Читать книгу Verdächtige Stille - Veronika Wetzig - Страница 13

Sonntag, 30. Oktober, 00:23 Uhr

Оглавление

„Du suchst deine Frau?“, fragt der Mann in einem Ton, der keinen Widerspruch zulässt.

Langsam lässt Ben die Hand mit dem Hörer sinken und tritt einen Schritt zur Seite Richtung Durchgang. Er betrachtet den Mann misstrauisch. Das Basecap tief ins Gesicht gezogen, ist er wegen der schlechten Beleuchtung nur schemenhaft zu erkennen.

„Ja“, mehr fällt Ben so schnell nicht ein.

„Ich kann dir helfen.“

Der Mann ist ihm unheimlich und so wirft er schnell und möglichst unauffällig einen nervösen Blick in die Bar, wo der Wirt gerade eine neue Runde für die Biker einschenkt. Sofort zieht ihn der Mann wieder zurück in den dunklen Flur.

Wie in Zeitlupe hängt Ben den Telefonhörer ein. Das Wechselgeld klimpert in der Rückgabebox, doch Ben achtet nicht darauf. Viel wichtiger erscheint es ihm, seinen neuen Bekannten nicht aus den Augen zu lassen.

„Wo ist sie? Haben Sie sie gesehen?“, fragt er, bemüht seine Stimme nicht allzu nervös klingen zu lassen.

Der Mann antwortet nicht. Stattdessen späht er noch einmal in alle Richtungen und weist dann mit einem Kopfnicken Richtung Hinterausgang. Ben fragt sich kurz, ob er ihn vielleicht nach draußen lotsen will, um ihn zu überfallen. Aber der Mann wirkt eher hager und er könnte ihn sicher überwältigen, wenn es hart auf hart kommt. Außerdem, wofür sollte er ihn überfallen wollen? Die paar Münzen, die er bei sich hat sind die Mühe nicht wert. Wachsam geht Ben Richtung Hintertür, immer darauf bedacht, den Fremden zumindest aus dem Augenwinkel im Blick zu behalten. Er öffnet die schäbig aussehende Tür mit milchigem Glaseinsatz und steht unter dem Vordach eines kleinen Innenhofs. Der Fremde schließt die Tür hinter sich und wendet sich Ben zu. Noch immer trägt er das Basecap tief in die Stirn gezogen und so ist es Ben noch immer nicht möglich, ihm in die Augen zu sehen. Langsam wird er nervös und sucht kurz die nähere Umgebung ab. Außer ein paar vollgestopften Mülltonnen und einer Ecke mit Schrottteilen kann er jedoch nichts erkennen. Um den Hinterhof verläuft eine hohe Steinmauer, die jegliche Fluchtpläne sofort vereitelt. Fahrig sucht Ben nach dem Foto von Marie als der Mann ihn grob am Handgelenk packt.

„Hör zu, wenn du nicht willst, dass deiner kleinen Schlampe was passiert, machst du genau das, was ich dir sage!“

Das Gesicht des Fremden ist nur wenige Zentimeter von Bens entfernt und säuerlicher Mundgeruch strömt ihm entgegen. Mit jedem Wort drückt er Bens Handgelenk kräftiger zusammen und drängt ihn dabei weiter gegen die Hauswand. Seine andere Hand ist verdeckt von dem langen Jackenärmel, so dass Ben nicht erkennen kann, ob er eine Waffe bei sich trägt.

Der Sturm hat nachgelassen, aber der andauernde Regen lässt Ben die Kälte in die Glieder ziehen. Oder ist es die Angst, die langsam in ihm hochsteigt? Die Schultern angezogen, zittert er wie Espenlaub, was er aber mit aller Gewalt zu unterdrücken versucht. Noch will er nicht klein beigeben und so versucht er, seinem Gegenüber möglichst unbeeindruckt entgegenzutreten. Noch immer kann er das Gesicht des Mannes nicht erkennen, obwohl er nur einen halben Kopf größer ist als Ben.

„Was wollen Sie?“, bringt er mit zittriger Stimme hervor und hofft, dass der Unbekannte endlich von ihm ablässt.

„Was ich dir jetzt sage, sage ich nur einmal. Also hör mir gut zu und hör auf hier so rumzuzappeln!“

Ben bringt nur ein hektisches Nicken zustande. Sein Gegenüber hat sein Handgelenk endlich losgelassen. Nun greift er mit seiner freien Hand in seine Jackentasche und holt einen Ring hervor. Ben reibt seine schmerzende Hand. Als er den Ring erkennt, stockt ihm der Atem. Es ist Maries Ehering. Er erkennt ihn sofort, denn es ist ein Einzelstück. Sie hatten ihn damals aus den alten Eheringen von Maries Großeltern fertigen lassen. Die beiden waren ein Leben lang glücklich miteinander und Marie glaubte fest daran, dass ihnen das Tragen dieses Ringes ebenfalls Glück bringen würde. Nun liegt ihr Ring in der schmutzigen und rauen Hand dieses Fremden und wirkt unglaublich zerbrechlich. Ben merkt, wie ihm Tränen in die Augen schießen.

„Was haben Sie mit Marie gemacht? Wo ist sie?“

„Wo sie ist, hat dich erst mal gar nicht zu interessieren. Nur so viel: Im Moment geht es ihr noch gut.“

Er macht eine theatralische Pause und lässt Ben einen Moment Zeit, sich vorzustellen, was passieren wird, sollte er nicht den Anweisungen des Fremden folgen.

„Wenn ich mit dir fertig bin, gehst du da rein“, sein Kopf deutet zum Hinterausgang der Bar, „und wirst dem aufgedunsenen Wirt und seinen Freunden in feinster Schauspielmanier klarmachen, dass du deine Frau erreicht hast und alles wieder in bester Ordnung ist.“

Ben sieht den Fremden fragend an.

„Guck nicht so blöd. Wenn du zu irgendwem auch nur ein Wort sagst, ist sie hinüber.“ Er deutet mit seiner Hand einen kurzen Schnitt vor seiner Kehle an, gleichzeitig spuckt er Ben ein feuchtes Zischen entgegen. „Sonst finito, comprende?“

Fies grinsend reckt er das Kinn und sieht Ben von oben herab an. Dabei verzieht sich sein Mund zu einer ekligen Grimasse.

„Naja, vielleicht nicht ganz. Wenn ich großzügig bin, bekommst du sie eines Tages in Einzelteilen zurück.“

Der Mann grunzt, was wohl ein Ausdruck von herzlichem Lachen sein soll. Ben schluckt und versucht, sein endloses Zittern unter Kontrolle zu halten.

„Okay, okay, ich mach was Sie sagen.“

Der Unbekannte nickt zufrieden. „Na also, dann sind wir uns ja einig. Du gehst jetzt also da rein und sobald alle überzeugt sind, dass alles in bester Ordnung ist, treffen wir uns an deinem Wagen. Aber ich rate dir: komm nicht auf dumme Gedanken! Ich hab dich genau im Blick und solltest du auch nur versuchen, jemanden einen Hinweis zu geben, dann war´s das. Ich hab nämlich keine Lust auf Scherereien. Du hast nur diese eine Chance und ich an deiner Stelle würde sie nutzen. Es sei denn, du warst schon immer scharf drauf, deine Alte endlich loszuwerden.“

Wieder dieses widerliche Grunzen. Der Fremde schließt seine Hand und Maries Ring ist wieder verschwunden. Nachlässig lässt er ihn in seine Jackentasche fallen und gibt Ben einen Stoß Richtung Tür. „Also dann, bis gleich an deinem Wagen!“

Ben ist zu keiner Erwiderung fähig. Verschwommen sieht er die Tür und tastet halb blind nach der Klinke. Er stolpert in den Flur und sofort nimmt der stickige Mief ihm den Atem. Er hört das Grölen der Biker im Schankraum und auch die Musik scheint wieder lauter geworden zu sein. Kurz bleibt er stehen, um sich zu sammeln. Wenn er einen überzeugenden Eindruck machen will, muss er zunächst seine Muskeln wieder unter Kontrolle bekommen. Noch einmal blickt er sich kurz um – der Fremde steht regungslos in der Tür und beobachtet ihn. Ben atmet noch einmal tief durch und betritt den Raum.

Die Schultern nach hinten gezogen geht er mit lässigem Schritt auf den Tresen zu. Neben den Bikern bleibt er stehen, woraufhin sich diese gleich in seine Richtung drehen und ihn fragend ansehen. Ein Lächeln andeutend, schüttelt er ungläubig den Kopf. „Ey Leute, kennt ihr den Witz von der Blondine und dem Telefon?“

Fragende Blicke kleben auf ihm als Ben eine theatralische Pause einlegt und noch einmal betont den Kopf schüttelt. Angestrengt seufzt er, als verstehe er die Welt nicht mehr. „Weiber! Naja egal. Bei uns zu Hause ist jedenfalls alles in Ordnung. Ich fahr jetzt zu meiner Alten und lass mich den Rest der Nacht verwöhnen. Darauf könnt ihr aber einen lassen.“ Ben zwinkert den Bikern noch einmal kurz zu und klopft dreimal mit der Faust auf den Tresen.

Noch immer sehen ihn die Biker ratlos an. Ben starrt zurück. Er hofft, dass seine schauspielerische Darbietung nicht zu aufgetragen rüberkommt. In seinem tiefsten Inneren hatte er zwar gehofft, dass zumindest einer dieser Schränke sein Spiel durchschaut und mal so richtig einen auf dicke Hose machen würde, aber leider weit gefehlt. Sollte für die ja eigentlich nicht allzu schwer sein. Schließlich heizen sie sonst auch durch die Straßen und jagen alten Omas Angst ein. Aber jetzt, wo er sie wirklich mal brauchte, sitzen sie einfach nur da und starren ihn an. Vielleicht sollte er sie noch etwas provozieren und so aus dem Laden locken. Draußen könnte er der einen oder anderen Harley noch einen schönen Tritt verpassen, damit sie so richtig auf Hundertachtzig sind und dann auf den Erpresser zeigen und schreien: ‚Der war's. Ich hab's genau gesehen!‘

Weil von den Bikern immer noch keine Reaktion kommt, bleibt Ben nichts anderes übrig, als sich zu verabschieden. „Also dann Leute, war echt nett, euch kennengelernt zu haben. Man sieht sich.“ Ben dreht sich um und geht mit zitternden Knien zum Ausgang.

Gerade will er den schweren Vorhang zur Seite schieben als hinter ihm ein lautes „Hey!“ ertönt.

Ben bleibt erschrocken stehen und spürt die Blicke der Biker auf seinen Rücken gerichtet.

„Hast du nicht was vergessen?“

Bens Gedanken rasen, das Blut rauscht in seinem Kopf. Langsam dreht er sich um und sieht den Wirt fragend an. Er wagt kaum zu atmen. Hatten sie ihn vielleicht doch durchschaut?

„Dein Wechselgeld.“ Der Wirt hält ihm seine dicke Hand entgegen und lächelt.

Enttäuscht winkt Ben ab. „Ist schon okay. Stimmt so.“ Schnell dreht er sich wieder um und schiebt sich durch den schweren Vorhang.

Verdächtige Stille

Подняться наверх