Читать книгу tali dignus amico - Vicente Flores Militello - Страница 9
b) Historiographische Quellen zur Entstehung des patronus-cliens-Verhältnisses
ОглавлениеBevor man zu den Hauptquellen der vorliegenden Untersuchung kommt, ist ein kurzer Blick auf den historiographischen Diskurs über das Verhältnis zwischen patroni und clientes nötig, um dessen Bedeutung im römischen Zeitgeist nachvollziehen zu können.
Schon bei Cicero findet man die Erwähnung, dass Romulus das patronus-cliens-Verhältnis in die römische Gesellschaft integriert habe, und zwar zwischen Patriziern und PlebejernCicerorep. 2,16 (habuit [sc. Romulus] plebem in clientelas principum discriptam: Cic. rep. 2,16). Einen vertieften Einblick in dieses Phänomen bietet der ein paar Jahrzehnte später wirkende griechische Historiograph Dionysios von Halikarnass (ant. 2,9–10).Dionysios von Halikarnassant. 2,9–10 Er widmet sich ebenfalls im Zusammenhang mit Romulus’ Regentschaft der Beschreibung des Patronats (πατρωνεία), d.h. der Beziehung zwischen Patron (προστάτης) und Klienten (πελάτης).1 Dabei achtet er auf den besonderen Charakter des Verhältnisses bei den Römern, selbst wenn ein solches Abhängigkeitsverhältnis nach seiner Vorstellung auch bei den Griechen präsent gewesen sei (ἔθος Ἑλληνικὸν καὶ ἀρχαῖον, ant. 2,9,2), doch der Unterschied liege darin, so der Text weiter, dass bei den Griechen die soziale Asymmetrie derart stark hervortrete, dass die Patrone die Klienten oft körperlich misshandelten, als wären letztere nicht einmal freie Menschen.2 Dagegen existiere das Verhältnis bei den Römern einerseits zum Schutz der Armen und Bedürftigen (Dionysios definiert den Patronat als τῶν πενήτων καὶ ταπεινῶν προστασία, ant. 2,9,3),3 andererseits bestehe es aus einem „menschenfreundlichen“ sowie „staatsbürgerlichen Bund“ (solche Beziehungen seien nämlich φιλάνθρωποι καὶ πολιτικαὶ συζυγίαι, ebd.). Dies betone den ethischen und sozialen Charakter.Dionysios von Halikarnassant. 2,9,2–3
Die Pflichten (meist rechtlicher Natur), aus denen die patronus-cliens-Beziehung bestand (ἔθη περὶ τὰς πατρωνείας, ant. 2,10,1), werden dann analog zur hierarchischen Ordnung innerhalb der römischen Familie besprochen: Die Patrizier sollten den Klienten z.B. erklären, über welche Rechte sie verfügten, und sollten ihnen auch juristisch Beistand leisten und sie bei Gelegenheit verteidigen – wie auch die Eltern gegenüber ihren Kindern handeln würden (ὅσα περὶ παίδων πράττουσι πατέρες, ebd.).Dionysios von Halikarnassant. 2,10,1 Die Klienten sollten ihrerseits den Patron unterstützen, z.B. bei der Aussteuer der Töchter im Falle finanzieller Not oder bei der Zahlung von Lösegeld, falls ein Sohn in Kriegsgefangenschaft geriet4 – dass dabei die Klienten über größere finanzielle Mittel verfügen konnten, welche die Patrone gerne in Anspruch nahmen, geht aus dieser Passage ebenfalls hervor: Dies wird in der literarischen Darstellung gerne thematisiert, wie unten noch gezeigt werden soll.
Dass sich Klienten und Patrone gegenseitig anzeigten oder juristisch verfeindeten, war streng verboten5 und galt folglich als Verrat (προδοσία), der sogar mit dem Leben bezahlt werden könnte.6Dionysios von Halikarnassant. 2,10,3
In gleichem Maße spielt die Länge der Beziehung laut Dionysios eine wichtige Rolle: Da der Charakter des Klientelwesens auch vererbbar sei, ähnele das Verhältnis zwischen beiden Seiten wiederum dem einer Familie.7 Dadurch gewännen Patrone an sozialem Ansehen (μέγας ἔπαινος ἦν), hätten zahlreiche Klienten (ὡς πλείστους πελάτας ἔχειν) nicht nur durch ihre eigenen Verdienste erworben, sondern auch durch die Familientradition geerbt (διὰ τῆς αὐτῶν ἀρετῆς, ant. 2,10,4).Dionysios von Halikarnassant. 2,10,4
Schließlich ist für Dionysios die gegenseitige Wertschätzung und Hilfe zwischen Patronen und Klienten das bedeutendste Merkmal des patronus-cliens-Verhältnisses: Einerseits bemühten sich die Klienten, den Patronen beizustehen, andererseits wollten die Patrone unter keinen Umständen den Klienten zur Last zu fallen, noch nähmen sie von ihnen finanzielle Unterstützung an8 – was aber gleichzeitig wiederum zeigt, dass die Klienten in der Regel einen finanziellen Wohlstand genossen, von dem die Patrone profitieren konnten.
Dazu muss aber auch die mythische Stiftung des Fides-Kults durch König Numa einbezogen werden (ant. 2,75,2–3)9, denn fides (πίστις) kennzeichnete nicht nur die politischen bzw. staatlichen Beziehungen (ἐν τοῖς κοινοῖς τῶν πόλεων πράγμασιν), sondern auch diejenigen unter Privatleuten (ἐν τοῖς ἰδίοις), was somit unmittelbar auch das patronus-cliens-Verhältnis betrifft.10Dionysios von Halikarnassant. 2,75,2-3
Dass die Beschreibung des Dionysios offenbar einem mythisch überhöhten Ideal entspricht, ist evident. Der Autor spricht von einer Beziehung, die sich in einer fernen Vergangenheit abspielte, als handele es sich um eine Art aurea aetas, wo andere Maßstäbe für die menschlichen Verhältnisse sowie Gerechtigkeit galten.11 Dass es außerdem verschiedene historische Unstimmigkeiten in Dionysios’ Darlegung gibt, gilt als sicher.12 Am Ende der Republik sowie am Anfang der Kaiserzeit waren dazu nicht nur die rechtliche Regelung im Allgemeinen, sondern auch die Beziehungen zwischen Patronen und Klienten wesentlich anders als Dionysios’ Darstellung der archaischen und frührepublikanischen Zeiten, wie Nauta 2002, Goldbeck 2010 und Ganter 2015 in letzter Zeit zeigen konnten.13
Dieses Ideal stellt aber einen literarischen Topos dar, der sich in der römischen Vorstellungswelt etabliert hat und daher von großer Bedeutung für die vorliegende Arbeit ist: Bei den zu untersuchenden Autoren findet man entweder das Streben nach diesem Ideal oder die Klage darüber, dass dieses Ideal nicht (mehr) der Wirklichkeit entspreche, sowie schließlich auch die enttäuschte Flucht vor der ungerechten Realität,14 wie in den nächsten Kapiteln gezeigt wird.