Читать книгу Verdächtige Stille - Veronika Wetzig - Страница 17

Sonntag, 30. Oktober, 1:39 Uhr

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Es dauert eine ganze Weile bis Ben sich traut, sich zu bewegen. Zum einen, weil er seinem Körper diese Kraftanstrengung noch nicht zutraut und zum anderen, weil er sich nicht sicher ist, ob er vielleicht doch noch beobachtet wird. Irgendwann sieht er auf die Uhr. Es ist gerade einmal eine viertel Stunde vergangen seit der Fremde ihn im Wagen zurückgelassen hat. Schon jetzt wird es im Inneren des Fahrzeugs empfindlich kalt. Ben beschließt, die Zügel endlich wieder in die Hand zu nehmen und zumindest den Motor laufen zu lassen, um die Heizung in Gang zu bekommen. Noch einmal sieht er sich nach allen Seiten um. Aber durch das Dunkel des Waldes und den dichten Regen kann er draußen so gut wie nichts erkennen.

Kurz entschlossen reißt er die Tür auf und rennt um den Wagen zur Fahrerseite. Erleichtert fällt er auf den Sitz. Der Schlüssel steckt und Ben dreht ihn nach hinten doch nichts passiert. Noch einmal versucht er sein Glück – nichts. Da fällt es ihm wieder ein. Er ist ja schon auf Reserve gefahren, als er die Bar erreichte. Durch die Raserei des Fremden musste der Tank nun vollkommen leer sein. Wütend schlägt Ben auf das Lenkrad. „Verdammt! Auch das noch!“ Erneut muss er hinaus in den Regen und ins ungeschützte Dunkel; der Reservekanister steht im Kofferraum.

Er steigt aus und spürt augenblicklich, wie ihm der Regen in den Nacken läuft. Umständlich fummelt er nach seiner Kapuze und zieht sie sich über den Kopf. Er öffnet den Kofferraum, beugt sich hinein und versucht mit zittrigen Händen den verlängerten Plastikstutzen auf den Reservekanister zu drehen.

„Warum dieses verfluchte Scheißding am Ende nie in die richtige Richtung zeigt!“ brüllt er in den Kofferraum.

Hektisch richtet er sich auf und stößt sich dabei den Kopf an der Heckklappe.

„Verfluchte Scheiße, Scheiße, Scheiße!“, brüllt er und Tränen steigen ihm in die Augen.

Kraftlos lässt er die Schultern hängen.

„Weitermachen. Du musst weitermachen. Es nützt nichts, hier rumzustehen und zu jammern. Reiß dich zusammen!“, versucht er sich Mut zuzusprechen.

Irgendwie gelingt es ihm, den Tankstutzen in die Tanköffnung zu stecken. Er kippt den Reservekanister und beißender Benzingeruch steigt ihm in die Nase.

Das sollte bis zur nächsten Tankstelle reichen. Gleich darauf fällt ihm ein, dass er ja gar nicht weiß, wo er sich momentan befindet. Einen Moment wünscht er sich, er hätte Maries Drängen nachgegeben und eins dieser super modernen und höllisch teuren Navigationsgeräte gekauft. Dann würde er jetzt nicht in der Pampa sitzen ohne zu wissen, wie er zurück nach Hause kommen sollte.

Er schmeißt den Reservekanister zurück in den Kofferraum, setzt sich hinters Steuer und startet den Wagen. Diesmal springt er sofort an. Ben hantiert an der Heizung und stellt das Gebläse auf volle Heizleistung. Nach kurzer Zeit strömt warme Luft ins Auto und er beginnt, sich zu entspannen. Ben merkt, wie ihm eine Gänsehaut über den ganzen Körper kriecht. Kurzentschlossen öffnet er seine durchnässte Jacke und wühlt sich aus dem klebenden Innenfutter. Den rechten Arm hat er fast draußen. Umständlich zerrt er an dem anderen Ärmel als plötzlich ein lautes Geräusch die Nacht durchdringt. Ben zuckt zusammen und wagt keine Bewegung. Sein Herz schlägt ihm bis zum Hals und kalter Schweiß bricht ihm aus. Minuten vergehen ehe er sich wieder unter Kontrolle hat.

„Du Blödmann!“, stöhnt er, „wie kann man nur so dämlich sein?!“

Er zieht sich die Jacke vollständig aus und achtet sorgsam darauf, nicht noch einmal an die Hupe des Wagens zu kommen. Endlich ist es geschafft. Erleichtert wirft Ben die Jacke auf den Rücksitz als sein Blick auf den Rucksack fällt, der noch immer auf der Rückbank liegt.

Er stutzt, schaltet den Motor wieder aus und zerrt den offenen Rucksack zu sich nach vorn. Einige Zeit betrachtet er ihn nachdenklich, bis die feuchte Unterseite seine Jeans völlig durchnässt hat. Er legt den Rucksack auf den Beifahrersitz, schaltet die Innenbeleuchtung des Volvos an und greift noch einmal hinein. Vorsichtig zieht er den gelben Teddy heraus und betrachtet ihn andächtig. Beim Drehen bemerkt er das rote Preisschild am Ohr des Bären: Sonderpreis EUR 9,99. Mehr nicht. Behutsam legt er den Teddy auf das Armaturenbrett und seine Gedanken schweifen wehmütig zu seiner Tochter.

In Gedanken stellt er sich vor, wie Annely den Teddy sofort in ihre kleinen Arme schließt und zärtlich über den weichen Kopf streichelt. „Armer kleiner Teddy. Wo kommst du denn her?“ Sie hält ihr Ohr an seine Schnauze und lauscht. Phantasievoll klärt sie Ben auf: „Papa, hör doch mal, er sagt, er heißt Bruno und er sagt, er hat seine Familie verloren.“ Ben sieht Annelys traurigen Dackelblick vor sich, den sie immer geschickt einzusetzen weiß, wenn sie unbedingt etwas haben möchte. Den Kopf leicht schief, spitzt sie die Lippen wie zu einem Kuss. „Bitte, bitte, Papa, kann ich ihn behalten?

Und wie in den meisten Fällen würde er es ihr nicht abschlagen können. Mit einem tiefen Seufzer greift Ben erneut in den Rucksack und zieht die Turnschuhe heraus. Sie sind nicht mehr neu. Um genau zu sein sind sie sogar ziemlich ausgetreten und sie wirken als wäre erst vor kurzem jemand mit ihnen durch den Wald gejoggt. Das Futter ist noch feucht und an den Sohlen haben sich kleine Steinchen und zerrissene Blätter festgesetzt. Angewidert wirft Ben die Schuhe auf die Fußmatte vor den Beifahrersitz. Noch einmal wühlt er in dem großen Fach des Rucksacks, aber er kann nichts weiter finden.

Was für eine komische Mischung, denkt er. Wer joggt durch den Wald mit einem Bären im Rucksack? Mit gerunzelten Augenbrauen starrt er auf den Rucksack.

Wieder sieht er auf seine Uhr. Inzwischen ist es viertel nach zwei. Er überlegt, was er als nächstes tun soll. Erst einmal weg hier. Ben startet den Wagen erneut und fährt den schmalen Waldweg zurück bis zum Schotterweg und schließlich auf die Hauptstraße. Er meint sich zu erinnern, dass sie von links gekommen und irgendwo auf der Strecke sogar an einer Tankstelle vorbeigefahren sind. Nach einigen Kilometern erreicht er die Tankstelle und atmet erleichtert auf, als diese sogar geöffnet ist.

Ben tankt voll und geht auf das kleine Häuschen zu, in dem sich ein junger Angestellter hinter einer Glasscheibe gerade ein Fußballspiel ansieht. Er klopft an die Scheibe, der Angestellte dreht sich um und drückt den Knopf für die Gegensprechanlage. „Genau siebenundsiebzig Euro.“

Ben legt zwei Fünfziger in die Ladeklappe, wartet auf sein Wechselgeld und steigt wieder in den Volvo. Er fährt weiter die Straße zurück, auf der sie vorhin gekommen sind. Langsam kommt ihm die Gegend wieder bekannt vor und seine Gedanken kehren zurück zu Marie.

Kurzentschlossen lenkt er den Wagen an den Seitenrand und stützt mit beiden Händen seinen Kopf ab. „Eine Million Euro“, stöhnt er. „Marie, was soll ich nur machen? Allein stehe ich das nicht durch.“ Entgegen der Warnung des Fremden entscheidet er sich dafür, zu Felix zu fahren. Vielleicht kann der ihm irgendwie helfen.

Verdächtige Stille

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