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DER INNERE GEGENSPIELER: WAS ER IST, WAS ER TUT, WOHER ER KOMMT »Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust«

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Dieser leidvolle Ausruf von Goethes Faust könnte insbesondere als Motto unserer abendländischen Kulturgeschichte gelten, dessen Vorläufer sich bereits bei den griechisch-antiken Philosophen Xenophon und Platon findet. Zwei Seelen? Es gibt ein Gespräch, das niemand hört und kaum jemand als Gespräch erkennt. Es findet an einem Ort statt, den jeder kennt und doch nicht jedem vertraut ist. Wenn Sie sich jedoch in sich selbst zurückziehen und so weit wie möglich nichts denken, tun oder wollen, dann erfahren Sie das Zwiegespräch in Ihrer eigenen Seele: das Für und Wider der Gedanken und Gefühle, das Hin und Her zwischen Zögern und Entscheiden, das Gespräch zwischen dem Lebensbejaher in Ihnen, der Leben will und Leben sucht, und dem Lebensverneiner in Ihnen, der sich weigert, zu hoffen und zu glauben, dass Leben geht und gut sein kann, so oder so.

Was Goethe mit dem berühmten Satz aus Faust meinte, war den Märchen, jenen Spiegelungen der Seele, schon immer bekannt. Ein Beispiel: Der Prinz ist voll Freude auf dem Weg zu einem fernen Schloss, um seine künftige Gemahlin in sein Reich zu holen. Unterwegs aber locken ihn sieben Raben in eine Schlucht und verschließen ihm, jedenfalls vorerst, den Ausweg. Bis eine alte, gebückte, gütige Frau erscheint und ihm zuflüstert, auf welchem Weg er in das nahe liegende Schloss gelangt.

Sigmund Freud schreibt in seinem aufregenden Traktat Das Unbehagen in der Kultur, das Unbehagen liege vordergründig in der Unruhe … in der Angststimmung ihrer (der Menschen) Zeit, denn: »Die Menschen haben es jetzt in der Beherrschung der Naturkräfte so weit gebracht, daß sie es mit deren Hilfe leicht haben, einander bis auf den letzten Mann auszurotten.«

Hintergründig jedoch liegt für ihn das Kernproblem in etwas Grundsätzlichem und Bleibendem: Zwei mächtige Prinzipien bestimmen, so Freud, den Gang der Welt, zwei mächtige Triebe, die miteinander im Kampf liegen. Gemeint sind die Destruktivität (er nannte sie in späteren Jahren den Todestrieb) und die Libido, die Liebe. Wie der Kampf dieser beiden »Giganten des Lebens« ausgehen werde, sei ungewiss, denn sie stellten nach Freuds Auffassung einen »wahrscheinlich unversöhnlichen Gegensatz« dar. Dieses Ungewissheitsgefühl war für Freud das grundlegende und bleibende Kernproblem des Menschen seiner Zeit. Deshalb beendete er sein Traktat mit dem (aus meiner Sicht) niederschmetternden Satz: »So sinkt mir der Mut, vor meinen Mitmenschen als Prophet aufzustehen, und ich beuge mich ihrem Vorwurf, daß ich keinen Trost zu bringen weiß, denn das verlangen sie im Grunde alle, die wildesten Revolutionäre nicht weniger leidenschaftlich als die bravsten Frommgläubigen.«2

Und wenn Freud irrte? Wenn man gar kein Prophet sein müsste, um sagen zu können: Es gibt Trost für uns Menschen? Es gibt Grund zur Hoffnung, Hoffnung darauf, dass wir unser eigenes Leben und das Leben überhaupt mehr als bisher wohlwollend betrachten, vielleicht sogar lieben können? Allerdings unter zwei Bedingungen: Dass wir uns beide Seiten der Seele vergegenwärtigen, dass wir die dunkle Seite ansehen, studieren, so weit wie möglich begreifen und daraus existenzielle Schlüsse ziehen – und dass wir im Besonderen die helle Seite der Seele ansehen, studieren, begreifen und daraus existenzielle Schlüsse ziehen. Denn wir leben primär nicht von unserem Problembewusstsein, sondern von unserer Wertorientierung.

Um uns dem »Wesen« des Gegenspielers anzunähern, möchte ich Ihnen zunächst eine Reihe individueller, aber verdeckter Alltagsbeispiele vorstellen, darüber hinaus solche, die weit über den Alltag hinausgehen.

Der innere Gegenspieler

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