Читать книгу Lotte in London - Victoria Benner - Страница 12

9.

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„Was zupfst du die ganze Zeit da rum?“ Thomas bekam Charlottes Hand zu fassen und hielt sie fest, bevor sie ein weiteres Mal an ihrer sehr kurzen Tunika ziehen konnte.

„Es hat geheißen, ich bekomme ein grauen Rock und nun das! Ich versuch das nur zurechtzuziehen! Ich habe keine Lust mich morgen halb nackt in der Zeitung bewundern zu können!“ Charlotte riss sich aus seinem Griff los. „Außerdem wollte ich noch mit dir über gestern reden. Kannst du mir bitte mal sagen, wo du die ganze Zeit über warst?“

„Ehrlich? Darüber willst du reden? Jetzt?“

„Ja.“

Thomas gab nur ein Schnauben von sich. „Lotte, bei aller Liebe, aber ich glaube, wir haben jetzt wichtigere Probleme.“

„Das sagst du heute schon den ganzen Tag, sobald ich versucht habe mit dir zu reden! Immer warst du mit irgendwas beschäftigt! Entweder warst du Joggen, oder am Telefon, dann kam Gwen und hat sich für eine satte Stunde mit dir zu irgendeiner Besprechung im Arbeitszimmer eingeschlossen und dann ...“ Charlotte zog an ihren Haaren. Thomas griff nach ihren Händen.

„Wenn du nicht damit aufhörst, siehst du aus wie ein gerupftes Huhn!“

Charlotte nahm die Hände herunter und verschränkte sie hinter ihrem Rücken. Langsam folgte sie Thomas, der vor ihr her über den roten Teppich flanierte.

Charlotte blinzelte, als das Blitzlichtgewitter um sie herum zu zucken begann. Tief in ihrem Innern wünschte sie sich, sie hätte eine Sonnenbrille mitgenommen. Die hätte jetzt wahre Wunder geleistet. Schräg von unten starrte sie zu Thomas hoch, der lächelnd in die tanzenden Lichter blinzelte, als wenn nichts wäre. Entspannt, die Hände in den Hosentaschen, ein Bein locker ausgestellt, wandte er sich von Seite zu Seite. Ab und an lachte er oder rief etwas in die Menge, wenn einer der Fotografen einen besonders guten Witz machte.

„Mr. Donoghue, etwas mehr nach rechts! Sehr schön!“

„Thomas hier rüber!“

Thomas leckte sich über die Lippen, sein Lächeln, das vorher nur die Mundwinkel umspielt hatte, breitete sich über das ganze Gesicht aus.

„Mr. Donoghue, Thomas, ein Bild von Ihnen und Charlotte!“

Die Frage wurde wie ein Schlachtruf aufgenommen und bald stimmten alle Fotografen darin ein.

Thomas nickte. Er streckte die Hand aus und winkte. „Lotte?“

Zögernd trat Charlotte näher heran. Den Blick starr auf ihre Füße gerichtet, kam es ihr vor als laufe sie im Stroboskoplicht einer Disco.

„Wenn es nur das wäre“, seufzte sie leise und erschrak, als sie in Thomas hineinlief.

„Lotte, pass auf, wo du hinläufst.“

„Sorry.“

„Charlotte, hierher! Schenken Sie uns ein Lächeln!“

Charlotte starrte in die leuchtende, zuckende Lichterwand vor sich und versuchte sowohl ihr Lächeln, als auch ihre Pose zu halten.

„Einatmen, ausatmen, Bauch rein, Brust raus“, flüsterte sie sich selbst zu und versuchte nicht zu blinzeln, was noch so ein Tipp war, den Gwen ihr heute Nachmittag noch gegeben hatte. „Und Lächeln, einfach nur lächeln. Und dann wieder einatmen, ausatmen, Brust rein, Bauch raus... Nein, andersrum. Bauch rein, Brust raus.“

Sie hätte nie gedacht, dass es so warm im Blitzlichtgewitter werden könnte. Langsam brach ihr der Schweiß aus. War das am Flughafen auch schon so warm gewesen? Hoffentlich hielt ihr Make - up. Obwohl, Laura war eine professionelle Visagistin, die sollte das doch wohl hinkriegen, wenn schon nett sein nicht zu ihren Qualitäten gehörte, dann doch wenigstens das!

Plötzlich spürte sie, wie Thomas sie mit sanfter Gewalt bei den Schultern nahm und sich zu ihr hinunterbeugte. Sein Mund streifte ihr Ohr. „Darling, aufwachen! Du siehst aus, als würdest du mit offenen Augen schlafen.“

Charlotte schüttelte den Kopf. „Tue ich nicht! Ich versuche nur gut für die Fotografen auszusehen, fällt dir das nicht auf?“

„Nein denn mich interessiert nur, dass du dich nach rechts drehst. Denn da ist der Telegraph.“

Der Telegraph! Gwen hatte sie gewarnt. Der Telegraph war eine der meistgelesenen Zeitungen in Großbritannien. Mit denen sollte man es sich nicht verderben.

Langsam drehte sich Charlotte in die verlangte Richtung und sah sich einem einzelnen Kameraauge gegenüber. Sie schluckte.

„Darling? Dein Lächeln?“

Charlotte schloss die Hand um ihren Anhänger. „Was ist damit?“

„Du siehst aus wie ein Psychopath“, flüsterte Thomas.

„Vielleicht bin ich einer?“, gab Charlotte zurück und rieb die Schneeflocke zwischen Daumen und Zeigefinger, bis die Fingergelenke knackten.

Thomas zog sie zu sich heran und gab ihr einen Kuss auf den Scheitel. „Es ist gleich vorbei“, versicherte er ihr.

„Dein Wort in Gottes Ohr.“

❄❄❄

„Wow! Charlotte, komm! Das muss dir dir ansehen!“ Thomas war zur Tribüne vorausgelaufen, von der aus man einen guten Blick auf die Rennstrecke hatte. Dort standen sie. Dicht an dicht, direkt an der Startlinie, glänzten in den vereinzelten Sonnenstrahlen, die sich einen Weg durch die dichte Wolkendecke gebahnt hatten.

„Sieh dir das an!“, aufgeregt deutete Thomas von einem Wagen auf den anderen. „Sind die nicht der helle Wahnsinn?“

Charlotte folgte seiner Handbewegung, gönnte den auf Hochglanz polierten Wagen aber nur ein hingeworfenes „Ja, sehr schön.“

„Sehr schön! Charlotte, das sind alles Legenden!“, hauchte er und konnte sich kaum von den in Reih und Glied stehenden Wagen losreißen. „Das ist Autogeschichte! Hier!“, er zog Charlotte näher an die Scheibe, die die Aussichtsplattform von der Rennstrecke trennte. Charlotte murrte widerwillig, ließ sich aber trotzdem näher heranziehen. „Hier, dass zum Beispiel ist ein Porsche neunhundertfünfunddreißig, der wurde in den Sechzigern und Siebzigern zu den Rennen zugelassen. Siehst du? Das ist der Dritte von Links.“ Er deutete auf einen rot lackierten Wagen.

„Sehr niedlich.“

„Und das da“, er deutete auf den Wagen neben dem Porsche, „ist ebenfalls ein Porsche. Allerdings ein neunhundertachter. Einer der legendären Wagen des Namensgebers dieses Rennens.“

Charlotte holte tief Luft und überlegte, ob sie ihm sagen sollte, dass sie sich nicht wirklich für Autos interessierte. Autos waren für sie ein Ding, welches einen von A nach B brachte und wenn man sie gefragt hätte, was sie am liebsten für eins gehabt hätte, hätte sie geantwortet: „Eins mit einem ordentlichen Motor, verdunkelten Scheiben, großem Kofferraum und viel Knautschzone, nur für den Fall.“ Aber mehr verlangte sie nicht von ihrem fahrbaren Untersatz. Thomas hingegen schien das etwas anders zu sehen. So wie er sich über die einzelnen Wagen ausließ, hätte man meinen können er wollte eine Affaire mit ihnen anfangen. Warum war ihr das eigentlich nie aufgefallen, dass er so vernarrt in Autos war? Und was wusste sie noch nicht von ihm. Nachdenklich betrachtete Charlotte seine glänzenden Augen, seine geröteten Wagen.

„Weißt du, was ich mich frage?“

Thomas sah etwas verwirrt drein, als sie seinen Vortrag unterbrach. „Nein, was?“

„Das da“, Charlotte zeigte auf das Feld, dass sich unter ihnen erstreckte, „das sind doch alles total unterschiedliche Wagen, oder? Der eine ist ein Jaguar, der andere ein Mercedes.“ Sie beugte sich vor. „Das da ist doch ein Mercedes, oder?“

„Ja, sicher.“

„Wenn das alles unterschiedliche Autos sind, warum lässt man sie gegeneinander antreten? Das kann doch nicht funktionieren.“

Tom zuckte hilflos die Schultern. „Mag sein“, antwortete er. „Aber das hier ist auch kein richtiges Rennen. Es geht um den guten Zweck, da ist das doch unwichtig, wer was kann.“

Sie runzelte die Stirn. „Unfair ist es aber trotzdem. Außerdem sagt ihr nicht immer:,Horses for Courses?´“

„Aber das sind doch alles Rennwagen. Aus verschiedenen Zeiten, ja, mit verschiedener Motorleistung und unterschiedlichem Stand der Technik, aber alle sind Renn ...“, er brach ab, als ein Mann auf sie zukam. „Hey, Paul! Das ist Paul Horner, einer der Betreiber der Strecke. Paul!“

Charlotte nickte und blickte den Neuankömmling interessiert entgegen.

„Tom!“ Paul kam mit einem erfreuten Grinsen im Gesicht auf sie zu und umarmte Thomas, der dem kleineren Mann, der seinen stattlichen Fassbauch ein einem Tweedjackett zu verstecken versuchte, freundschaftlich den Rücken klopfte.

„Schön, dich hier mal wieder zu treffen! Hätte nicht gedacht, dass du es schaffst. Nach allem, was man so hört, bist du jetzt ein viel beschäftigter Mann! Sahnst groß ab!“ Der rundliche Mann lachte, dass sein Bauch nur so hüpfte.

Thomas, dessen Gesicht eine leichte Röte überzog, lachte mit. „Ach komm Paul“, versuchte er, das Lob herunterzuspielen.

„Was denn?“, meinte der andere nur. „Ist nicht so, dass du es dir nicht hart erarbeitet hättest!“ Er zwinkerte Charlotte schelmisch zu. „Tom ist ein Goldstück. Mit so manchen Kanten, aber im Grunde seines Herzens ist er harmlos. Man muss ihn nur zu nehmen wissen und ihm ab und zu mal von der Leine lassen.“ Er lachte heiser, bis sein Lachen in einen Husten überging.

„Paul, darf ich dir Charlotte vorstellen, meine ...“ Thomas streckte die Hand nach Charlotte aus.

Charlotte kniff die Lippen zusammen, als er zögerte.

„Freundin“, sagte Thomas und Charlotte fühlte dem Klang dieses Wortes nach.

So fühlt es sich also an, wenn man die Freundin ist und das offiziell gemacht wird, überlegte sie. Eigenartig und so endgültig.

Gespannt blickte sie in die Runde, um zu sehen, wie Paul darauf reagieren würde.

„Deine Freundin? Dass ich das noch mal erlebe, hätte ich nicht gedacht! Da hat doch noch eine unseren Tom gebändigt bekommen.“ Paul musterte Charlotte, als versuche er den Zauberstab, mit dem sie ein solches Kunststück vollbracht hatte, zu finden.

„Ist nicht so, dass ich die Erste bin“, meinte Charlotte. „Vor mir gab es auch schon andere.“

„Ja, doch die hat er ...“

„Ach Paul, Charlotte hat mich gerade gefragt, warum all die unterschiedlichen Wagen zu einem Wettkampf antreten können. Wo sie doch alle unterschiedliche Leistungen erbringen“, sagte Thomas in dem Versuch das Thema zu wechseln.

Paul bekam wieder eine Mischung zwischen einem Husten- und Lachanfall und zwinkerte ein paar Tränen aus den Augen, als er sich etwas beruhigt hatte. „Das ist kein wirkliches Rennen. Hier geht es um den guten Zweck und darum, dass die Liebhaber ihre Schmuckstücke zeigen können. Bei einem echten Rennen sähe das ganz anders aus. Da würde man vorher genau prüfen, aus welcher Serie sie stammen, um zu gewährleisten, dass sie auf einer Höhe sind, was die unterschiedlichen Kategorien angeht“, erläuterte er Charlotte.

„Verstehe.“

„Sag mal, wie wäre es eigentlich?“, wandte sich Paul jetzt an Thomas und deutete in Richtung der Rennbahn. „Willst du nicht mitfahren?“

Toms Hand rutschte von Charlottes Taille. „Ehrlich?“

Paul zuckte die Schultern. „Ja, warum nicht? Wenn du möchtest. Ich bin sicher, bei einem meiner Jungs ist noch Platz.“

„Ja, klar! Sehr sehr gern!“

„Gut, dann werde ich das für dich arrangieren und komme dich später abholen.“ Er warf Tom noch ein kurzes Kopfnicken hin und lief weiter um andere Gäste zu begrüßen.

Tom sah ihm nach. „Der absolute Wahnsinn!“, wisperte er und wandte sich an Charlotte. „Ich darf in einem Rennwagen mitfahren! Kannst du das fassen?“ Er packte Charlotte bei den Schultern und drückte ihr überschwänglich einen Kuss auf die Wange. „Ich darf mitfahren!“

„Ja, super“, meinte Charlotte und wand sich aus seinem Klammergriff. Sie sah ihn ernst an. „Denkst du, du solltest das tun?“, fragte sie ihn.

„Wie meinst du das?“

„Na, ist das nicht gefährlich?“

„Ach Quatsch“, wiegelte Tom ab. „Gefährlich.“ Er machte eine abwertende Handbewegung. „Das ist doch nicht gefährlich. Ein bisschen Nervenkitzel vielleicht, aber mehr nicht.“

„Und was wird aus mir? Was soll ich derweil tun?“

Thomas zuckte die Schultern. „Mir von der Tribüne aus zusehen oder an der Ziellinie auf mich warten?“ In seinen Augen flackerte ein schelmisches Grinsen.

Charlotte stemmte die Arme in die Hüften. „Das hättest du wohl gern, dass ich mich da unten in den Rauch und Dreck stelle und mir die Frisur ruinieren lasse? Um Ärger mit Laura zu bekommen. Wo die mich sowieso schon gefressen hat.“

„Ach, komm schon. Ist das nicht genau dein Job jetzt? Mich zu unterstützen und mir zu helfen?“

„Dich zu unterstützen ja, aber auf dich zu warten, nein. Das hab ich schon hinter mich gebracht.“

„Das könnte ich auch sagen.“

Für eine Weile standen sie sich gegenüber. Keiner wusste was zu sagen.

„Also?“, fragte Charlotte.

Thomas blickte sich im VIP Bereich um. „Warum knüpfst du nicht ein paar neue Kontakte?“, fragte er dann.

„Neue Kontakte, sicher Thomas.“ Charlotte wischte sich mit einem Finger über die sorgfältig gezogenen Brauen. „Und mit wem bitte soll ich deiner Meinung nach ganz unverbindlich ein paar Kontakte knüpfen?“

„Was weiß ich. Schau, da hinten ist eine Bar, da trifft man bestimmt interessante Leute.“

„Oder Besoffene.“

„Was nicht ausschließt, dass sie interessant sind.“

„Mr. Donoghue?“

Thomas blickte sich um. „Charlotte, ich muss los. Ich bin sicher, du kriegst das hin.“

Charlotte musterte den Mann im Rennanzug, der auf sie zukam. Sein ganzes Trikot war über und über mit Werbeslogans und Firmenlogos bedruckt. Von Babywindeln über Aufputschgetränkemarken bis hin zum Telefonanbieter war alles vertreten.

„Wünsch mir Glück!“ Thomas presste seine Lippen stürmisch auf ihre.

„Ja, viel Glück“, nuschelte Charlotte in den aufgezwungenen Kuss, bevor er sich losriss.

Tja, überlegte sie. Und jetzt?

Langsam schlenderte sie zur Bar hinüber.

„Was kann ich Ihnen bringen?“ Die Stimme des des Barkeepers klang so unterkühlt, das es schon arrogant war und in Charlottes Magen zog sich ein Knoten zusammen. Sie schluckte, griff nach der Karte.

„Einen Sex on the Beach.“

Charlotte sah zu, wie er die verschiedenen Zutaten in den Shaker schüttete und das orange - rote Gemisch hinterher in ein hohes Glas gab.

„Bitte.“

„Danke“, sagte Charlotte, zog den Drink näher zu sich heran. Unter den gelangweilten Blicken des Barkeepers nahm sie die ersten Schlucke.

„Der ist gut“, sagte sie in der Hoffnung seine strenge Miene aufheitern zu können. Doch er zog nur eine Augenbraue hoch und antwortete nicht.

Heißen Dank auch. War nett mit dir geplaudert zu haben, dachte Charlotte und nahm noch einen Schluck von ihrem Drink.

„Entschuldigung?“

Charlotte verschluckte sich. Sie hustete und wischte mit der Serviette über ihr Kinn und musterte die fremde Frau, die sie angesprochen hatte.

„Ja?“

„Entschuldigung? Sagen Sie, sind Sie nicht Charlotte Grottinger?“

Charlottes Herz krampfte sich zusammen. Sie schluckte und suchte Halt an ihrem Glas. Dann schüttelte sie langsam den Kopf. „Nein. Nein, bin ich nicht.“

Die Frau warf ihre kleine Handtasche auf die Bar. Es klackte, als ein Plastikkärtchen an einem langen Band daraus hinaus und auf den Boden fiel.

„The Daily Observer“ konnte Charlotte gerade noch lesen, bevor die Frau es mit einem „Hoppla“, aufhob.

„Doch sie sind Charlotte Grottinger. Die neue Freundin von Thomas Donoghue!“

„Nein, ich fürchte, sie irren sich. Ich bin nicht diese Charlotte Grottinger oder wie auch immer sie heißt.“

Die Frau warf den Kopf in den Nacken und lachte laut. „Na hören Sie! Für wie dumm oder blind halten Sie mich, dass ich Sie nicht erkenne, wo mir Ihr Bild von jeder Zeitschrift entgegenspringt?“ Sie beruhigte sich etwas und setzte hinzu: „Neben dem Norah McAllisters natürlich.“

Charlottes Hände wurden kalt und feucht und gern hätte sie sie irgendwo unauffällig abgewischt, aber mit einer Journalistin im Nacken, keine Chance.

„Sie haben doch nicht geglaubt, Sie könnten sich hier verstecken?“

„Um ehrlich zu sein, doch! Immerhin ist das hier der VIP - Bereich!“, hätte sie am liebsten geantwortet, denn sie hatte tatsächlich angenommen, wenn sie erst über den roten Teppich sei, wäre sie dem Haifischbecken entkommen. Sie schluckte und sah sich unauffällig nach Thomas um.

„Sagen Sie, wo ist er denn?“

Charlottes Kopf ruckte in Richtung der Journalistin. „Wer?“

„Tom Donoghue natürlich! Wer sonst?“

Charlotte blinzelte kurz. „Tom? Der ist ... also der ist gerade weg.“

„Gerade weg? Wohin denn?“

„So weit ich weiß ist er unten auf der Strecke. Er hat die Möglichkeit bekommen, in einem der Wagen mitzufahren.“

„So?“ Der dunkelhaarige Pagenkopf zog die Augenbrauen hoch. „Und in welchem Team?“

Charlotte nahm einen Schluck von ihrem Drink, dann sagte sie: „Für das von Paul natürlich“, und versuchte gelassen zu klingen.

„Für Paul, aha. Sagen Sie, wir hatten neulich ein Interview mit Norah McAllister, der Exfreundin Ihres Freunds.“ Die Journalistin ließ die letzten Worte verheißungsvoll zwischen ihnen in der Luft hängen. Als Charlotte nicht darauf reagierte, fuhr sie fort: „Sie hat behauptet, dass Sie ihr Tom ausgespannt hätten.“

„Bitte?“

„Ja, sie hat gesagt, dass Sie ein Niemand wären und sich Tom gekrallt hätten, als er auf Dreharbeiten in Berlin war. Sie sagt, Sie hätten sich sein Vertrauen wieder erschlichen, wobei sie das wieder in dem Fall besonders betonte und ihn ihr dann weggenommen. Möchten Sie dazu irgendetwas sagen?“

„Ob ich etwas dazu sagen möchte?“ Charlotte schüttelte den Kopf. Nein, dazu wollte sie nichts sagen. Dazu durfte sie auch nichts sagen. Das war der pure Kindergarten! Erwartete man von ihr ernsthaft bei so etwas mitzuspielen?

„Sagen Sie, warum hat sie das wieder so betont?“

„Ähm ... ich habe keine Ahnung.“ Charlottes Finger griffen nach dem Anhänger. Als sie die Rundung des in das Silber eingelassenen Aquamarins unter den Fingerkuppen spürte, ließ der Knoten in ihrem Magen etwas locker.

„Norah meinte dem Daily Observer gegenüber, dass Tom und Sie sich schon länger kennen.“

Charlotte starrte jetzt auf die Oberfläche der Bar und rieb die Schneeflocke zwischen Daumen und Zeigefinger. Was, so überlegte sie, würde wohl passieren, wenn sie der Trulla neben sich sagte, sie solle sich trollen?

Lieber nicht, ging es ihr durch den Kopf. Das würde nur Ärger geben. Gwen hatte ihr klar und deutlich gesagt, dass sie so unverfänglich wie möglich auf Fragen antworten sollte. So bekam die Presse, was sie wollte und niemanden würde ein Leid geschehen.

„Stimmt das?“

„Wie bitte?“

„Ob das stimmt? Dass Sie und Tom sich bereits länger kennen?“

„Ich bin mir nicht sicher?“

Die Journalistin machte ein verwirrtes Gesicht. „Sie sind sich nicht sicher?“

„Ich glaube schon?“

„Wenn Sie nicht mal das wissen, dann wissen Sie wohl auch nicht, dass Norah McAllister im Begriff ist, vom Model- in das Schauspielgeschäft zu wechseln? Dass sie eines der neuen Gesichter in der Branche ist und dass sie im Gespräch als nächste Filmpartnerin Ihres Freundes ist?“

„Wie bitte?“ Charlotte schoss vom Stuhl hoch. Norah und Tom? Zusammenarbeiten? Wann? Wo?

„Sie müssen doch gewusst haben, dass Lane Underwood sie für die weibliche Hauptrolle für die Lawrence of Arabia Verfilmung ernsthaft in Erwägung zieht. Gestern wurden sie zusammen gesehen.“

Deswegen war Tom so spät nach Hause gekommen. Nur ein Treffen mit dem Regisseur! Sicher. Und Norah? Die war vermutlich rein zufällig dazugestoßen! Und dann hatte man sich lustig unterhalten und dabei die Zeit aus den Augen verloren. Na sicher. In Charlottes Magen lief ein ganzer Ameisenhaufen Amok. Sie presste eine Handkante in den Magen.

„Wenn Norah jetzt hier wäre und Ihnen sagen würde, dass sie die Rolle neben Ihrem Freund bekommt, was würden Sie ihr wünschen?“

Charlotte glaubte sich verhört zu haben. Was sie Norah wünschen würde? Außer „Fahr zur Hölle!“? Nichts. Aber das konnte sie wohl kaum dem komischen Pagenkopf mit der überspannten Arbeitsmoral sagen.

„Ich glaube ich ...“, Charlotte blickte sich um.

„Kein Wunder, mir würde es auch nicht gut gehen, wenn ich das von anderen Leuten erfahren müsste. Mich wundert, dass er Ihnen das nicht gesagt hat.“ Unschuldig klimperte die Journalistin mit den Wimpern.

Charlotte kam die Galle hoch und der Raum begann sich um sie zu drehen. Sie musste raus, ganz dringend! Bevor noch eine Katastrophe geschah. Durch ihren Körper liefen jetzt ohnehin Stromstöße, so dass sie am liebsten nur noch gelaufen wäre. Also, warum noch weiter damit warten?

„Aber, dass er demnächst nach Marokko fliegt, um dort zu drehen, dass wissen Sie schon, oder?“

Charlotte schwankte, als sie ihren Griff um die Bar löste. „Es tut mir leid, aber ich glaube, ich muss kurz weg.“

„Geht es Ihnen gut? Sie sind auf einmal sehr blass.“

„Danke, geht schon.“ Charlotte machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand. „Ich muss nur kurz“, sie holte tief Luft, „nur kurz frische Luft schnappen. Wenn Sie mich entschuldigen würden.“

Toilette!, schwirrte es durch Charlottes Kopf. Sie musste unbedingt eine Toilette finden.

Am anderen Ende des VIP - Bereichs entdeckte sie eine Schwingtür. Wenn sie noch etwas aus ihrer Zeit als Bedienung wusste, dann, dass sich die Toiletten entweder gut sichtbar im Gästebereich befanden oder aber gut versteckt hinter den Kulissen. Und hinter den Kulissen war genau hinter den Schwingtüren.

Nicht rennen!, erinnerte sich Charlotte, als sie auf die Schwingtür zusteuerte, eine Hand um den Anhänger geschlossen.

Hinter der Schwingtür erwarteten sie weiß getünchte Betonwände und ein Betonfußboden auf denen die Absätze ihrer Schuhe ohrenbetäubend laut klackten. Der Unterschied zu der mit rotem Teppich ausgelegten und aufwendig dekorierten VIP - Area hätte kaum größer sein können.

Irgendwo von links hörte Charlotte das Scheppern von großen Küchenwannen, das Fließen von Wasser, aufgeregte Stimmen, Klirren von Glas. Alles Geräusche, die darauf hinwiesen, dass in der Küche hektisch das Essen vorbereitet wurde.

Charlotte lächelte, als sie die Geräusche hörte. Sicher, die Erinnerungen an ihre Cateringzeit waren nicht die angenehmsten, aber besser als das Opfer von Journalisten zu sein, war der Job als Kellnerin allemal.

Aus einer Tür zu ihrer Linken schob sich jetzt ein Mädchen in schwarz - weißer Kleidung mit strengem Pferdeschwanz. Geschickt balancierte sie ein Tablett auf ihrem Handteller. „Entschuldigung? Kann man ihnen helfen? Suchen sie jemanden?“

Charlottes Herz machte einen Satz, als sie den Blick der Frau bemerkte, der ihr eindeutig zu verstehen gab, sie sei hier falsch.

„Nein“, sagte sie. Und das war nicht mal gelogen. Sie suchte tatsächlich niemanden. Zumindest keine Person. Alles, was sie suchte war ein Weg zur Toilette und danach ein Ausweg aus ihren Problemen, um ihre kreisenden Gedanken und ihren Körper, in dem das Adrenalin pochte, wieder unter Kontrolle zu bringen.

„Wenn sie die Toiletten suchen, die sind rechts entlang. Einfach rechts gehen, geradeaus halten, an zwei Abzweigungen vorbei und nach der dritten Abzweigung links.“ Das Mädchen lächelte höflich.

„Danke!“

„Kein Problem“, meinte die Bedienung und versuchte die Schwingtür mit der Schulter aufzudrücken.

„Warten Sie, ich helfe Ihnen.“

„Ach, das schaff ich schon allein. Aber danke.“

Als Charlotte in der Toilette ankam, erschrak sie, als sie ihr Gesicht im Spiegel sah.

Sie war tatsächlich sehr blass, wie die Reporterin gesagt hatte. Keine Ahnung, was Laura sich dabei gedacht hatte, sie so zu schminken, aber das ging gar nicht. Entschlossen zog sie ihre Schminke aus ihrer Handtasche. Sie frischte zuerst ihren Teint auf. Verdeckte die immer noch erkennbaren blau schimmernden Augenringe mit einer zweiten Lage Concealer. Dann war das Rouge an der Reihe. Mit ein wenig Farbe auf den Wangen würde sie gleich lebendiger aussehen.

Kein Wunder, dass Tom vorhin gedacht hat, ich stehe komplett neben mir. Bei der aschfahlen Gesichtshaut! Selbst der Tod auf Latschen macht einen vitaleren Eindruck!

Apropos Tom. Langsam ließ Charlotte den Rougepinsel sinken.

Warum um alles in der Welt hatte Tom ihr nicht gesagt, dass er mit seiner Ex zusammenarbeiten würde? Weil es nicht stimmte? Weil er es ihr nicht sagen wollte? Oder, weil er es einfach vergessen hatte?

Charlotte schüttelte den Kopf. Wohl eher das Letztere. Für ihn war es kein Problem mit seiner Exfreundin zu arbeiten. Deswegen hatte er vergessen, es ihr zu erzählen. Genauso, wie es alltäglich für ihn war nach Marokko zu fliegen. Etwas, das er auch vergessen hatte, ihr zu sagen.

Diese ständigen Alleingänge funktionieren nicht mehr!, dachte sie. Das mochte funktioniert haben, als er noch allein gelebt hatte, aber jetzt waren Regan und sie da, die Lage hatte sich geändert. Sie musste das unbedingt mit ihm besprechen.

Charlotte lachte. Es klang hohl von den Wänden wieder.

Ich muss das mit ihm besprechen! Der war gut! Ich bin seit kaum drei Tagen hier und es gibt schon so viel, was ich mit ihm besprechen muss, ohne das ich bisher die Chance dazu hatte!, stellte sie fest.

Kritisch betrachtete sie ihre Verbesserungen im Spiegel.

Zumindest, was das Äußere anging, sah sie besser aus. Was das Innenleben betraf ... Ihr Magen krampfte sich allein bei der Vorstellung da wieder raus zu müssen zusammen und der Drang einfach nur laufen zu wollen wurde beinahe unkontrollierbar. Was hätte sie jetzt für einen Spaziergang gegeben. Und doch war der einzige Spaziergang, den sie würde unternehmen können, der zurück zur Veranstaltung.

Für einen Augenblick schloss sie die Augen und versuchte sich zu beruhigen.

Alles, was sie tun musste, war Tom zu finden und nicht mehr loszulassen, überlegte sie sich. Da er sowieso in einer Tour redete, würde sie kein Problem mit der Presse haben, so lange sie in seinem Windschatten segeln konnte. Sie packte ihre Schminksachen zusammen und ging zurück in den Saal.

Lotte in London

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