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Über die Kindheit hinaus

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Im Laufe des Lebens kommen weitere Anteile hinzu, wenn wir Neues lernen und uns in neuen Kontexten bewegen. So zum Beispiel, wenn wir einen neuen Beruf erlernen oder Eltern werden. Dann entwickeln sich durch neue Erfahrungen neue Anteile, die zuvor noch nicht existierten und die sich immer weiter verfeinern, je mehr wir in die neuen Aufgaben hineinwachsen. Ein Mensch, der eine solche innere Struktur entwickelt, erlebt sich als integrierte Persönlichkeit, also in sich stimmig. Er kennt sich in sich aus und hat ein Gefühl von Ich, Selbst und Identität.

So bin ich in diesem Augenblick, wo ich dies hier schreibe, in meinem »Autorinnen-Selbst«. Ich denke in meiner Expertinnenwelt und schreibe in diesem Bewusstsein. Die Lebensgeschichten vieler Klientinnen sind mir in diesem Anteil zugänglich sowie auch mein theoretisches Wissen, und ich befinde mich in einem energetischen Zustand der Konzentration und Sammlung. Ich bin mit diesem Persönlichkeitsanteil »identifiziert«, was bedeutet, dass sein neuronales Netzwerk aktiv ist und ich ganz darin aufgehe. Ich bin gerade die Autorin.

Wenn wir mit einem inneren Anteil identifiziert sind, bedeutet das, dass das neuronale Netzwerk, das ihn ausmacht, aktiv ist und wir uns entsprechend erleben.

Wenn ich heute Abend einer Freundin erzähle, wie sich der Schreibprozess angefühlt hat und was ich in letzter Zeit erlebt habe, schwinge ich in einem anderen Anteil, nehme mich anders wahr, verwende vermutlich andere Wörter und bin innerlich nicht in Kontakt mit den Lebensgeschichten meiner Klienten.

Diese beiden unterschiedlichen Anteile erfüllen unterschiedliche Aufgaben und haben unterschiedliche Bedürfnisse. Dennoch existieren sie friedlich und fließend neben- und miteinander und sind beide, gemeinsam mit einigen weiteren, Teil meiner vielfältigen Persönlichkeit.

Dass mehrere Anteile gleichzeitig aktiv sind, ist völlig natürlich und im Alltag ständig der Fall. Es ist sehr sinnvoll, wenn die verhandelnde Anwältin vor Gericht konzentriert ihr Plädoyer halten kann, ohne dabei von ihrem bedürftigen Kindanteil, der Angst hat, etwas falsch zu machen, abgelenkt zu werden.

Wer eine kohärente, integrierte Persönlichkeit hat und seine Anteile weitgehend bewusst wahrnimmt, dem ist es möglich, sich zu regulieren und willentlich zu entscheiden, in welchen Anteil er oder sie sich gerade hineinbegeben will. Dann ist es auch möglich, zwischen Anteilen fließend zu wechseln, da ihre neuronalen Netzwerke untereinander verbunden sind.

Wesentlich schwieriger ist es, wenn wir mit einem inneren Anteil identifiziert sind, der in seiner Entwicklung noch nicht so wirklich im Hier und Jetzt angekommen ist. Innere Anteile, die unter traumatischem Stress entstanden sind, bilden häufig neuronale Netzwerke, die für sich allein wie Inseln, unverbunden mit anderen Anteilen, bestehen. Einmal dort hineingeraten ist es schwer, wieder rauszukommen, also sich zu »desidentifizieren«.

Bin ich traumatisiert?

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