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ОглавлениеDie Pasta Madre
Was ist Pasta Madre?
„Ist doch egal, Hauptsache, mein Brot geht auf!“, werden sich viele von euch denken. Und vielleicht zu Recht. Müssen wir wirklich immer wissen, was genau dahintersteckt? Reicht es nicht auch, es mit kindlichen Augen als Wunder oder Magie zu erleben? Das Brot geht auf, weil im Teig aus Mehl und Wasser die uralte Kraft des Lebens steckt, das immer neues Leben hervorzubringen vermag.
Aber vielleicht, so erkläre ich in meinen Workshops immer, ist es doch ganz gut, ein wenig mehr über die Pasta Madre (auch Mutterhefe genannt) zu wissen. Damit das Brot nicht nur einmal, sondern immer gelingt, müssen wir zumindest zum Teil verstehen, was in unserem magischen Teig vor sich geht. Nur so können wir unsere Brotherstellung an immer neue Gegebenheiten anpassen: Dann wissen wir, dass der Teig im Winter länger ruhen muss als im Sommer, warum es einen Vorteig braucht und weshalb wir unsere Pasta Madre auffrischen müssen.
Also in Kürze: Pasta Madre ist nichts anderes als Mehl und Wasser. Diese einfache Mischung ist der ideale Nährboden für natürliche Hefen, die spontan angezogen werden, und Milchsäurebakterien, die von Natur aus im Mehl (und auf unseren Händen) vorkommen. Sobald die Milchsäurebakterien mit Wasser in Kontakt kommen, gehen sie eine Symbiose mit den Hefen ein und ermöglichen zwei Arten von Fermentation: die Milchsäuregärung und die alkoholische Gärung. Durch die Fermentation entsteht Kohlendioxid, das den Teig regelrecht aufbläst, also „aufgehen“ lässt.
Dieser Prozess wird, wie alle Fermentationsprozesse, bei Wärme beschleunigt, bei Kälte verlangsamt.
Es ist natürlich kein unendlicher Prozess, denn mit dem Fortschreiten der Fermentation gehen den Hefen und Bakterien die Nährstoffe aus. Genau deshalb müssen wir unsere Pasta Madre pflegen und sie immer wieder „auffrischen“: Wir müssen praktisch unsere Hefen und Bakterien füttern. Unsere Pasta Madre ist lebendig und wie alles Lebendige braucht sie Futter.
Die Pasta Madre ist ein lebender Organismus – fast wie in einem Bienenstaat hängt jedes Individuum vom Überleben des Volkes ab. Und das Volk ist von uns Menschen abhängig, ist an unsere Fürsorge und Aufmerksamkeit gebunden. Es passt sich an unsere Umwelt an, an unseren Wohnort und unsere Lebensbedingungen. Über die Jahre habe ich meine Pasta Madre schon zehn-, wenn nicht hundertfach mit anderen geteilt. Meine Pasta Madre – meine Mutterhefe – hat viele „Töchter“ produziert, die aber nicht mehr mit ihrer Mutter identisch sind. Ab dem Moment, wo meine Pasta Madre in eurem Glas landet, wo eure Geräte, eure Hände, das Wasser eurer Heimatgemeinde und euer Mehl sie berühren, macht ihr daraus eine persönliche Pasta Madre, die sich an eure Bedingungen anpasst: Sie wird EURE! Auch wenn ihr genau meinen Rezepten folgt und Pasta Madre verwendet, die von meiner stammt, werden nie zwei gleiche Brote entstehen. Hochpotenzierte Biodiversität und ein untrüglicher Beweis dafür, dass wir sind, was wir essen, und wir essen, was wir sind!
Zwischen Geschichte und Legende
Brot ist wohl die symbolträchtigste Speise überhaupt. Schon in der Bibel steht geschrieben: Während des Mahls nahm Jesus das Brot und sprach den Lobpreis; dann brach er das Brot, reichte es den Jüngern und sagte: Nehmt und esst; das ist mein Leib; Matthäus 26,26.
Unsere Kultur hat ihren Ursprung vor rund 12.000 Jahren, als die Menschen begannen, die Erde zu pflügen und Körner und Samen anzubauen, um daraus Mehl zu gewinnen. Die Technik des Getreidemahlens verbesserte sich stetig und das Mehl wurde immer besser.
Wahrscheinlich ernährten sich die Menschen in den ersten Jahrtausenden nach der sogenannten jungsteinzeitlichen Revolution von Getreidebrei, hergestellt aus den gemahlenen Samen und Wasser. Vielleicht gab es auch schon flache Brote, die aus demselben Brei gebacken wurden. Fladen ohne Triebmittel wie Hefen oder Sauerteig findet man heute noch in jedem Winkel der Welt, man denke nur an Pita, Chapati, Injera, Piadina, Tortillas. Diese Brote erinnern uns daran, dass wir alle eine gemeinsame Geschichte haben, dass wir Geschwister auf Mutter Erde sind. Und alle waren wir neugierig und offen dafür, neue Möglichkeiten der Ernährung und Essenszubereitung zu entdecken.
Als ich hier auf dem Mas del Saro für Stadtkinder „Schule auf dem Bauernhof“ anbot, erzählte ich immer gerne eine Geschichte, die Geschichte des Brotes. In dieser gibt es eine Frau, die vor ca. 5.000 Jahren in Ägypten lebte. Sie war etwas zerstreut und zuweilen vergaß sie, wo sie ihre Dinge hingelegt hatte. Eines Tages bereitete sie einen Teig, um auf den heißen Steinen des Feuers Fladenbrote für das Abendessen zu backen … und vergaß ihn. Nach einigen Tagen fand sie ihren wertvollen Teig wieder. Er war verändert. Er war wie aufgeblasen und auf der Oberfläche hatten sich kleine Bläschen gebildet, er roch leicht säuerlich. Die Frau hatte Zweifel, ob er noch gut war, und wollte ihn wegwerfen. Aber einen Teig wegzuwerfen, das Ergebnis harter Arbeit im Feld und an der Mühle, galt als Sakrileg, ja als Tabu. Und sie entschied sich, ihn so zu backen, wie er war. Die Kinder riefen an dieser Stelle immer: „Vea, der Teig ist aufgegangen, weil er voll dieser kleinen Tierchen war?“ „So ist das“, sagte ich, „und ihr könnt euch die Überraschung vorstellen!“
So stelle ich mir die „Geburt des Brotes“ vor: eine zerstreute, vielbeschäftigte Frau, die sich der Heiligkeit aller Nahrungsmittel bewusst war und den ersten Brotlaib der Menschheit backte.
Warum sollte man Pasta Madre verwenden?
Eines muss ich vorausschicken: Backhefe ist nicht schlecht! Wenn ihr sie richtig verwendet, leistet sie eine gute Arbeit und ist eine gute Alternative zur Pasta Madre. Sie richtig zu verwenden, heißt, dass ihr nur sehr wenig davon in den Teig gebt. Ich bin immer entrüstet, wenn ich Rezepte lese, die 25 g Hefe für 500 g Mehl vorsehen. Das ist eine enorme Menge: Das tut weder eurer Verdauung gut noch schmeckt das Brot. Für 500 g Mehl reichen 5 g Hefe, allerdings müsst ihr eine längere Teigruhe vorsehen. Tut mir leid, gut Ding braucht Weile!
Schauen wir uns mal an, warum immer mehr Leute auf die altbewährte Pasta Madre zurückkommen:
•Das Brot ist besser! Das ist nicht nur Geschmackssache, nein, es ist objektiv besser. Und das hat seinen Grund: Durch das Mitwirken vieler verschiedener Hefestämme (und nicht nur einer einzigen Art wie in der Backhefe) und der Milchsäurebakterien kommt es zum sehr komplexen Prozess der Fermentation. Und das schlägt sich natürlich auch auf den Geschmack nieder. Das Brot schmeckt voller, reicher und interessanter. Wer begonnen hat, jeden Tag Brot aus Pasta Madre zu essen, für den gibt es kein Zurück!
•Es ist leichter verdaulich! Durch die Bakterien und die lange Teigruhe werden viele Nährstoffe schon vorverdaut, wodurch diese bekömmlicher werden und vom Körper leichter aufzunehmen sind. Das unterstützt vor allem unser Darmmikrobiom.
•Es bleibt länger frisch! Die leichte Säure, die sich im Brot bildet, verhindert das Wachstum unliebsamer Bakterien und Schimmelpilze. (Dasselbe Prinzip wirkt beim Sauerkraut: Durch die bei der Fermentation entstandene Säure können sich keine Keime und Schimmelpilze ansiedeln und es bleibt konserviert.)
•Es hat eine dunkle, knusprige Kruste!!
Das sind die „praktischen Gründe“, warum Pasta Madre und das natürlich Brotbacken heute wieder „in“ sind.
Für mich gibt es aber noch einen anderen Grund: Sobald man sich für diesen Weg entschieden hat, wird man sich einer Urkraft bewusst. Es ist wie beim eigenen Gemüsegarten, man fühlt sich plötzlich autark, autonom und selbstbewusst. Wenn ich selbst auf uralte Weise Brot backen kann – ohne Hilfsmittel der Lebensmittelindustrie –, macht mich das stark und unabhängig. Dieses Brot erfreut nicht nur den Gaumen, sondern auch die Seele!