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Kapitel 4: Im Reich der Sinne

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Die erste „Amour Fou“ meines Lebens war Charlotte, die große Liebe meiner Jugend. Wir begegneten uns während des Tanzunterrichts. Charlottes Klasse stellte unsere Tanzpartnerinnen. Sie fiel mir sofort auf, als ich mit meinen Klassenkameraden das erste Mal den eleganten, von Kristallleuchtern erhellten Saal des Schlosshotels betrat, in dem unsere Tanzstunden stattfanden. Charlotte hatte schulterlange blonde Haaren und ein fein geschnittenes Gesicht, das von strahlend blauen Augen beherrscht wurde. Ihr eng anliegendes, superkurzes Minikleid betonte ihre schlanke Figur und ihre wohlgeformten, langen Beine. Sie war von anderen Mädchen umringt, die aufgeregt auf sie einredeten. Anscheinend ist sie sehr beliebt bei ihren Mitschülerinnen, dachte ich. Die flapsigen Bemerkungen einiger meiner Klassenkameraden über die uns verstohlen beobachtenden Mädchen überhörte ich und ging nicht darauf ein. Sie überspielten damit lediglich ihre pubertäre Unreife. In mir war der Jagdinstinkt erwacht. Ich wollte unbedingt diese schöne Blondine kennen lernen, mit ihr flirten und sie in den Armen halten. Zu Beginn des Unterrichts bildete der Tanzlehrer Paare. Er erhörte mein inneres Flehen und ordnete mich Charlotte zu. Es ist kein Zufall, wenn zwei Seelen sich begegnen. Wir verbrachten jede Tanzstunde zusammen, die in Wirklichkeit aus zwei Stunden bestand. Ich liebte es, mit ihr leichtfüßig über das Parkett zu schweben oder eng umschlungen Blues zu tanzen. Es war ein gutes Gefühl zu spüren, wie harmonisch unsere Körper sich ergänzten. In den Pausen brachte ich sie mit meinen witzigen Sprüchen zum Lachen. Nach einer der Tanzstunden begleitete ich sie zum Bahnhof. Auf dem Bahnsteig nahm ich all meinen Mut zusammen, umarmte sie und küsste sie. Sie erwiderte meinen Kuss. Wir küssten uns immer wieder, bis schließlich ihr Zug kam. Sie stieg ein und winkte mir lächelnd zu. Glücklich wie nie zuvor blieb ich stehen, bis die Lichter des letzten Waggons in der Dunkelheit verschwunden waren.

Von da an trafen wir uns regelmäßig. Wir gingen spazieren oder ins Kino. Wobei wir Händchen hielten und uns küssten. Mehr war nicht drin. Bis zu Charlottes fünfzehntem Geburtstag, der mein Leben komplett verändern sollte. Wir trafen uns nach dem Unterricht an dem kleinen Bahnhof, an dem wir uns das erste Mal geküsst hatten. Als ich ihr gratulierte und ein kleines Geschenk überreichte, sah sie mich strahlend an.

„Ich bin gerade ganz alleine zu Hause. Meine Eltern sind auf einer Apothekertagung und kommen erst in einer Woche zurück. Mein Bruder begleitet sie. Er studiert Pharmazie und soll die Aufgaben eines Apothekeninhabers kennen lernen. Hast du nicht Lust, mit zu mir zu fahren? Dann können wir heute gemeinsam meinen Geburtstag verbringen?“

Ich sagte sofort zu und stieg mit ihr in den Zug. Ihren neugierigen Klassenkameradinnen log ich vor, dass ich einen Freund besuchte. Am Zielbahnhof trennten wir uns, um meine Legende aufrecht zu erhalten. Während Charlotte nach Hause ging, betrat ich ein Geschäft mit ausgefallenen Geschenken. Ich ahnte, was heute passieren sollte, und wollte noch etwas besorgen. Danach schlich ich mich auf Umwegen zu ihrem Haus und sprang über einen kleinen Jägerzaun in ihren Garten. Sie erwartete mich lächelnd an der Terrassentür. Hand in Hand liefen wir die Treppe hinauf in ihr Zimmer. Ich wusste, dass dies ein besonderer Moment werden würde. Charlotte entschuldigte sich und verließ den Raum. Schnell holte ich aus meiner Schultasche die gerade erworbenen Rosenblätter, einen Parfümzerstäuber und zehn Kerzen hervor. Ich verstreute die Blüten auf dem Boden und auf dem Bett. Dann verteilte ich die Kerzen in dem Zimmer und zündete sie an. Zuletzt nahm ich den Flacon und versprühte Lavendelduft. Zufrieden betrachtete ich mein Arrangement. Die Tür öffnete sich und Charlotte trat ein. Sie trug nur ein durchsichtiges Negligé, das mir freie Sicht auf ihren Körper erlaubte. Zum ersten Mal sah ich ihre entblößten Brüste und ihre blonde Schambehaarung über jenem faszinierenden Kelch, der mein Leben lang eine solche Anziehung auf mich ausüben sollte.

Sie blieb auf der Schwelle stehen und ließ das von mir gestaltete Zimmer auf sich wirken.

„Das sieht wunderschön aus. Es duftet phantastisch.“

Zärtlich küsste sie mich und schob mich mit sanftem Druck zu ihrem Bett. Ich zog mich aus und wir schlupften unter ihr weiches Plumeau. Beklommen fragte ich: „Bist du wirklich bereit?“

„Ja“, erwiderte sie und schaute mir in die Augen, „ich bin schon lange bereit für dich. Ich liebe dich.“

Das war das erste Mal, das eine Frau die magischen Worte zu mir sagte. Ich küsste sie und streichelte sie sanft zwischen ihren Schenkeln. Sie stöhnte lustvoll und meine Finger wurden feucht.

„Komm zu mir, mein Liebster“, sagte sie leise.

Ich führte mein hart gewordenes Glied ganz langsam in sie ein. Es war ein wundervolles Gefühl, in diese warme, nasse Höhle zu gleiten. Auf einmal spürte ich einen Widerstand und hielt inne. Charlotte verzog das Gesicht. Erschrocken dachte ich, ich hätte sie verletzt und wollte mein Glied aus ihr heraus ziehen. Da gab sie mir einen Klaps auf meinen Hintern. Ich stieß zu, durchbrach die Barriere und ejakulierte. Wir schrien beide laut auf. Ich vor Lust, sie vor Schmerz. Verwirrt zog ich mein Glied aus ihr heraus. Es war mit Blut beschmiert. Entsetzt und fassungslos sah ich, wie Blut aus ihrer Scheide strömte. Das weiße Laken unter Charlotte färbte sich rot. Sie schluchzte leise. Ich dachte, ich hätte sie schwer verletzt. Fieberhaft überlegte ich, wie ich ihr helfen konnte. Hilflos starrte ich auf Charlottes blutende Scheide. Dann hatte ich eine Idee. Ich griff zu dem neben Charlottes Bett stehenden Telefon, um den Notarzt anzurufen. Sie sah mich irritiert an.

„Mit wem willst du ausgerechnet jetzt telefonieren?“

„Ich rufe den Notarzt. Das ganze Bett ist voll mit deinem Blut. Es hört nicht auf, du blutest immer weiter. Du musst innerlich schwer verletzt sein. Du brauchst ärztliche Hilfe.“

„Ach du süßer Dummkopf! Beruhige dich. Leg dich wieder zu mir. Das ist vollkommen normal, dass es bei einer Entjungferung blutet. Das hört gleich wieder auf. Ich habe mich bei einer Freundin erkundigt. Sie hat mir erklärt, dass es so sein wird. Sie hat allerdings nicht gesagt, wie weh es tut.“

Ihre Worte besänftigten mich und ich legte den Hörer zurück auf die Gabel. Ich stand auf und ging ins Bad. Dort befeuchtete ich ein Handtuch, lief zu Charlotte und wischte ihr vorsichtig das Blut von ihrer Vulva. Diese Intimität hatte etwas Heiliges. Charlotte nahm mein schlaffes Glied in ihre Hand und massierte es sanft, bis es hart wurde.

„Komm, Liebling, dring in mich ein. Es tut jetzt sicher nicht mehr weh. Wir müssen es unbedingt noch einmal machen, damit wir den Schock überwinden.“

Ich folgte ihrer Aufforderung – und diesmal wurde unser Liebesakt das wundervollste Erlebnis meines bisherigen Lebens. In den drei folgenden Tagen und Nächten, in denen wir ihr Haus für uns hatten, wiederholten wir ihn so oft ich konnte. Wir lebten im Einklang mit unserer Sexualität, die die Quelle und der Ursprung allen Lebens ist. Meine Orgasmen erreichten jeden Muskel, jede Faser und jedes Organ und ich erlebte zum ersten Mal eine tiefe Entspannung meines Körpers. Er war zu einer Antenne geworden. Wellen kleiner Elektroschocks durchfuhren ihn vom Scheitel bis zu den Zehenspitzen, wenn Charlotte mich küsste oder streichelte. Zwischen uns strömte während unserer Vereinigungen ein wunderbar reiner Energiestrom. Ich genoss die aufregende Faszination ihrer Weiblichkeit und sie die meiner Maskulinität. Unschuldig entdeckten wir ständig neue Varianten der körperlichen Vereinigung, die uns elektrisierten und mit einer uns beglückenden Energie erfüllten, die ich am liebsten laut in die Welt geschrien hätte.

Wir schwänzten die Schule und machten keinen Schritt vor die Tür. Das mit Rosenblättern dekorierte, von Kerzen beleuchtete und nach Lavendel duftende Jungmädchenzimmer war zum Zentrum meines Lebens geworden. Der Rest des Universums hatte aufgehört zu existieren. Meine Glücksgefühle während dieser intensiven Tage veränderten mein Leben radikal. Alle Hobbies, die Schule und selbst meine Freunde wurden unbedeutend für mich. Rauschhafte Orgasmen. Zärtlichkeit. Nähe. Intensität. Liebe. Unsere sexuelle Energie wirkte elektrisierend, charismatisch und hoch stimulierend auf alle meine Sinne. Das wollte ich so oft wie möglich erleben.

Charlotte ging es genauso. Wir nutzten jede Gelegenheit, um uns in die Tiefen unserer Orgasmen fallen zu lassen, die uns eine neue Dimension der Intensität des Seins eröffnet hatten. Hemmungslos trieben wir es überall. Ob auf einer Friedhofsbank neben der Kirche, in der gerade der Schulgottesdienst nach den Ferien stattfand, oder in der Lehrertoilette während eines Schulfestes oder auf dem Küchentisch eines Hauses, in dem wir zu einer Party eingeladen wurden. Der Ort war uns genauso egal wie eine eventuelle Entdeckung. Während unserer Höhepunkte gab es keine Zukunft und keine Vergangenheit mehr. Nur Charlotte und mich, miteinander verschmolzen in der Gegenwart, die zur Ewigkeit wurde.

Im Sex haben zwei Menschen das täuschende Gefühl, eins zu werden. In Wirklichkeit sind sie nur körperlich zusammengefügt. Aber für einen einzigen Augenblick vergessen sich zwei Menschen ineinander. Sie empfinden eine körperliche Einheit. Dabei stehenzubleiben ist gefährlich. Jeder sehnt sich nach Sex. Die wirkliche Sehnsucht gilt aber der Einheit mit einem anderen Menschen. Die ist nur möglich, wenn sich die Egos auflösen, auf einer höheren Ebene in den anderen übergehen und sich mit ihm vereinigen. Nur in diesem Nichtdualen Zustand erfahren wir, was in der Liebe sein bedeutet.

Die Schatten des Glücks

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