Читать книгу Hüte dich vor den wilden Tieren - Valérian Vandyke - Страница 9

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Die Dunkelheit wich langsam einer schummrigen, grünlichen Beleuchtung. Vielleicht gewöhnten sich aber meine Augen erst langsam an das Dämmerlicht. Ich befand mich offensichtlich noch immer in der Kabine und von virtueller Realität war nichts zu bemerken. Es fröstelte mich ein wenig. Plötzlich vernahm ich ein leises Rauschen, als ob jemand im Raum nebenan den Wasserhahn aufgedreht hätte. An den Wänden der Kabine, jede Wand war etwa eine Körperlänge von mir entfernt, vernahm ich nun ein sanftes Flackern der Beleuchtung. Es sah aus, als ob eine schwache Wellenbewegung über die Wand lief und es erinnerte mich an etwas. Es erinnerte mich an die Reflexion der Wasseroberfläche an der Hallendecke eines Schwimmbads. Das Rauschen wurde lauter und plötzlich wurde mir klar, was das zu bedeuten hatte. Ich schaute nach unten. Der Boden der Kabine war bereits eine Handbreit mit Wasser gefüllt und das Wasser stieg unaufhaltsam weiter. »Patrick, was soll der Quatsch!«, rief ich. »Das ist nicht witzig.« Keine Reaktion. »Hast du ein Problem da draußen?« Immer noch nichts. Mittlerweile stand mir das Wasser bis zur Hüfte. Ich überlegte, ob ich mich von den Gurten befreien sollte und schaute nach oben. Aber es waren keine Gurte mehr zu sehen. Möglicherweise hatten sie sich gelöst und waren ins Wasser gefallen. Ich watete zur Tür. Aber es gab keinen Riegel, um sie zu öffnen. Nicht eine Unterbrechung in der glatten Wand. Das Wasser war inzwischen bis zu meiner Schulter angestiegen. Ich begann zu schwimmen. An der Decke war ebenfalls kein Öffnungsmechanismus zu erkennen. Die einzige Abwechslung war die Lampe, die sich in einer der hinteren Ecken der Decke befand. Es war alles wahnsinnig schnell gegangen. Ich drückte den Kopf in den Nacken und nahm gierig meinen letzten tiefen Atemzug und tauchte nach unten. Jetzt konnte ich die Klappen an den Wänden und am Boden wieder erkennen, die ich gesehen hatte, als ich in die Kabine eingetreten bin. Ich versuchte jeden einzelnen dieser vermeintlichen Rettungswege zu öffnen. Ich krallte die Finger in die Ritzen, aber sie waren zu schmal, um einen Halt zu bieten. Mit einer letzten verzweifelten Geste schwamm ich noch einmal nach oben, in der Hoffnung, dass eine Luftblase an der Decke geblieben war, aber es war vergebens. Seit das Licht wieder eingeschaltet wurde, waren höchstens fünf Minuten vergangen. Meine Lunge drohte zu zerbersten und ich konnte es nicht mehr länger ertragen und tat einen tiefen Atemzug.

*

Ich atmete Luft. Es war so überraschend, dass ich mich regelrecht verschluckte und husten musste. Kaum zu glauben, aber offensichtlich bin ich auf eine Simulation hereingefallen. Es war so echt, so wirklich, dass ich keinen Augenblick zweifelte. Und noch immer funktionierte die Illusion perfekt. Ich schwamm nun auf halber Höhe in der Kammer und hatte tatsächlich das Gefühl unter Wasser zu sein. Nur das Atmen passte irgendwie nicht in dieses Bild.

»Willkommen im Pool, Gerald!«, vernahm ich plötzlich Patricks Stimme. »Ich muss mich bei dir entschuldigen, aber ich konnte mir diesen kleinen Scherz nicht verkneifen.«

»Vielen Dank. Aber das ging eindeutig zu weit. Ich würde sagen, dass wir den Versuch jetzt abbrechen. Für diese Art von Scherzen bin ich nicht zu haben. Befrei mich aus diesem Kasten. Ich habe genug gesehen und werde wieder gehen.«

»Es tut mir leid«, sagte Patrick nun etwas kleinlaut, »aber ich habe nicht erwartet, dass du so empfindlich darauf reagierst. Gib mir noch eine Chance, die Sache wieder in Ordnung zu bringen und hör’ mir einfach mal zu. Ich denke, dir ist nun klar geworden, warum wir die Simulationskammer Pool nennen. Es gibt zwei Gründe dafür, warum ich mich für diese Art der Simulation entschieden habe. Erstens bin ich ein leidenschaftlicher Taucher und zweitens lassen sich auf diese Weise einige Effekte leichter erzielen als in unserer gewohnten Umgebung. Durch die reduzierte Beleuchtung und durch die beschränkte Sichtweite unter Wasser reduziert sich auch die erforderliche Rechenleistung gewaltig. Du musst bedenken, dass es sich bei dieser Anlage um ein rein privates Vergnügen handelt. Und die Umsetzung deiner Bewegungen lässt sich einfacher bewerkstelligen. Als du durch die Kammer gewatet bist, hast du den echten Fußboden berührt und die echten Wände angefasst. Damit wäre die Simulation jedoch auf diesen Raum beschränkt. Das Einspannen deines Körpers in das Gurtsystem erlaubt es dir, waagerecht im Wasser zu schwimmen oder senkrecht nach oben oder unten zu tauchen. Damit erweitert sich der Aktionsradius ins Unendliche. In unserem großen Labor haben wir auch eine Möglichkeit in einer VR-Umgebung herumzulaufen. Es nennt sich Treadmill. Man kann darauf herumlaufen, ohne sich real von der Stelle zu bewegen, aber es ist riesig groß und äußerst kostspielig. Der haptische Anzug ist jedoch der gleiche, den wir in der Firma verwenden. Ich habe dir nicht ganz die Wahrheit gesagt. Er hat die Illusion deiner Bewegungen durch das Wasser noch realistischer wirken lassen. Dies sollte erst der Anfang deiner Reise durch die VR sein. Ich verspreche dir, dass ich ab jetzt keine Späße mehr mache und dass du es nicht bereuen wirst, wenn du mir die Gelegenheit gibst, es wieder gut zu machen.« Ich war tatsächlich noch geschockt von dem Erlebnis und geneigt der Sache ein Ende zu bereiten. Aber andererseits wusste ich nun, dass es nur eine perfekte Illusion gewesen ist und ich war einfach zu neugierig, um an dieser Stelle schon abzubrechen. Nachdem ich mich etwas beruhigt hatte, räumte ich ein, dass der Scherz nicht ganz so übel gewesen ist. »Na gut«, sagte ich schließlich. »Ich gebe dir noch einmal die Möglichkeit dich zu rehabilitieren. Aber keine lebensbedrohlichen Situationen mehr.«

»O.K.«, meinte Patrick. »Aber ganz ohne Würze wollen wir die Sache nicht ablaufen lassen. Du musst dir nur immer klar machen, dass es VR ist.« Ich seufzte. Kaum hatte ich eine Geste der Zustimmung gemacht, schon griff er beherzt zu. »Also los dann«, gab ich mich geschlagen.

»Bestens«, meinte er daraufhin. »Ich wusste doch, dass deine Neugier gewinnt.« Daraufhin hörte ich ein summendes Maschinengeräusch und dann ein metallisches Knirschen, als ob sich eine große Masse in Bewegung gesetzt hätte. Tatsächlich hob sich die vordere Tür langsam nach oben. Als ich in die Kabine eingetreten war, handelte es sich noch um eine einfache Holztür, aber jetzt hob sich dort ein schweres Stahltor und gab zögernd einen schmalen Spalt frei, durch den Sonnenlicht hereindrang. Als das Tor sich endlich vollständig gehoben hatte, war ich schier überwältigt von der Landschaft, die sich vor mir ausbreitete. Ich befand mich mitten in einem Korallenriff, das sich in bunt schillernden Farben über die sanften Hügel des Meeresgrundes erstreckte. Zwischen den Korallen konnte ich zahllose ebenso farbenfrohe Fische ausmachen, die verspielt ihre Bahnen zogen. Der Meeresspiegel lag nur wenige Meter über mir und die Sonne breitete einen bewegten Teppich von Schlieren über dem sandigen Grund aus. Alles wirkte so real, wie ich mir es nie erträumt hätte. Ich schwamm langsam durch die große Öffnung nach draußen und genoss es, inmitten dieser fantastischen Landschaft dahinzugleiten. Nachdem ich etwa zwanzig oder dreißig Meter aus der Kabine heraus geschwommen war, drehte ich mich langsam um und erlebte die zweite Überraschung. Die Tür, durch die ich kam, war eine kleine Schachtöffnung in der Seitenwand eines gigantischen Schiffswracks. Das Wrack war über und über mit Algen und Schlingpflanzen bewachsen, die sich langsam in der Dünung des flachen Wassers hin und her bewegten. Es war offensichtlich ein großes Passagierschiff, kleiner als die legendäre Titanic, aber aus meiner Perspektive nicht minder gewaltig und es erschien besser erhalten. Ein großer Teil des Schiffs ragte wohl aus dem Wasser heraus, die Reflexionen an der Oberfläche verhinderten jedoch die Sicht nach oben. Aus einer zweiten Öffnung im Schiffsrumpf lösten sich nun zwei Gestalten, die direkt auf mich zu schwammen. Eigentlich dachte ich mir schon, wer es sein könnte, doch als sie nahe genug waren staunte ich nicht schlecht über ihre Gestalt. Es waren Daria und Patrick, aber ihre Körper waren in erstaunlicher Weise verändert. Daria sah eigentlich fast so aus, wie ich sie von dem kurzen Gespräch in Erinnerung hatte, aber von der Hüfte an abwärts hatte sie sich in eine Nixe verwandelt und sie hatte einen grün und blau geschuppten Fischschwanz, dessen breite Flosse in zwei langen Fäden auslief. Patrick hingegen war in grotesker Weise verändert. Er hatte den Körper eines Delfins angenommen, sein Kopf aber trug noch immer sein unverwechselbares Gesicht mit der ausgeprägten Adlernase und er trug die gleiche Brille, die er schon im Labor anhatte.

»Na wie findest du meine bescheidene Unterwasserwelt?«, fragte mich der Patrick-Delfin.

»Ich bin überwältigt«, erwiderte ich. »Aber ich bin immer noch stinksauer wegen der Vorstellung eben. Da musst du mir noch einiges bieten, um mich wieder gnädig zu stimmen.«

»Na da wollen wir doch mal sehen, was sich da machen lässt«, meinte er. »Lass uns einfach Daria hinterher schwimmen.«

»Wo steckt ihr beiden eigentlich in Wirklichkeit?«, fragte ich. »Gibt es noch weitere solche Pools in deiner Wohnung?«

»Nein, nein. Das ist nicht notwendig. Du alleine erlebst diese Illusion. Wir sitzen hier gemütlich im Labor und sehen uns die Show auf einem Bildschirm an. Unsere Körper sind animiert und unsere Worte werden auf die Mundbewegungen der Figuren übertragen. Die Körper-Bewegungen werden durch einen haptischen Handschuh eingespeist, so dass wir die Richtung und Geschwindigkeit angeben können. Den Rest erledigen die Programme selbstständig. Es ist wie bei einem Computerspiel; nur, dass du nun mittendrin bist.«

Daria schwamm mit einem majestätisch anmutenden Flossenschlag voraus in Richtung Korallenriff. Der Patrick-Delfin folgte ihr und ich versuchte in gewohnter Weise, wie ein Brustschwimmer hinterher zu schwimmen. Ich hatte jedoch keine Chance. »Hey!«, rief ich. »Wollt ihr mich nun mitnehmen oder nicht?«. Der Patrick-Delfin kehrte um und sah mich nachdenklich an. »Na dann lass mal sehen, was wir da machen können. In einen Fisch sollten wir dich nicht verwandeln. Aber wie findest du das? Schau dir mal deine Hände und Füße an.« Ich betrachtete fasziniert meine Gliedmaßen und glaubte meinen Augen nicht zu trauen. Meine Finger fingen an zu wachsen, bis sie etwa die doppelte normale Länge erreicht hatten. Gleichzeitig war zwischen den Fingern eine Schwimmhaut gewachsen. Wenn ich die Finger spreizte, konnte ich mit meinen fächerförmigen Händen ungleich mehr Wasser verdrängen als vorher. Meine Füße waren jedoch zu langen Flossen mutiert. Ich sah aus wie ein Taucher aus einer anderen Welt. Mit dieser Ausrüstung hatte sich meine submaritime Beweglichkeit enorm gesteigert. Mit nur leichten Pendelbewegungen der Unterschenkel brachte ich es jetzt auf ein enormes Tempo. Ich überholte den Patrick-Delfin mit rasanter Beschleunigung und schloss rasch zu Daria auf. »Na wie findest du mein neues Outfit?«, kokettierte ich. Daria reagierte jedoch nicht, wie ich es erwartet hatte. Ihr Mund blieb in einer lächerlichen, starren Pose geschlossen. »Hast du deine Sprache verloren? Oder können Nixen von Natur aus nicht sprechen?«

»Es ist ganz einfach«, mischte sich Patrick nun ein. »Wir haben zurzeit nur ein Mikrofon aktiv geschaltet. Deshalb ist Daria stumm wie ein Fisch.«

Daria nickte eifrig mit dem Kopf, winkte mir kurz zu und nahm dann wieder Fahrt auf. Es war eine herrliche Tour. Wir schwammen durch Schwärme von Fischen, die sich auf wundersame Weise wie ein einziger harmonischer Organismus bewegten und sich vor uns teilten. Ich musste sofort wieder an Carl Kramers Spekulationen über die Parallelen zum menschlichen Verhalten denken und schmunzelte insgeheim darüber. Wir wetteiferten mit Delfinen, und jagten hinter ihnen durch dichte, lichtdurchflutete Tangwälder, die sich sanft in der Brandung wiegten und wir begegneten einem riesigen Wal, der majestätisch an uns vorbeizog und rasch wieder in der Finsternis verschwand. Ich hatte schon fast vergessen, dass ich mich nicht wirklich in den Tiefen des Meeres befand, sondern von einer aufwändigen Simulation getäuscht wurde. Diese Tatsache wurde mir jedoch nur allzu deutlich vor Augen geführt, als Patrick nach einer guten halben Stunde beschlossen hatte, seinen nächsten Streich mit mir zu spielen. Wir schwammen gerade durch eine Felsenschlucht, als eine kräftige Strömung einsetzte und mich unbarmherzig nach vorn in die unbekannte Dunkelheit zog. Ich schaute mich um, konnte jedoch niemanden entdecken. Diesmal schwor ich mir, dass ich mich nicht mehr so leicht von Patricks Spielchen beeindrucken lassen würde. Sollte er nur versuchen mich mit dieser Strömung zu beängstigen. Ich setzte die Schwimmbewegungen aus und verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust, sagte aber nichts, um mir keine Blöße zu geben. Inzwischen war meine Geschwindigkeit so gewaltig, dass ich meine Umgebung nur noch als vorbeifliegende Schemen wahrnehmen konnte. In der Ferne konnte ich so etwas wie eine Röhre ausmachen, auf die ich mich rasend schnell zu bewegte. Die Röhre wurde immer größer und wuchs rasch zu beängstigenden Ausmaßen an. Inzwischen schwamm ich auf der Wasseroberfläche und konnte hoch oben in dunstiger Ferne hohe Felswände ausmachen. Dann erkannte ich, was sich da vor mir befand. Es war ein gigantischer Abfluss, mit einem Durchmesser von einigen hundert Metern, wenn nicht sogar Kilometern, der röhrenförmig in die Felsen eingearbeitet war. Der ganze Ozean schien auszulaufen und ergoss sich über eine unglaublich lange Kante, die voller aufsteigender Gischt war. Ich raste darauf zu und war nun doch beeindruckt. Außerdem konnte ich eine gewisse Beunruhigung nicht unterdrücken, obwohl ich krampfhaft versuchte mir klar zu machen, dass ich nicht wirklich hier war. Als ich die Kante fast erreicht hatte, wurde ich in einigen Metern Abstand von einem Körper überholt. Ich konnte jedoch nicht genau ausmachen um, was es sich dabei handelte. Dann hatte auch ich den aufsteigenden Dunst erreicht und es war nichts mehr um mich herum zu erkennen. Sekunden später konnte ich einen lauten Aufschrei nicht unterdrücken.

*

Der Ozean ergoss sich als gigantischer Wasserfall in die Tiefe. Unter mir befand sich nichts; das heißt sehr weit unter mir konnte ich eine Landschaft erkennen, die sich jedoch nur sehr schwach in zarten Pastelltönen abzeichnete. Der Wasserfall verlor sich in der gewaltigen Distanz zum Boden. Die ganze Szene war einfach zu fantastisch, um sie mit Worten zu beschreiben. Das Verrückteste war jedoch die Tatsache, dass ich nicht herabfiel. Ich schwebte in einer Entfernung von vielleicht hundert Metern vor der gigantischen Kaskade. Ich muss zugeben, dass mir diese grandiose Aussicht gefiel und es machte Spaß mich in der Betrachtung der fantastischen Szenerie zu verlieren. Irgendjemand, ich vermutete Darias Handschrift hier wiederzufinden, hatte seinem kreativen Drang Luft verschafft und sich bei der Gestaltung dieser Umgebung geradezu ausgetobt. Ich fand mich mitten in einem surrealistischen Gemälde wieder, das in seinem Ursprung möglicherweise an die Werke von Magritte angelehnt war, aber in seiner Komplexität weit über dessen klare Strukturierung hinausging.

Die gigantische Röhre, aus der sich der Wasserfall in die Tiefe ergoss, trat aus einem Felsbrocken heraus, der so groß wie ein ausgewachsener Achttausender im Himalaya sein musste. Dieser riesige Berg berührte jedoch an keiner Stelle den Erdboden, vielmehr schien er wie schwerelos, kilometerhoch über der Landschaft zu schweben, die in noch größerer Tiefe von zarten Wolken transparent überdeckt war. Wenn ich mich umdrehte, konnte ich rings herum architektonische Wunder erblicken, die von ihrem Baustil an tausend und eine Nacht erinnerten, die aber in einer, von der Schwerkraft beherrschten Welt, haltlos in sich zusammenstürzen würden. Filigrane Treppen und Bögen überspannten die Abgründe über Strecken von hunderten von Metern und verbanden so die Städte, die auf schwebenden Felsbrocken errichtet waren und durch die Bewegung von farbenfrohen Fähnchen, die sich auf den dürren Zinnen zart im Wind bewegten, unglaublich lebendig wirkten. Es schien sich sogar ein emsiger Strom von Menschen und Fahrzeugen durch die Gassen der Gemäuer und in schwindelnder Höhe über die Brücken zu ziehen. Ich war wie verzaubert von der Harmonie, die von dieser künstlichen Landschaft auf mich übersprang und die eine bisher unentdeckte Saite in meinem Gemüt zum Schwingen brachte.

Als ob die schwebenden Städte nicht schon surreal genug waren, dazu geeignet jeden Beobachter in ihren Bann zu schlagen, so wurde der Szene noch der letzte verbleibende Rest an vermeintlicher Wirklichkeit genommen, indem diese, von ihrer Größe bereits unfassbare Welt sich selbst in einem riesigen Gemäuer befand. Es war die Ruine eines gewaltigen Turms, aufgebaut aus kilometergroßen Mauersteinen, dessen Kuppel, die einst den ganzen Himmel abgedeckt hatte, nur noch in kläglichen Resten erhalten war, die einen Blick auf das Firmament darüber fast ungehindert freigaben. Der Turm war so gewaltig, dass die Sonne, welche die Landschaft um mich herum in leuchtende, warme Farben hüllte, selbst nur eine gelbliche Kugel innerhalb des Turms war. Blickte man auf der Seite, die der künstlichen Sonne gegenüber lag, noch weiter hinauf, dann erstreckte sich dort ein schwarzer Nachthimmel, geziert von zahlreichen Sternen und dem überwältigenden Anblick eines riesigen Spiralnebels, der leicht zur Seite geneigt war. Dieser unglaubliche Anblick brachte die gewohnte Perspektive völlig durcheinander und man konnte seine eigene Winzigkeit inmitten dieser gigantischen Welt geradezu körperlich erspüren. Ich erschauerte unwillkürlich und die Härchen auf meinem Arm begannen sich aufzurichten. Patrick hatte mich durch seine künstliche Landschaft tief in meinem Innersten berührt und ich war völlig überwältigt. Ich war mir sogar sicher, dass ich bereits nach dieser Erfahrung süchtig geworden war. Es würde mir unendlich schwer fallen, mich in der nüchternen Realität wieder zurecht zu finden. Tatsächlich ahnte ich in diesem Moment noch nicht, dass meine Reise bereits im nächsten Moment ein jähes Ende nehme würde und dass der Rückfall in die echte Welt viel härter ausfallen würde, als ich es mir jemals erträumt hätte. Das herannahende Ende begann mit einer kaum wahrnehmbaren Veränderung. Es dauerte eine Weile, bis ich begriffen hatte, dass die sanfte Bewegung der Fähnchen in der seichten Brise aufgehört hatte. Es waren auch keine Menschen mehr auszumachen, die sich über die Brücken und Straßen drängten. Alles wirkte irgendwie erstarrt und tot; die Landschaft machte mehr als zuvor den Eindruck eines echten Gemäldes. Ich drehte mich mit einem Ruck um und erkannte, dass es nicht nur die Städte erwischt hatte. Auch der Wasserfall war in der Bewegung eingefroren. Die Landschaft war statisch geworden. Kein Fließen mehr und auch kein Geräusch. Ich rief nach Patrick, bekam aber keine Antwort. Die Welt um mich herum wirkte nun eher gespenstisch. Ich versuchte mich irgendwie vorwärts zu bewegen, kam aber nicht von der Stelle. Die nächste Veränderung ließ jedoch nicht lange auf sich warten. Die Welt begann sich aufzulösen.

Hüte dich vor den wilden Tieren

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