Читать книгу Giftiges Blut - Uwe Trostmann - Страница 12
ОглавлениеDer Zug kommt an
Winston Turner saß im Zug nach Canterbury. Sein Plan und seine Liste befanden sich in seiner Aktentasche. Alles hatte er mit seinem Freund Michael Glenn geplant. Jede Eventualität waren sie durchgegangen. Seit Monaten hatten sie zusammengesessen, hatten im Internet recherchiert, Stadtpläne angeschaut, Hotels gesucht, Ferienhäuser und Hütten ausgespäht. Je näher er jetzt der Stadt kam, desto ruhiger und glücklicher wurde er. Endlich konnte er den Auftrag ausführen.
Er kam an jenem verregneten Dienstag pünktlich um vierzehn Uhr zweiunddreißig am Hauptbahnhof von Canterbury an. Er trug einen langen, dunkelgrünen Regenmantel, er hätte auch für einen Fischer aus einem der Fischerorte gehalten werden können. Er war kein Fischer, aber er war an der Küste aufgewachsen.
Es war das schlechte Wetter, das ihn dazu veranlasste, diesen Mantel auf der Reise zu tragen. Er zog seinen schwarzen Hut tief ins Gesicht. Seine groben Schuhe verliehen ihm eine größere Statur, als er wirklich hatte. Unter seinem schwarzen Hut schaute ein rundes Gesicht mit einem ernsten Ausdruck hervor, der durch den Blick der graublauen Augen verstärkt wurde. Seine Nase wirkte scharfkantig auf der sehr hellen Gesichtshaut. Er wollte nicht auffallen, doch einige Mitreisende im Zug und auf dem Bahnsteig wunderten sich über seine Kleidung: Niemand hier mitten im Land trug so etwas, auch nicht bei schlechtem Wetter.
Es muss einer von der Küste sein, dachte der eine oder andere. Ansonsten fiel der junge Mann nicht weiter auf. Fremde gab es viele in der Stadt. Er hätte ebenso durch seine Größe auffallen können. Der lange Mantel ließ ihn noch größer erscheinen, als er war. Er kümmerte sich nicht um die Leute, die ihn etwas verwundert anschauten.
Er lief zügig zum Taxistand und nahm sich ein Taxi zur Autovermietung Hertz. Der Fahrer wunderte sich ebenfalls über die Aufmachung des Fahrgastes. Dieser lange gummiartige Mantel erinnerte ihn mehr an die Leute am Meer. Fischer trugen solch einen Mantel, dachte er. Im Fernsehen hatte er das gesehen.
Diese Reise empfand Turner als inneren Auftrag. Immer wieder hatte ihm seine Großmutter Margareth die Familiengeschichte erzählt: Geflohen war seine Familie vor den Gleans, die über Jahrhunderte die jungen Frauen der Dunns ermordet hatten.
„Das sind alte Geschichten“, erklärte sie. „Aber wir müssen wachsam sein.“
„Hat sich unsere Familie nie dafür gerächt?“ Immer wieder hatte der kleine Winston diese Frage gestellt. Seine Großmutter machte nur vorsichtige Andeutungen. Jahre später formte sich in seinem Kopf der Gedanke, dass die Toten gerächt werden müssten. Er war der Sache nachgegangen; zunächst ohne große Kenntnisse, fand er mit der Zeit mehr und mehr Anhaltspunkte, wo er die Nachkommen der Gleans finden konnte. Großmutter Margareth hatte die Namen gesammelt und einen nach dem anderen hatte er nach ihrem Tod in ihren Unterlagen gefunden. Und dann waren da noch die Briefe von Frank Glenn.
Ich werde Rache üben, dieser Gedanke hatte sich zunehmend in ihm verfestigt. Die Großmutter merkte, dass er auf dem richtigen Weg war, ihrem Weg. Er fühlte, dass es jetzt an der Zeit war, den Auftrag weiterzuführen, den Auftrag seiner Familie, der jetzt seine Bestimmung sein sollte: die Rache, die vor 27 Jahren schon einmal sein Onkel begonnen hatte, der aber dann zu früh gestorben war.
Er war jetzt bei Hertz angekommen. Es regnete immer noch und die dichten Wolken hatten den Nachmittag schon in ein dämmriges Licht gehüllt.
„Da haben Sie die richtige Kleidung für dieses Wetter“, begrüßte ihn die Angestellte.
„Es könnte besser sein“, war seine kurze Antwort. „Ich hatte ein Auto online reserviert. Mein Name ist Mike Adams. Es soll einen großen Kofferraum haben“, erklärte er. „Ich brauche es für eine Woche, also sieben Tage“, fügte er noch an.
„Ich habe einen Ford. Der hat einen großen Kofferraum. Ist der in Ordnung für Sie?“
Die Formalitäten waren bald erledigt. Er nahm die Autoschlüssel und machte sich mit dem Wagen vertraut.
Die haben die gefälschten Papiere nicht bemerkt, freute er sich. Das war der erste Test. Der Fälscher hat gute Arbeit geleistet. Hat mich auch 10.000 Pfund gekostet. Also, Mike Adam heiße ich jetzt. Das darf ich nicht vergessen. – Er ging seinen Plan noch einmal durch und fuhr zum Hotel.