Читать книгу Bin ich traumatisiert? - Verena König - Страница 7

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Einleitung

Das Wissen über Trauma hat die Kraft, die Welt zu verändern.1

Mit diesem Buch hältst du eine Einladung in den Händen. Ich möchte dich einladen, den Blick auf dich und die Menschheit zu weiten und dich der Annahme zu öffnen, dass es nie zu spät ist für ein glückliches Leben und eine friedliche Welt. Ich lade dich ein, dich zu erinnern. An deine Würde und die Würde aller Wesen. Ich will dich ermutigen, zuversichtlich zu sein, auch wenn es in dir und um dich oft düster aussieht.

Auf dieser Welt geschehen tagtäglich unbegreifliche Grausamkeiten, die intelligente Lebewesen sich und anderen Geschöpfen antun. Sich das zu vergegenwärtigen, kann fassungslos machen. Wie kann es sein, dass wir als verstandesbegabte Spezies in der Lage sind, unsere Welt wider besseres Wissen zu zerstören? Wie kommt es dazu, dass trotz unserer technischen Möglichkeiten und ethischen und moralischen Werte so viele Menschen auf der Flucht sind wie noch niemals zuvor in der Menschheitsgeschichte? Wieso müssen unsere Kinder uns mit lauten Parolen und weltweiten Demonstrationen vor Augen führen, dass wir jetzt etwas tun müssen, damit sie nicht von einer menschengemachten Katastrophe ihre Zukunft gestohlen bekommen?

Wieso befindet sich die Menschheit in einem Zustand, der angesichts ihrer Potenziale beschämend unmenschlich ist?

Wie innen, so außen

Ein ähnlich trostloser Zustand herrscht häufig auch in unserer Innenwelt. In ihr ist es oft nicht viel friedvoller als in der Welt da draußen. Im Gegenteil, manchmal geht es im Innern sogar noch wilder und roher zu. Wenn wir uns gegenseitig bei unseren inneren Dialogen zuhören könnten, wären wir erschüttert, wie rau und unfreundlich der Ton oftmals ist. Die meisten Menschen würden mit niemandem sonst so sprechen wie mit sich selbst. Wieso ist in vielen Menschen so viel Selbstabwertung und Selbstverurteilung, ja manchmal sogar Selbsthass? Wieso gibt es in unserer Welt so viele Minderwertigkeitsgefühle und Einsamkeit, so viel Angst und Leid, das sich scheinbar nicht lösen lässt? Menschen können blind und sogar grausam sein, gänzlich abgeschnitten von ihrer Güte und Empathie.

Trotz aller Schatten unserer Gegenwart, die uns oft ohnmächtig, klein und hilflos zurücklassen, bin ich zuversichtlich. Denn so unbegreiflich all das auch scheinen mag – durch die traumatherapeutische Brille betrachtet, ist es das nicht. Ungelöste, nicht verarbeitete traumatische Erfahrungen haben Folgen, die häufig nicht einfach nachvollziehbar sind. Wenn wir die Auswirkungen von Trauma auf die menschliche Psyche verstehen, halten wir einen Schlüssel in den Händen, der uns die Tür zu einer Welt öffnet, in der Menschlichkeit und Verbundenheit die Basis für unsere Entscheidungen bilden. Wenn dieses Wissen zu Bewusstsein wird, also vom Kopf auch ins Herz rutscht, haben wir die Chance, unseren Kindern eine Zukunft zu schenken, die ihrer würdig ist.

Frieden in der Welt beginnt im Innern eines jeden Einzelnen.

Meine Zuversicht entspringt nicht einer blühenden Fantasie oder gar Naivität, sondern sie basiert auf meiner jahrelangen Erfahrung als Traumatherapeutin. Mir wird das große Privileg zuteil, dass sich mir unzählige Menschen mit ihren teilweise erschütternden Lebensgeschichten anvertrauen. Und so erlebe ich mit meinen Klientinnen und Klienten jeden Tag aufs Neue, welche Macht tiefe Verletzungen über die Gegenwart haben können und wie erlösend es ist, wenn sich der Klammergriff der Vergangenheit langsam löst und das Hier und Jetzt zu atmen beginnt.

Den inneren Kampf beenden

In der Rolle der Therapeutin werde ich nicht nur Zeugin von Lebensgeschichten, die ich mir nicht hätte vorstellen können, sondern ich bezeuge auch ein enormes Ausmaß an Kraft, Lebenswillen und Mut. Es ist mir klar geworden, dass es etwas in uns geben muss, das größer und stärker ist als all die Belastungen der Vergangenheit und Gegenwart zusammen. In den Heilungs- und Entwicklungsprozessen meiner Klienten erlebe ich immer wieder, dass das Begreifen von Traumadynamiken eine große Wirkung hat. Wenn wir Verständnis für unsere eigene Innenwelt, für das eigene »So-Sein« und für unsere scheinbar destruktiven Muster entwickeln, endet der Kampf gegen uns selbst. Was für ein wichtiger Schritt. Solange wir Symptome bekämpfen und uns selbst verurteilen und abwerten, bekämpfen wir unser eigenes Inneres und das Leben ist unendlich anstrengend.

Menschen beginnen in dem Augenblick zu heilen, in dem sie sich gesehen fühlen.

Verstehen und Erkenntnis allein bringen noch keine Heilung, aber sie öffnen eine Tür zu Wohlwollen und Selbstachtung und damit zu Frieden im Innern und Frieden in der Welt.

ALLES, WAS DU FÜHLST, ERGIBT SINN

So verrückt und irrational viele unserer Taten, Gewohnheiten, Muster und Symptome auch erscheinen mögen, in Wahrheit sind sie allesamt logisch. Die menschliche Psyche folgt immerzu und enorm zuverlässig einem übergeordneten Prinzip: dem Überleben. Sowohl unser Körper als auch unser Geist sind vollkommen darauf ausgerichtet, dass wir möglichst unversehrt durchs Leben kommen.

Um wirklich zu verstehen und zu begreifen, wieso wir zutiefst sinnhaft agieren, auch wenn es anders aussieht, werde ich dir einiges über unsere Biologie und Neurobiologie erzählen und dich mitnehmen in das Leben einiger Klientinnen und Klienten. Außerdem möchte ich dich einladen auf eine Reise zu dir selbst, bei der ich dich immer wieder inspirieren werde, dich dir zuzuwenden und dich zu reflektieren. Denn ich habe große Achtung vor den Selbstheilungskräften, die uns Menschen innewohnen und die wir so erwecken.

Ein positiver Ausblick

Je nachdem, um was für eine Traumatisierung es sich handelt, erholen sich ein bis zwei Drittel der Menschen davon, ohne Folgestörungen zu entwickeln. Die anderen und jene, die sehr früh oder besonders schwer traumatisiert wurden, brauchen Unterstützung, um ihre Selbstheilungskräfte zu mobilisieren. Das ist kein Makel und keine Schande. Im Gegenteil, diesen Bedarf an Unterstützung zu erkennen und die Folgen von Traumatisierungen anzuerkennen, würdigt den Menschen in seiner fühlenden Natur. In jedem Fall ist es lohnenswert, sich auf den Weg zu machen, denn es gibt Wertvolles zu entdecken, einiges loszulassen und viele Potenziale zu entfalten.

Ich wünsche mir, dass dieses Buch für dich ein Wegbegleiter sein darf, der, treu an deiner Seite, die Fragen stellt, die dein Herz und deinen Geist öffnen. Möge es dir auch die Antworten anbieten, die dir helfen, mehr Frieden und Lebendigkeit in deinem Inneren zu finden.

ZUM UMGANG MIT DIESEM BUCH

In Teil eins werde ich dir theoretische Grundlagen zum Verständnis von Traumata an die Hand geben. In Teil zwei tauchen wir in die oft unerkannten Folgen von Traumatisierungen ein, während du in Teil drei erfährst, was auf einem Heilungsweg unterstützend wirkt. Teil vier beinhaltet konkrete Übungen und Inspirationen.

Möglicherweise wirst du beim Lesen einige Erkenntnisse über dich und deine Geschichte gewinnen und beginnen, so manches in einem anderen Licht zu sehen. Vielleicht wird dir das eine oder andere aus deinem Leben erst beim Lesen bewusst. Erkenntnisse sind oft befreiend, aber manchmal auch ernüchternd und hart. Gönne dir Zeiten der Integration zwischen den Kapiteln und gehe achtsam mit dir um. Lass dir Zeit, dich mit den Fragen zu beschäftigen, und schenke dir Ruhe und Raum für die Übungen. Erlaube deinem Körper, dem Verstand und deinen Erkenntnissen zu folgen, und übergehe seine Signale bitte nicht. Konkret heißt das, dass genau in den Momenten, wenn du einen Sog beim Lesen spürst und nicht aufhören magst, eine Pause guttut. Es kann auch hilfreich und bereichernd sein, wenn du Erkenntnisse und Fragen, die unterwegs auftauchen, mit einem vertrauten Menschen reflektierst. Vielleicht magst du sie in einem Notizbuch festhalten. Unser Gehirn neigt dazu, Informationen auszusortieren, die nicht in vertraute Muster passen. Ich bin sicher, wenn du Teile dieses Buches ein zweites Mal liest, wirst du Dinge entdecken, die dir vorher entgangen sind.

»The slower you go, the faster you grow.« Indem du bewusst und achtsam mit dir umgehst, schaffst du Raum für heilsame Veränderung.

Ich werde in meinem Text sowohl von Klientinnen als auch von Klienten, von Kolleginnen und von Kollegen sprechen und sowohl Männer als auch Frauen damit meinen. Direkte Zitate von Kolleginnen und Kollegen sind als solche gekennzeichnet. Nicht immer kenne ich die Urheber gewisser Begriffe oder Sätze. Sollte daher an irgendeiner Stelle ein Quellenhinweis fehlen, bitte ich das zu verzeihen und den Verlag darüber zu informieren.

Nun wünsche ich dir ein inspirierendes Leseerlebnis mit wohltuenden und heilsamen Begegnungen mit dir selbst.

ESSENZ: DAS, WAS DU AN DIR AM MEISTEN ABLEHNST, WAR VERMUTLICH EINMAL LEBENSRETTEND

Alles an dir hat dein Wohlwollen verdient. Fast jedes Verhaltensmuster, das dir heute Schwierigkeiten macht und das du »loswerden« möchtest, war früher einmal eine lebensrettende Strategie. Um die Wunden der Vergangenheit zu heilen, geht es nicht darum, dass du dich veränderst. Es geht nicht darum, dass du ein Leben führst wie jeder andere Mensch oder dass du etwas leistest. Sondern es geht darum, dass das, was in dir versehrt wurde, endlich einen Platz in Sicherheit und Wohlwollen bekommt. Dann wird es friedlich, dann wird es freundlich, dann wird es lebendig in dir. Dann wird der Schmerz milder und schwächer. Um dem Versehrten Platz geben zu können, ist es wichtig, dass du begreifst und wirklich anerkennst, dass mit DIR alles in Ordnung ist. Höre auf, dich mit Selbstablehnung zu verletzen. Auch das, was heute dysfunktional und hinderlich wirkt, hat seine Berechtigung, weil es früher wichtig war.

Indem du in dir selbst Wohlwollen und Geborgenheit findest (Schritt für Schritt), können diese Muster sich verändern und das, was hinter ihnen an Licht und Einzigartigkeit liegt, beginnt zu strahlen.

Bin ich traumatisiert?

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