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Kapitel 7: Eifersucht und Lügen

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Anikas Schwester Maria kam zwei Tage nach unserer Orgie von der Klassenfahrt zurück. Sie überraschte ihre Schwester dabei, wie sie gerade das Bett ihrer Eltern frisch bezog. Dummerweise erhaschte sie einen Blick auf die dunkelrot gefärbte Matratze, als Anika diese gerade wenden wollte.

„Was war denn hier los? Hast du ein Schwein in dem Bett geschlachtet oder woher kommen die ganzen Blutflecken?“

Anika druckste herum.

„Versprich mir, dass du es nicht weiter erzählst!“

„Ok, ok, ich verspreche es“, erwiderte Maria sofort. Um ihre Neugier zu befriedigen, hätte sie ihrer Schwester alles versprochen.

Daraufhin erzählte Anika ihrer Schwester mit leuchtenden Augen von unserer Orgie. Maria sah sie entgeistert an.

„Ausgerechnet mit Uwe? Weißt du nicht, dass er mit Charlotte verlobt ist? Sie ist eine meiner besten Freundinnen.“

„Klar weiß ich das. Aber Beate kam mit ihm vorbei - und dann hat es sich einfach ergeben. Niemand wird davon erfahren, also ist alles gut. Du hast mir gerade dein Wort gegeben, es nicht weiter zu erzählen“, erinnerte sie ihre Schwester. Die überhörte das geflissentlich.

„Beate? Die war auch dabei? Ausgerechnet auch noch Beate, meine erklärte Intimfeindin? Das Miststück war mit dir und Uwe im Bett? Unfassbar! Ich werde darüber nachdenken müssen, wie ich mich Charlotte gegenüber verhalte, das verstehst du doch.“

„Aber dein Wort …“, flehte Anika.

„Das zählt nicht. Das habe ich dir gegeben, bevor ich wusste, mit wem du es hier so wild getrieben hast.“ Maria sah ihre Schwester streng an. „Es ist an der Zeit, dass du verantwortungslose Katze mal einen Denkzettel erhältst. Damit du nicht immer mit jedem und jeder ins Bett gehst, nur weil du gerade geil bist. Ohne daran zu denken, ob du andere dadurch verletzen könntest.“

Am nächsten Tag erzählte sie während einer Unterrichtspause Charlotte von unserem Dreier. Die reagierte scheinbar gelassen und bedankte sich bei Maria. Dann ging sie in ihr Klassenzimmer, packte ihre Sachen zusammen und lief schnurstracks zu meinem Gymnasium. Sie stellte sich ostentativ vor den Haupteingang unserer Schule, wo sie ein Klassenkamerad von mir bemerkte.

„Uwe, da draußen steht Charlotte“, rief er mir zu. Ich zuckte zusammen. Das bedeutete nichts Gutes. Mit klopfendem Herzen lief ich durch das Schulgebäude zu ihr. Sie sah mich zornig an. Mir schwante Übles. Bevor ich etwas sagen konnte, schlug sie mir mit aller Kraft ins Gesicht.

„Was soll das?“ rief ich laut. Ich spielte den Ahnungslosen, das war meine einzige Chance, sie zu beruhigen. Außerdem wusste ich, dass meine Mitschüler an den Fenstern unseres Klassenraumes standen. Sie beobachteten die Szene und konnten jedes Wort verstehen. Es fehlte noch, dass sie von meinen Umtrieben mit Beate und Anika erfuhren. Der Ruf der Beiden wäre komplett ruiniert gewesen.

Wieder schlug Charlotte mit voller Wucht zu. Genau auf dieselbe Stelle. Meine Wange brannte wie Feuer. Auch mir liefen jetzt Tränen übers Gesicht. Aber es waren Tränen des Schmerzes und der Scham. Sie holte erneut aus. Diesmal packte ich ihr Handgelenk und hielt es fest, bevor sie zuschlagen konnte.

„Verdammt, hör auf mich zu schlagen. Sag mir lieber, was los ist. Ich habe wirklich keine Ahnung, warum du dich so aufführst“, log ich. Charlotte wand sich in meinem Griff und sah mich wütend an.

„Du Schwein hast es mit Anika und Beate getrieben. Gleichzeitig. Maria hat mir alles erzählt. Ich mache jetzt Schluss mit dir untreuem Subjekt. Ich will dich nie wieder sehen.“

In meiner Verwirrung lockerte ich meinen Griff um ihr Handgelenk. Sie riss sich los, drehte sich um und ließ mich einfach stehen. Mir wurde eiskalt. Ich konnte ihre Reaktion verstehen. Doch nicht akzeptieren. Klar hatte ich Scheiße gebaut, aber vielleicht konnte ich unsere Beziehung noch retten. Einfach Loslassen und die Trennung zu akzeptieren war damals nicht mein Ding. Ich lief hinter ihr her und holte sie nach ein paar Schritten ein.

„Maria lügt. Ich weiß nicht, warum. Aber sie lügt. Definitiv“, sagte ich so überzeugend, dass ich es selbst glaubte. Charlotte sah mich traurig an. Ihre tränenfeuchten Augen zeigten mir, wie tief verletzt sie war. Mir wurde speiübel. Das hatte ich nicht gewollt. Ich wäre am liebsten im Boden versunken, doch ich hielt ihrem Blick stand.

„Genau. Warum sollte sie mich belügen? Was hätte sie davon?“

Ich schöpfte Hoffnung. Immerhin redete sie noch mit mir.

„Nun, wie jeder weiß ist Beate ihre Intimfeindin. Und vielleicht hat sie Krach mit ihrer Schwester und will ihr eins auswischen. Mich mag sie auch nicht besonders. Sie findet, dass du etwas Besseres verdient hast. Das hat sie dir doch schon mehrfach gesagt. Jetzt hat sie eine Story erfunden, mit der sie drei Personen, die sie nicht leiden kann oder auf die sie wütend ist, gleichzeitig eins auswischen kann. Ist zwar verrückt, aber aus ihrer Sicht doch perfekt.“

Charlotte sah mich zweifelnd an. Ich merkte selbst, wie konstruiert das wirkte.

„Aber warum sollte sie so etwas erfinden? Was hätte sie davon, wenn sie uns mit dieser Geschichte auseinander brächte?“

Ich fuhr mein stärkstes Geschütz auf.

„Sie behauptet zwar, dass sie mich nicht leiden kann. In Wirklichkeit hat sie aber ein Auge auf mich geworfen. Beim letzten Schulfest hat sie vor der Toilette auf mich gewartet. Dann hat sie mich an der Hand genommen, in ein Klassenzimmer gezogen und mich geküsst. Sie wollte mit mir schlafen. Aber ich habe sie stehen lassen und bin zurück zu dir gegangen. Seitdem hasst sie mich.“

Das war nur die halbe Wahrheit. In dem Klassenzimmer hatte ich Maria den Slip ausgezogen und meine Hose runtergelassen. Dann hatte sie sich über ein Pult gebeugt und ich hatte sie von hinten genommen. Danach hatte ich aber jedes weitere Treffen mit ihr vermieden. Obwohl sie mich mehrfach angerufen hatte, um sich mit mir zu verabreden. Vermutlich war sie auch deswegen so sauer gewesen, dass ich es mit ihrer Schwester und Beate getrieben hatte. Diesen Grund konnte ich Charlotte nicht enthüllen. Aber er verlieh meiner Lüge Glaubwürdigkeit und mir Authentizität. Maria hatte Charlotte unseren Spontanfick verschwiegen. Also log sie tatsächlich.

„Das wird ja immer abenteuerlicher! Maria wollte dich verführen? Sie ist wütend auf dich, weil du sie zurück gewiesen hast? Das ist absolut lachhaft, wenn es nicht so traurig wäre. Warum soll ich dir den Unsinn glauben? Hast du irgendeinen Beweis?“

Ich überlegte fieberhaft. Auf einmal kam mir eine aberwitzige Idee.

„Würdest du Anika glauben, wenn sie dir bestätigt, dass ihre Schwester in mich verliebt ist? Und dass sie nie etwas mit mir hatte und ihre Schwester deswegen lügt? Beate wird das ebenfalls bestätigen. Dann stehen drei Aussagen gegen eine. Reicht dir das?“

Charlotte sah mich prüfend an. Ich versuchte, treuherzig aber auch so verletzt wie ein zu Unrecht Beschuldigter zu schauen. Das schien mir gelungen zu sein. Auf einmal lächelte sie und umarmte mich.

„Eigentlich reicht mir schon dein Wort. Aber wenn die Beiden das auch noch bestätigen, wäre das toll. Dann kann ich Maria richtig fertig machen. Ich hatte sowieso meine Zweifel. Es ist doch ziemlich unglaubwürdig, dass Anika und Beate gemeinsam mit dir ins Bett gehen. Beate ist nicht gerade als Lesbe bekannt. Und Anika soll eine Beziehung mit einem seltsamen Typen haben, der ein gefährlicher Schläger sein soll. Komm, gehen wir zu dir. Ich habe Lust auf Versöhnungssex und die Schule ist für mich heute sowieso gelaufen.“

Die Gewitterwolken in ihrem Gesicht waren verschwunden. Ich drückte sie fest an mich. Sofort begehrte ich sie und wollte ihr zustimmen. Da fiel mir siedend heiß mein zerkratzter Körper ein. Sie durfte mich auf gar keinen Fall nackt sehen. Eine weitere erfundene Geschichte, woher ich diese Verletzungen hatte, würde sie mir nach der Story von der lügenden Maria niemals glauben. Die Wahrheit konnte ich ihr aber unmöglich sagen. Die zarte Pflanze ihres gerade wieder erweckten Vertrauens würde komplett zerstört werden. Sie würde sofort unsere Beziehung beenden. Ich entschloss mich zu einer kleinen Schwindelei.

„Das geht leider nicht, Rehlein.“ Ich verwendete bewusst ihren Kosenamen, den ich sonst nur während unseres Liebesaktes benutzte. „Wir schreiben gleich eine für meine Versetzung wichtige Klassenarbeit in Mathe. Die darf ich auf keinen Fall verpassen. Ich muss zurück in die Schule.“

Sie sah mich enttäuscht an.

„Schade. Aber deine Versetzung geht vor. Wir sehen uns dann am Samstag auf der Party von Beate. Da ist Anika auch eingeladen, wie ich gehört habe. Dann können sie bestätigen, was du mir gerade erzählt hast. Danach können wir die unerfreuliche Angelegenheit endgültig abhaken und nie wieder davon reden. Bis dahin werde ich einen Bogen um Maria machen. Ich ruf dich heute Abend an. Viel Erfolg bei deiner Klassenarbeit.“

Wir küssten uns zum Abschied und ich lief in meine Klasse zurück. Der Unterricht hatte bereits begonnen. Ich entschuldigte mich mit einem Vorwand für mein Zuspätkommen und setzte mich an meinen Platz. Während unser Philosophielehrer uns etwas über den Fortschrittsgedanken erzählte, überlegte ich fieberhaft, wie ich Anika und Beate dazu bringen könnte, Charlotte zu besänftigen. Ich war auf einmal sehr unsicher, ob sie mitspielen würden. Aus weiter Ferne drangen die Worte meines Lehrers an mein Ohr. Ich hing meinen Gedanken nach und hörte nur mit einem halben Ohr zu. Aber auf einmal sagte er etwas, was mich sehr aufmerksam werden ließ:

„Vom Unendlichen aus muss alles Tun und Treiben des Menschen als unsäglich unbedeutend erscheinen. Auch das Individuum kann als ein denkendes Wesen nicht umhin, sein Leben als einen eng begrenzten Kreis zu empfinden. Der Gedanke der Ewigkeit reduziert alle Erscheinungsformen unserer Existenz auf eine winzige Zeitspanne. Er vernichtet dem Menschen alle Lebenslust. Im Laufe eines Lebens steigert sich dieses Gefühl. Je mehr ein Mensch sein Ego entfaltet und je weiter ihn sein Denken über sein Dasein hinausträgt und ihm ein Gefühl der Freiheit vermittelt, desto härter wird der Widerstand seiner Umwelt, die seinem Geistesflug nicht folgt. Auch wenn er mithilfe seiner Leidenschaften versucht, den niederen Sphären seiner Existenz zu entkommen, wird eine Verkettung von dramatischen Ereignissen ihn daran hindern.“

Wenn ich damals schon gewusst hätte, dass das Leben immer feine Signale sendet, um bevorstehendes Unheil anzukünden, hätte ich erkannt, dass er gerade eine mich betreffende Prophezeiung ausgesprochen hatte.

Die Schatten des Glücks

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