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Kapitel 5: Gefährliche Verwicklungen

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Als ich mit zehn Jahren aufs Gymnasium kam, erklärte mir meine Klassenlehrerin, dass ich sehr glücklich sein würde, wenn ich die Versetzung in die nächste Klasse schaffte. Ich lernte fleißig und wurde versetzt. Aber das machte mich nicht glücklich. Dann erklärten mir meine Lehrer, dass ich sehr glücklich sein würde, wenn ich die Mittlere Reife geschafft hätte. Ich erreichte den Abschluss und wieder machte es mich nicht glücklich. Als sie mir ankündigten, dass ich nach dem Abitur sehr glücklich sein würde, misstraute ich ihrem Glücksversprechen. Diejenigen, die glauben, dass sie glücklich werden, wenn sie etwas erreichen, werden niemals glücklich sein. Glück als Ziel funktioniert nicht, das hatte ich verstanden. Wenn ich mir vornahm, nur bei Erreichen eines Zieles glücklich zu sein, konnte ich niemals glücklich werden. Das Glück ist dann ein Zukunftstraum. Wie ein Regenbogen, der zwei oder drei Schritte entfernt zu liegen scheint, aber unerreichbar ist.

Seit meinem ersten Sex mit Charlotte wusste ich, dass Glück nur im Hier und Jetzt stattfindet. Die Schule interessierte mich nicht mehr. Sie hielt mich nur von meinem Zusammensein mit Charlotte ab. Obwohl wir uns mindestens dreimal unter der Woche sowie einmal am Wochenende sahen und jedes Mal „das Tier mit den zwei Rücken machten“ – wie die Asiaten den Sex so blumig umschreiben, reichte es mir nicht. Meine persönliche Büchse der Pandora war geöffnet worden. Ich wollte so oft mit einer Frau schlafen wie möglich. Deswegen begann ich Affären mit anderen Schülerinnen von Charlottes Gymnasium. Sie wussten von unserer Beziehung. Anscheinend machte mich das umso attraktiver. Charlotte hatte ihren besten Freundinnen erzählt, was für ein einfühlsamer Liebhaber ich war. Natürlich unter dem Deckmantel der höchsten Verschwiegenheit. Verschwiegenheit unter jungen Frauen? Eher friert die Hölle zu. So bekam ich an dem Mädchengymnasium meiner Heimatstadt einen guten Ruf. Erstaunlich viele wollten unverbindlichen Sex mit mir. Sie wussten, ich war diskret und immer bereit. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass sich ein heimlicher „Club-der-mit-Uwe-Schlafenden“ gebildet hatte.

Mit den meisten hatte ich nur einen Quickie oder One-Night-Stand. Aber einige gefielen mir und wir trafen uns regelmäßig. In unserer kleinen Stadt, in der Jeder Jeden kannte, musste das äußerst heimlich geschehen. Es war jedes Mal ein Riesenaufwand, mich abends in das Haus einer meiner Geliebten zu schleichen. Dann ein paar Stunden Sex mit ihr zu haben und mich anschließend wie ein Dieb in der Nacht fort zu stehlen. Kein Wunder, dass ich anfing, davon zu träumen, wie James Bond an den schönsten Plätzen der Welt mit einem Drink in der Hand lässig ein Luxus-Hotelzimmer zu betreten, um dort eine willige Schönheit vorzufinden.

Ich hatte keine Ahnung, dass ich mit einer meiner Affären sehr gefährliche Konflikte auslösen würde. Es war meine Liaison mit Beate, die zu einer Katastrophe führen sollte. Charlotte hatte uns auf einer Party miteinander bekannt gemacht. Beate war eine gute Freundin von ihr. Sie war eine langhaarige Brünette mit blauen Augen und einem fraulichen Körper. Ich merkte an ihren Blicken, dass ich ihr gefiel. Sie gefiel mir auch. Als Charlotte auf der Toilette war, verabredeten wir uns zu einem Date. Wir trieben es auf einer Waldlichtung und verliebten uns. Seitdem trafen wir uns immer wieder zu wilden Sexspielen. Beate war eine Handschuhfrau. So nannte ich damals Gespielinnen, in die ich eindrang und die sich wie eine zweite Haut anfühlten. Wie ein perfekt sitzender Handschuh eben. Mit Frauen dieser Art musste ich nicht viel reden. Wir verstanden uns, weil jeder die Gedanken des anderen erraten konnte. Beate erfüllte meine sexuellen Wünsche, ohne dass ich sie ausgesprochen hatte.

Ihre Eltern hatten sich scheiden lassen und sie lebte alleine mit ihrem Vater. An einem warmen Sommerabend erzählte sie mir bei einem Telefonat, dass er auf einer Geschäftsreise war.

„Ich bin ganz alleine in unserem großen Haus und fürchte mich. Willst du nicht herkommen und bei mir übernachten?“ fragte sie scheinheilig.

Begeistert sagte ich zu. Ich setzte mich auf mein Moped und fuhr zu ihr. Um nicht den Argwohn neugieriger Nachbarn zu erwecken, versteckte ich meine NSU Quickly in einem Gebüsch am Rande eines Feldes, das direkt an das Grundstück hinter Beates Haus grenzte. Voller Vorfreude auf unsere gemeinsame Nacht joggte ich zu ihrer Haustür und klingelte. Sie öffnete mir in Hotpants und einem knapp sitzenden T-Shirt, unter dem sich ihre vollen Brüste abzeichneten. Nach einem zärtlichen Begrüßungskuss nahm sie mich an der Hand und führte mich ins Wohnzimmer, wo zwei Gläser mit Wein auf einem Tisch bereit standen. Aber ich hatte keine Lust auf einen Drink. Wir küssten uns, zogen uns aus und ließen unsere Klamotten achtlos zu Boden fallen. Ich hob Beate hoch und trug sie nackt in ihr Zimmer im ersten Stock. Ohne daran zu denken, das Licht zu löschen und die beiden Gläser, vor allem aber meine am Boden liegenden Sachen mitzunehmen.

Das war ein Riesenfehler. Als ich gerade in Beates mir willig entgegen gestreckten, knackigen Po eindringen wollte, wurde die Haustür aufgeschlossen. Ihr Vater betrat das Haus. Völlig entsetzt hörte ich, wie er ins hell erleuchtete Wohnzimmer ging und stehen blieb. Ich stellte mir vor, wie er gerade die beiden Weingläser und unsere am Boden verstreuten Klamotten anstarrte.

„Beate, du Miststück, welchen Typen hast du diesmal in mein Haus geschleppt? Du bist genau wie deine Mutter, diese verdammte läufige Hündin. Aber diesmal werde ich ein Exempel statuieren, dass der Hurensohn niemals vergessen wird!“ brüllte er. Ein Schlüsselbund klirrte und eine Schranktür wurde aufgeschlossen. Beates Vater war als ein äußerst jähzorniger und gewalttätiger Mensch bekannt. Außerdem war er ein leidenschaftlicher Jäger. Im Wohnzimmer hatte ich einen Glastürschrank mit Gewehren, Dolchen und Pistolen gesehen. Den hatte er wohl gerade geöffnet. Blitzschnell sprang ich aus dem Bett. Wie von Furien gehetzt rannte ich nackt wie ich war auf den an ihr Zimmer angebauten Balkon. Ich kletterte über das Geländer und ließ mich ohne über mögliche Konsequenzen Nachzudenken aus drei Metern Höhe fallen. Zum Glück landete ich in einem weichen Blumenbeet. Ich sprang auf, hüpfte über einen Zaun und rannte über den an das Grundstück angrenzenden Acker. Das Feld war gerade erst abgemäht worden. Bei jedem Schritt bohrten sich die harten Stoppeln der Getreidehalme in meine Fußsohlen. Trotz der Schmerzen lief ich weiter. Als ich einen schnellen Blick zurück warf, sah ich, dass ihr Vater auf dem Balkon stand. Er hielt ein Gewehr in den Händen, mit dem er auf mich zielte. Der Anblick verlieh mir Flügel. Ich beschleunigte und rannte so schnell ich konnte im Zickzack weiter. Schüsse fielen. Ich meinte, das Pfeifen der an mir vorbeizischenden Kugeln zu hören. Theatralisch warf ich die Arme in die Luft und ließ mich fallen. Wie ich es im Kino bei einem im Laufen getroffenen Soldaten gesehen hatte. Schwer atmend blieb ich bewegungslos liegen. Ich rührte mich nicht, bis sich meine Atmung wieder normalisierte. Der verrückte Typ sollte ruhig denken, dass er mich erschossen hatte. Dann begann ich, eng an den Boden gepresst über das abgemähte Feld zu robben. Nur meinen Hintern reckte ich etwas in die Höhe, um meine wertvollen Geschlechtsteile vor den Stoppeln zu schützen. Nach einigen Metern war die Vorderseite meines Körpers völlig zerkratzt. Ich fühlte, wie das Blut über meine Haut lief. Mit zusammengebissenen Zähnen kroch ich langsam weiter. Vergeblich versuchte ich den Schmerz zu ignorieren, den die harten Halmreste auf meiner nackten Haut verursachten. Es brannte höllisch. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichte ich schließlich den Rand des Feldes. Mühsam richtete ich mich auf. Um meine schmerzenden Fußsohlen zu schonen, ging ich auf Zehenspitzen. Im Mondlicht suchte ich mein abgelegtes Moped. Auf einmal brannten meine Zehen wie Feuer: ich war in Brennnesseln getreten. Abwechselnd hüpfte ich von einem Bein aufs andere. Als ich endlich den Busch mit meinem Moped fand, startete ich die Quickly, gab Gas und fuhr mit durchdrehenden Reifen davon. Am ganzen Körper blutend und mit brennenden Fußsohlen knatterte ich durch die Nacht. Meine Arme zitterten so sehr, dass ich die Lenkstange nur mühsam gerade halten konnte. Ich befürchtete, einer Polizeistreife zu begegnen. Sie würden mich sofort anhalten, mit aufs Revier nehmen und mich ausfragen. Ich stellte mir vor, dass die Geschichte am nächsten Tag mit einem Foto von mir in der Zeitung stünde. Die ganze Stadt und auch Charlotte würden von meinen nächtlichen Umtrieben erfahren. Das musste unbedingt verhindert werden. Also fuhr ich sämtliche Schleichwege und Nebenstrecken, die mir einfielen. Statt vierzig Minuten brauchte ich fast zweieinhalb Stunden für die Heimfahrt. Für das letzte Stück des Weges nahm ich eine verwegene Abkürzung durch ein steiles, dicht bewachsenes Waldstück hinter unserem Haus. Zweige von Büschen und Bäumen peitschten meinen Körper und mein Gesicht. Auch bisher noch unverletzte Teile meines geschundenen Leibes fingen an zu bluten. Zum Glück war meine Haut trotz der sommerlichen Temperaturen vom Fahrtwind so gefroren, dass ich die Schmerzen kaum spürte.

Erst weit nach Mitternacht erreichte ich völlig erschöpft mein Elternhaus. Ich schlich mich ins Badezimmer und holte drei starke Schmerztabletten aus unserem Arzneischrank, die ich sofort schluckte. Dann cremte ich sorgfältig meine blutenden Kratzer mit Wundsalbe ein. Danach ging ich auf Zehenspitzen in mein Zimmer. Jeder Schritt tat weh. Vorsichtig zog ich mir einen Schlafanzug über meinen zerschundenen Körper und legte mich in mein Bett. Die Kälte der Nacht, die die Schmerzen betäubt hatte, wich einer zurückkehrenden Wärme. Die wieder einsetzenden Schmerzen trafen mich trotz der Tabletten und der schmerzstillenden Salbe mit voller Wucht. Es fühlte sich an, als ob ich am ganzen Körper in Flammen stünde. Ich musste die Zähne fest zusammenbeißen, um nicht durch mein lautes Stöhnen meine Eltern aufzuwecken.

Meine extremen Leiden empfand ich als gerechte Sühne. Wieder einmal hatte ich mich hinter Charlottes Rücken vergnügen wollen. Dafür bekam ich meine verdiente Strafe. Das Gesetz von Ursache und Wirkung galt auch für mich. Meine selbst verschuldeten Qualen waren eine ernste Warnung, mit meinen sexuellen Eskapaden aufzuhören. Während ich zitternd und leise stöhnend unter der Bettdecke lag, schwor ich mir, dass es das letzte Mal gewesen war. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, aber irgendwann besiegten die Tabletten und die Müdigkeit meine Schmerzen. Mit dem festen, aber albernen Vorsatz, nie wieder mit einer anderen Frau zu schlafen als mit Charlotte, schlief ich ein.


Die Schatten des Glücks

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