, die Suche gestaltete sich mit einer Hand jedoch auch denkbar schwierig. Die Lady neben mir verzichtete auf ihr Essen, somit gab sie natürlich auch meine Hand nicht frei und ich war gezwungen alles einhändig zu machen.

Zur großen Freude von Carsten, der zwischen den Flirtattacken, mit denen er die Stewardess bombardierte, dann immer wieder ein paar Späßchen auf meine Kosten riss. So folgte dann so ein Spruch wie „Hat sie denn eigentlich vorher um deine Hand angehalten?“

oder „Sei froh, dass sie nicht auf die Toilette muss. Da müsstest du dann mitgehen.“

Ich reagierte zunehmend gereizt auf diese Kommentare. „Kümmere du dich mal lieber um deine blonde Saftschubse.“

„Oh, kaum bist du hier in festen Händen, schon wirst du unausstehlich.“

Die Worte feste Hände hob er besonders hervor, was dazu führte, dass ich mich beleidigt von ihm abwendete.

Da zog ich es schon vor, den Gassenhauer Ein Bett im Kornfeld mit dem ich von links beschallt wurde leise mitzusummen, als in irgendeiner Form weiter auf die Bemerkungen meines Kumpels einzugehen.

Der Landeanflug wurde dann noch mal eine Belastungsprobe für meinen linken Arm und die Erleichterung, als sie nach erfolgtem Bodenkontakt ihren Klammergriff löste, war groß. Völlig enthusiastisch klatschte sie, als Zeichen der Anerkennung für den Piloten, uns heil hier hergebracht zu haben, in die Hände. Ihre Angst war schlagartig weg. Ich hatte den Eindruck, dass nun die Vorfreude, oder die Aufregung darüber, dem König von Mallorca bald gegenüberzustehen, in den Vordergrund gerückt war.

Ich war nicht in der Lage, mich an dem Beifallssturm, der auch von anderen Passagieren mitzelebriert wurde, zu beteiligen. Mein linker Arm lag nahezu regungslos auf der Armlehne. Carsten klatschte ebenfalls und forderte zudem lautstark „Zugabe.

Einmal Malle und zurück

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