Читать книгу tali dignus amico - Vicente Flores Militello - Страница 20
iii) Auftretende Probleme zwischen Horaz und Maecenas: Satire 2,6
ОглавлениеHorazsat. 2,6Das zweite Satirenbuch ist dadurch charakterisiert, dass der Horaz-Sprecher im Dialog mit einem Gesprächspartner programmatische und moralphilosophische Argumente vorstellt, die bereits im ersten Buch behandelt wurden.1 In Satire 2,6 spricht allerdings Horaz allein, und zwar über sein Verhältnis zu Maecenas.2 Für die vorliegende Arbeit bemerkenswert ist die Selbstinszenierung im Rahmen dieses Verhältnisses und v.a. dessen Problematisierung.
Zwar hatte sich der Horaz-Sprecher schon in Satire 2,1 als amicus mächtiger Männer präsentiert (als solchen bezeichnet ihn sein Gesprächspartner Trebatius, und er selbst gibt seinen engen Umgang mit ihnen zu)3 und sich sicher gezeigt, dass er trotz der allgemeinen invidia des volgus eine privilegierte Stelle bei den Mächtigsten (v.a. offenbar Maecenas und Augustus) genieße und genießen werde (sat. 2,1,74ff.).4 Doch erst in Satire 2,6 bietet der Horaz-Sprecher dem Leser eine Vertiefung in das Thema an. Dort erweist sich die Beziehung zum mächtigen Maecenas allerdings als ein von positiven und negativen Seiten gekennzeichnetes Abhängigkeitsverhältnis, das Horaz zu einer Hinterfragung der Natur des Bündnisses führt. Denn er sieht seine innere Freiheit in der Stadt durch die verpflichtenden Dienste beim Gönner und Freund auf eine unangenehme Weise beschnitten – dass daraus weder die Rolle des Horaz als cliens noch eine (auch nur verhüllte) Kritik an Maecenas zu erschließen ist, muss dennoch betont werden.5
Werden die negotia des Horaz betrachtet, so sind diese nicht ausschließlich für die clientela typisch (etwa die Verpflichtungen als Zeuge vor Gericht und beim Notar bei finanziellen Transaktionen). Doch die Hektik des Stadtlebens wird eben doch mit der Machtposition des einflusseichen amicus in Verbindung gebracht, die weder Anonymität noch die Muße ermöglicht, wie sie in Hor. sat. 1,6 noch als Ideal ausgemalt wurde.6 Die Belastung durch Verpflichtungen in der Großstadt wird bei Martial und Juvenal zu einem Topos für das zeitraubende und nervenaufreibende Stadtleben, das mit dem Klientenleben verbunden ist. Der Horaz-Sprecher deutet die Problematik des Abhängigkeitsverhältnisses unter dem Stadt- und Landleben-Diskurs erstmals an.7
Nicht selten ist aus dieser Stadtschilderung ein indirekter Vorwurf gegen Maecenas herauszuhören, als wolle der Horaz-Sprecher ihm seine Unzufriedenheit vor Augen führen8. Da allerdings gerade Maecenas Horaz das Landgut ermöglicht, wie der Sprecher gerne betont, und vor allem diese literarische Inszenierung nicht ohne humorvolle Nuancen gelesen werden darf, die einen engen und vertraulichen Umgang zwischen Maecenas und Horaz implizieren, ist eine verhüllte Kritik kaum zu erwarten9 – man halte sich nur die Inszenierung des engen Umgangs mit Maecenas auch in den Epoden vor Augen (dazu s.u.).
Die Satire schließt mit der berühmten Stadt-Landmaus-Erzählung, in der die Vor- und Nachteile beider Lebensweisen als Fabel kontrastiert werden. Obwohl das Landleben als Favorit aus dem Vergleich hervorgeht, weist die Darstellung der positiven Aspekte des Stadtlebens darauf hin, dass es sich dabei mehr um die Inszenierung der inneren Zerrissenheit in der Sprecherstimme handelt als um die Andeutung eines Konflikts im Verhältnis zwischen Maecenas und Horaz.10 Wie Holzberg 2009 bemerkt, bringt die Mäusegeschichte allegorisch zum Ausdruck, „daß der Dichter sich nicht entscheiden kann, ob er lieber in der Stadt oder auf dem Land wohnt.“11
Die Satire beginnt mit einem 15 Verse langen Gebet an Merkur als persönlichen Schutzgott (custos mihi maximus, 15). Ihn bittet der Sprecher darum, das als munus bekommene Landgut für ihn zu erhalten. Denn dieses Landgut stelle für ihn die Erfüllung seiner vota dar (sat. 2,6,1‑5):Horazsat. 2,6,1 5
Hoc erat in votis: modus agri non ita magnus, | |
hortus ubi et tecto vicinus iugis aquae fons | |
et paulum silvae super his foret. auctius atque | |
di melius fecere. bene est. nil amplius oro, | |
Maia nate, nisi ut propria haec mihi munera faxis. | 5 |
Offenbar bedankt sich Horaz indirekt bei Maecenas, der für solche munera verantwortlich ist.12 Doch der Sprecher begründet im Hauptteil des Gedichts seine Sehnsucht nach der Landruhe durch den Kontrast mit den anstrengenden opera und labores, die von ihm in der Stadt zu erledigen sind (20‑59): Schon ab der ersten Stunde des Tages inszeniert sich Horaz im Wirbel seiner Pflichten. So weckt ihn der matutinus pater Janus allegorisch und mahnt ihn zu seinen officia auf dem Forum als sponsor (23ff.), welche er gegen alle Widerstände erledigen muss. Ihn erwarten allerdings noch zahlreiche andere officia, die vor allem dadurch mit Maecenas in Verbindung gebracht werden, dass sie dem Horaz auf seinem Weg zum Esquilin und zu Maecenas, wie ein angerempelter Fußgänger süffisant erkennt, aufgetragen werden (sat. 2,6,20‑42):Horazsat. 2,6,20 42
Matutine pater, seu Iane libentius audis, | 20 |
unde homines operum primos vitaeque labores | |
instituunt – sic dis placitum –, tu carminis esto | |
principium. Romae sponsorem me rapis: ‘eia, | |
ne prior officio quisquam respondeat, urge.’ | |
sive aquilo radit terras seu bruma nivalem | 25 |
interiore diem gyro trahit, ire necesse est. | |
postmodo quod mi obsit clare certumque locuto | |
luctandum in turba et facienda iniuria tardis. | |
‘quid tibi vis, insane?’ et ‘quam rem agis?’ inprobus urget | |
iratis precibus, ‘tu pulses omne quod obstat, | 30 |
ad Maecenatem memori si mente recurras.’ | |
hoc iuvat et melli est, non mentiar. at simul atras | |
ventum est Esquilias, aliena negotia centum | |
per caput et circa saliunt latus. ‘ante secundam | |
Roscius orabat sibi adesses ad Puteal cras.’ | 35 |
‘de re communi scribae magna atque nova te | |
orabant hodie meminisses, Quinte, reverti.’ | |
‘inprimat his cura Maecenas signa tabellis.’ | |
dixeris: ‘experiar’: ‘si vis, potes,’ addit et instat. | |
septimus octavo propior iam fugerit annus, | 40 |
ex quo Maecenas me coepit habere suorum | |
in numero, (…) |
Im Unterschied zum langen Ausschlafen, das in sat. 1,6,122ff.Horazsat. 1,6,122ff. noch möglich war, wird Horaz jetzt am frühen Morgen von Gott Janus aus dem Bett getrieben. Zuerst inszeniert sich der Sprecher bei der Erledigung der allgemeineren officia eines jeden freien Bürgers auf dem Forum, wo er als sponsor gebraucht wird (24‑26), um sich in verschiedenen Gerichtsverfahren zu engagieren. Von dort muss er sich aber rasch zu Maecenas begeben, und zwar durch die Menschenmenge auf dem Forum. Dabei gerät er an einen inprobus, der ihm nicht nur Ungeduld und Rücksichtslosigkeit, sondern auch sein enges Verhältnis zu Maecenas vorwirft (tu pulses omne quod obstat | ad Maecenatem memori si mente recurras, 30f.). In einer Art Autorkommentar erklärt das sprechende Ich sich selbst sowie dem Leser (und letztendlich Maecenas), dass der Gedanke, bei ihm zu sein, zwar das Höchste ist (iuvat et melli est, non mentiar, 32). Doch er gibt gleichzeitig offen zu, dass die auf ihn wartenden aliena negotia centum überlastend seien: Die starke adversative Konjunktion at sowie die Umschreibung des esquilinischen Viertels als atrae Esquiliae betonen die negative Betrachtung der folgenden officia (36‑39). Für Ganter stehen diese officia deutlich in Verbindung mit Horazens Rolle als Maecenas’ Klient einerseits und andererseits als Patron für andere.13 Doch ist Vorsicht geboten, weil der Besuch bei Maecenas gerade nicht als salutatio oder anteambulatio gekennzeichnet ist.14
Drei Figuren verlangen von Horaz seine Betätigung in amtlichen Angelegenheiten. Sie deuten auf die vertrauliche Position des Horaz bei Maecenas hin: 1) Ein gewisser Roscius lässt Horaz an den bevorstehenden Termin beim praetor urbanus beim Puteal (34‑35) erinnern.15 2) Vertraulich mit Vornamen angesprochen, wird Horaz dann von einem Kollegen noch an einen anderen Termin erinnert: Die scribae brauchen ihn für eine Angelegenheit von öffentlicher Bedeutung (res communis, magna atque nova: 36‑37). 3) Schließlich wird Horaz nachdrücklich darum gebeten, die persönlichen Siegel des Maecenas auf ein Privatdokument stempeln zu lassen (38‑39). Nur die letzte Bitte steht in direkter Beziehung zu dem Vertrauensverhältnis zu Maecenas, doch wird klar, dass man Horaz auf dem Weg zu Maecenas abpassen kann und dass Horaz auch wegen seines Kontakts zu ihm als prominente Figur wahrgenommen und gesucht wird. Der sich anschließende Rückblick auf die Entstehung dieser Beziehung ist erneut nötig, um die falschen Vorstellungen der Leute, zu denen auch der letzte Bittsteller gehört, zu berichtigen (sat. 2,6,40‑59):Horazsat. 2,6,40 59
septimus octavo propior iam fugerit annus, | 40 |
ex quo Maecenas me coepit habere suorum | |
in numero, dumtaxat ad hoc, quem tollere raeda | |
vellet iter faciens et cui concredere nugas | |
hoc genus: ‘hora quota est?’ ‘Thraex est Gallina Syro par?’ | |
‘matutina parum cautos iam frigora mordent’, | 45 |
et quae rimosa bene deponuntur in aure. | |
per totum hoc tempus subiectior in diem et horam | |
invidiae noster. ludos spectaverat, una | |
luserat in campo: ‘fortunae filius’ omnes. | |
frigidus a rostris manat per compita rumor: | 50 |
quicumque obvius est, me consulit: ‘o bone – nam te | |
scire, deos quoniam propius contingis oportet –, | |
numquid de Dacis audisti?’ ‘nil equidem.’ ‘ut tu | |
semper eris derisor.’ ‘at omnes di exagitent me, | |
si quicquam.’ ‘quid? militibus promissa Triquetra | 55 |
praedia Caesar an est Itala tellure daturus?’ | |
iurantem me scire nihil mirantur ut unum | |
scilicet egregii mortalem altique silenti. | |
perditur haec inter misero lux non sine votis: |
Anders als in sat. 1,6,62 spricht er hier nicht von amicitia, sondern formuliert offen: Maecenas me coepit habere suorum | in numero (41f.). Indem er schildert, welche Belanglosigkeiten beide im Gespräch austauschen, wird die Erwartung der Beobachter hinsichtlich der Wichtigkeit des Horaz reduziert. Auf den Gedanken, Horaz habe durch sein Verhältnis zu Maecenas Insiderwissen auch im politischen Bereich, antwortet der Ich-Sprecher mit einer Gegendarstellung. Er kontrastiert allerdings die Thematik der Stadtgespräche (über Gladiatoren und das Wetter) auch mit den Gesprächen auf dem Land, die vom Wert der Selbsterkenntnis gekennzeichnet sind. Da der Leser allerdings von Horaz selbst aus der Epistel 1,18 erfahren wird, dass Verschwiegenheit zur wahren Freundschaft gehört (vor allem in einer Freundschaft zu mächtigen Gönnern), lässt sich darin auch ein Ablenkungsmanöver erkennen.16
Als miser in der Stadt drückt er daher seine vota aus (59), um auf das Land fliehen zu können, wo wahre Freundschaft in Bescheidenheit zu genießen ist; dies schlägt sich in den folgenden Versen nieder (60‑76).17
Neben der topischen Inszenierung einer bescheidenen cena unter wahren Freunden, bei der keine sozialen Rollenspiele nötig sind, sondern die Hierarchie bewusst flach gehalten wird, so dass auch die Sklaven verzogen sind und von den dapes naschen dürfen, betont der Sprecher die Möglichkeit, endlich über wichtige moralphilosophische Themen sprechen zu können (sat. 2,6,71‑76):Horazsat. 2,6,71-76
sermo oritur, non de villis domibusve alienis | |
nec male necne Lepos saltet; sed, quod magis ad nos | |
pertinet et nescire malum est, agitamus, utrumne | |
divitiis homines an sint virtute beati, | |
quidve ad amicitias, usus rectumne, trahat nos | 75 |
et quae sit natura boni summumque quid eius. |
Tovar Cortés sieht in der Kontrastierung zwischen den trivialen Maecenas-Gesprächen (in sat. 2,6,71f. werden Immobilien und Tänzer als typische Themen genannt) und dem Gespräch bei der ländlichen cena eine indirekte Kritik an Maecenas, doch ist das nicht überzeugend.18 In der Kritik steht vielmehr die Stadt als ein Ort, der ausschließlich nugae zulässt, nicht Maecenas, der nur über nugae sprechen kann. Auf dem Land fände auch Maecenas die entspannte Situation vor, um sich an den lebensphilosophischen Themen zu beteiligen. Zugleich wird aber der Anspruch in den Themenformulierungen, die Quaestiones wie für einen Cicero-Dialog zu sein scheinen, dadurch entlarvt, dass Cervius eine anilis fabella von der Stadt- und Landmaus als Redebeitrag liefert.19 Diese stellt sich als Spiegel der horazischen Alternative von innerer Freiheit durch Bescheidenheit und äußerlichem Wohlstand mit belastender Hektik heraus, wie die Forschung schon bemerkt hat.20
Die Beziehung zwischen den beiden Mäusen wird gekennzeichnet: Als vetus hospes empfängt die arme Landmaus einen vetus amicus aus der Stadt mit allen Ehren zu einer scheinbaren vita beata, die der Gastgeber mit der horazischen Maxime eines carpe diem anpreist.21 Die Stadtmaus verhält sich nicht unangemessen, im Gegenteil: Als Wirt ist sie genauso emsig wie die Landmaus um das Wohl ihres Gastes bemüht. Zwar gibt die Landmaus zuerst dem Schein nach und hält sich für einen laetus conviva bei seinem wohlhabenden amicus, da sich ihr Glück ins Positive gewendet habe (110f.). Doch bald muss die Landmaus erkennen, dass in der Stadt die insidiae überall präsent sind. Sie beendet folglich ihre Erfahrung in der Stadt mit der Begründung, die bescheidene, doch sichere Landatmosphäre dem luxuriösen, aber erschreckenden Stadtleben vorzuziehen (sat. 2,6,115‑117):Horazsat. 2,6,115 117
‘tum rusticus: “haud mihi vita | 115 | |
est opus hac” ait et “valeas: me silva cavosque | ||
tutus ab insidiis tenui solabitur ervo.”’ |
Natürlich darf der Leser weder diese Erzählung noch die Satire an sich rein selbstreferenziell lesen, wie es v.a. seit Brink 1965 und West 1974 communis opinio ist.22 Doch die Inszenierung knüpft erkennbar an die bisher vorgestellten Situationen an, die Horazens Unzufriedenheit betont haben, da dieser sich durch die Hektik seiner Verpflichtungen und die daraus entstandenen Gefahren, wie die invidia, bedrückt sieht.23 Fand der Leser außerdem in Satire 1,6 die Beschreibung der vita solutorum misera ambitione gravique (sat. 1,6,129),Horazsat. 1,6,129 wo der Dichter seine Autonomie bewahren konnte und das sorglose Leben in der Stadt genoss, schließt der horazische Sprecher die Satire jetzt mit einem Satz ab, aus dem ersichtlich wird, dass er in der Stadt keine Ruhe mehr findet und dass gerade eine solche Ruhe für ihn notwendig ist (haud mihi vita | est opus hac, Hor. sat. 2,6,115f.).
Hier ist allerdings Folgendes zu betonen: Selbst wenn die Inszenierung der aus dem Abhängigkeitsverhältnis zu Maecenas entstandenen Stadthektik nicht nur bei späteren Autoren (wie in den folgenden Kapiteln darzulegen ist) sowie in der Forschung,24 sondern sogar beim späteren Horaz, etwa in den Episteln, als Teil der Problematik rund um das patronus-cliens-Verhältnis behandelt wird, stellt die clientela keinen direkten Grund für die Verzweiflung des Horaz-Sprechers dar. Denn wie gezeigt wurde, ist dessen Stellung bei Maecenas von einer eher vielschichtigen Natur, die zwischen Amtsfunktionen und tatsächlicher Freundschaft changiert.25
Konkreter wird der Horaz-Sprecher zwar in den Episteln, in denen Maecenas nicht nur als aufrichtiger Freund, sondern vor allem als Gönner auftreten wird. Doch aus der Außenperspektive betrachtet Horaz genauere Aspekte des patronus-cliens-Verhältnisses schon in den Epoden und Oden, und zwar topisch als Ausgangspunkt für Kritik an mangelnder Fairness und am Stadtleben allgemein anhand eines ethischen Diskurses.