Читать книгу Verdächtige Stille - Veronika Wetzig - Страница 15

Sonntag, 30. Oktober, 00:45 Uhr

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Direkt vor der Eingangstür steht sein Wagen. Ben sieht sich um, doch niemand ist zu sehen. Vorsichtig und noch immer um sich schauend geht er auf den Volvo zu. Als er ihn fast erreicht hat, löst sich ein Schatten aus dem Eingang des Nachbarhauses.

„Los, steig in den Wagen!“, knurrt der Fremde und deutet auf die Beifahrertür, während er selbst sich hinter das Steuer setzt. „Wir werden jetzt eine kleine Spritztour machen.“

Ungeduldig streckt er Ben seine Hand entgegen und fordert den Wagenschlüssel. Ben wühlt zittrig in seinen Jackentaschen. Endlich findet er ihn und drückt ihn dem Mann in die Hand.

„Wohin fahren wir?“

Der Fremde antwortet nicht. Er nimmt den Schlüssel und startet den Wagen.

Er lenkt ihn zurück auf die Hauptstraße, biegt rechts ab und fährt geradeaus weiter bis zum Ortsausgang. Der Fremde gibt Gas, schaltet bis in den fünften Gang rauf und rast mit hundert Sachen die kurvige Landstraße entlang. Der Regen peitscht auf die Windschutzscheibe, die Scheibenwischer laufen auf höchster Stufe. Angestrengt überlegt Ben, was er für Möglichkeiten hat. Die Augen starr geradeaus gerichtet, hält er sich krampfhaft am Griff der Seitentür fest. Die Tür öffnen und springen? Das würde er nicht überleben. Außerdem muss er an Marie denken. Wenn er jetzt etwas Unüberlegtes tut, wird er sie womöglich nie wiedersehen. Nach mehreren Kilometern lenkt der Fremde den Wagen in einen holprigen Schotterweg, der direkt in den Wald führt und von der Hauptstraße aus nicht zu erkennen ist. Ben hat inzwischen gänzlich die Orientierung verloren und keine Ahnung mehr, wo sie sich befinden. Der Weg wird immer enger, bis er schließlich in einer kleinen Lichtung endet. Der Fremde würgt den Wagen ab, schaltet die Scheinwerfer aus und legt beide Hände ans Lenkrad. Langsam dreht er sich zu Ben.

„Ich hoffe, deine Stoßdämpfer haben mir die kleine Fahrt nicht übel genommen.“ Wieder dieses Grunzen.

Ben wagt nicht, ihn anzusehen. „Was wollen Sie? Geld? Ist es das, was Sie wollen?“

„Du hast es erfasst. Du bist ja doch nicht so dumm, wie du aussiehst. Wenn dir das Leben deiner Kleinen lieb ist, wirst du bezahlen. Und jetzt zu den Einzelheiten. Hör gut zu, ich werde mich nicht wiederholen.“

Bens Herz klopft ihm bis zum Hals. Draußen ist es so dunkel, dass man kaum die Hand vor Augen sehen kann. Auch im Wageninneren erkennt Ben nach wie vor nur die Umrisse des Fremden und die tief ins Gesicht gezogene Kappe.

„Wie viel?“

„Schnauze“, keift er Ben an. „Hör einfach nur zu. Also, du besorgst mir eine Million. Und diese natürlich in bar, in schönen sauberen, nicht gekennzeichneten Scheinen. Du hast genau drei Tage Zeit das Geld zu besorgen. Und wenn wir schon beim Organisatorischen sind: solltest du die Bullen einschalten oder sonst jemanden von dieser Sache erzählen, dann war´s das. Verstanden?“

Ben merkt, wie sein gesamter Körper taub wird: „Eine Million Euro?! Wo um Himmels Willen soll ich denn so viel Geld hernehmen?“

„Ich bin mir sicher, dir wird schon etwas einfallen.“ Der Fremde wirkt völlig entspannt und scheint die Sache richtiggehend zu genießen.

„Aber so viel Geld habe ich nicht!“ Ben ist verzweifelt. In seinem Kopf rasen schon Summen aus Anlagevermögen und Altersvorsorgen durcheinander. Selbst wenn er alles kündigen würde – niemals würde er so viel Geld beschaffen können. „Und woher weiß ich, dass es Marie auch wirklich gut geht?“

Der Fremde grunzt wieder sein heiseres Lachen. „Wohl zu viele Actionfilme gesehen, was?“ Dann ändert sich sein Tonfall: „Nun aber mal Spaß beiseite. Du bist ganz und gar nicht in der Position, Forderungen zu stellen. Wenn ich dir sage, dass ihr nichts geschieht, dann hast du das zu glauben. Kümmere dich lieber darum, das Geld zu beschaffen. Ansonsten kann ich nämlich für nichts mehr garantieren!“

Ben schluckt. „Okay“, erwidert er, öffnet die Beifahrertür und will gerade aussteigen, als der Fremde ihn zurückpfeift:

„Ey Alter. Willste nicht wissen, wohin du das Geld bringen sollst?“ Der Fremde schüttelt ungläubig den Kopf.

„Äh, ja klar.“ Gedankenverloren zieht Ben sein Bein wieder in den Wagen zurück und schließt die Tür. „Natürlich“, schnauft er. „Es ist nur so, mir ist so etwas vorher noch nie passiert. Deshalb … ich muss das Ganze erst einmal verarbeiten.“

„Zum Verarbeiten bleibt dir gleich genug Zeit. Wenn ich diesen Wagen nämlich verlassen habe, wartest du `ne Stunde, ist das klar? Haste `ne Uhr?“ Ben schiebt seinen linken Ärmel nach oben. „Na also, Alter, geht doch. Also, wenn ich weg bin, wartest du! Eine Stunde. Ist das klar?“

„Ja ja, ist klar.“

„Gut. In der Zeit kannst du dir ja schon mal Gedanken machen, wie du das Geld beschaffst. Wie viel war es noch gleich?“

„Äh, eine Million.“

„Sehr gut. Geht doch.“ Der Fremde schnaubt genervt aus. „Und wann?“

„In drei Tagen.“

„Richtig“, erwidert er, als würde er einem Fünfjährigen das Einmaleins beibringen. Zur Sicherheit fragt er noch einmal nach. „Und welcher Tag ist in drei Tagen?“

Ben zählt laut auf. „Sonntag, Montag, Dienstag. Dienstag.“

„Genau. Also. Dienstagabend, zweiundzwanzig Uhr und keine Minute später treffen wir uns wieder hier und du hast die Knete dabei. Soweit alles klar?“

„Ja. Und dann bekomme ich Marie wieder?“ Bens Stimme zittert wie bei einem flehenden Kind.

„Wenn alles läuft wie besprochen, kannste deine Alte Dienstagabend wieder in die Arme schließen.“ Ben atmet erleichtert aus.

„Ach und noch was“, fährt der Fremde in einem scharfen Ton fort, der Bens volle Aufmerksamkeit erfordert. „Bilde dir nicht ein, mich zu kennen! Ich bin so wandelbar wie ein Chamäleon. Wenn ich die Kohle hab, kriegste deine Frau wieder und wir sind quitt, verstanden?“

„Ja.“ Bevor Ben noch etwas sagen kann, hat der Mann schon die Fahrertür geöffnet und ist im Wald verschwunden. Das Einzige, was Ben hört, ist ein Rauschen in seinen Ohren.

Verdächtige Stille

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