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Kapitel 8

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„Hey, wenn dein Plan ist, unsichtbar zu sein, dann solltest du mal die Glühbirne abstellen.“ Ich riss meine Augen auf, als eine melodische, tiefe Männerstimme die plötzliche Stille durchbrach. Mir tanzten Sterne vor den Augen. Ich ignorierte die helfende Hand, die er mir hinhielt, rollte mich zur Seite und übergab mich. Bei meinem Versuch, mich hochzurappeln, griff er mir unter die Arme und stellte mich, als wäre ich leicht wie eine Feder, auf meine Füße.

Er musterte mich und ich ihn. Wäre mein Stolz nicht irgendwo auf der Strecke zwischen dem Bushäuschen und hier verloren gegangen, dann würde ich jetzt vor Scham im Boden versinken; je tiefer, desto besser. Er war ein Wow! Ich glaube, ich hatte noch nie so einen heißen Typen gesehen wie ihn (mit Ausnahme meines Vaters, doch der zählte nicht). Er war groß, breitschultrig und muskulös. Seine Haare waren schlohweiß, mit einzelnen goldenen Strähnen. Sie waren im Nacken zusammengebunden und seine ebenmäßigen Züge wirkten angespannt. Er kniff seine mandelförmigen, blauen Augen zusammen. Während er mich musterte, strich er gedankenverloren über ein am Gürtel befestigtes Schwert.

Ich wirbelte auf dem Absatz herum und rannte, oder stolperte eher, los. Im selben Moment riss er mich zu Boden, setzte sich rittlings auf mich und packte mit einer mühelosen Bewegung meine Fäuste, die somit ihr Ziel verfehlten. Ruhig blickte er auf mich herab, während ich mich vergeblich freizukämpfen versuchte. Mit einem amüsierten Lächeln auf seinen vollen Lippen beobachtete er mich und in diesem Moment wünschte ich diesen schönen Teufel in die Hölle zurück, aus der er gekommen war.

Als er gerade seinen Mund öffnete, um höchstwahrscheinlich etwas Beleidigendes zu sagen, zog ich kurzerhand meine Knie an und drückte mich mit aller Kraft hoch, gleichzeitig gleißte ein Licht wahnsinnig hell auf. Ich weiß nicht, ob ich es meinen nicht vorhandenen Kampfkünsten oder dem Licht verdankte, denn jetzt war der superheiße Typ dort und ich hier, aber er saß nicht mehr auf mir, was ich im Stillen leise bedauerte. Oje, als ich mich aufrappelte und einen Blick auf ihn erhaschte, sah er sauer aus, sehr sauer. Zwischen zusammengebissenen Zähnen, sich auf die Knie stützend, zischte er wütend: „Es reicht, jetzt reicht es!“ Dann zückte er das Schwert, das an seinem Gürtel hing, und rannte auf mich zu, während ich ihn einfach nur anstarrte. Irgendwie irritierte ihn das, denn er blieb schwer atmend stehen. Es hielt ihn aber leider nicht davon ab, mich an der Kehle zu packen und an den Baum zu drücken, das Schwert zuschlagbereit „Was bist du?“

„Mein Name ist Anouk, Anouk Nelson!“ Warum antwortete ich eigentlich? Der Griff wurde fester. „Ich fragte nicht, wer, sondern WAS du bist.“ Jetzt wurde ich sauer! Ich hielt nichts von Typen, die Mädchen wehtaten. Ich versuchte, mich zu befreien und ihm die größtmögliche Dosis an Schmerz zuzufügen. „Hast du keine Augen im Kopf, du nordischer Arsch? Ich bin eine verdammte Halbgöttin, deren Daddy dir den Hintern versohlen wird, wenn du sie nicht sofort runterlässt!“ Ja, so weit war es also schon gekommen! Ich drohte ihm mit meinem Pseudo-Gott-Vater und bezeichnete mich als Halbgöttin. Psychiatrie, wir kommen!

Die Rinde des Baumes riss meinen Parka auf, während der gut aussehende Brutalo mich langsam herunterließ und den Griff um meine Kehle lockerte. Ich nutzte die Gelegenheit und trat ihm mit aller Kraft auf den Fuß, doch er schien es nicht einmal zu bemerken. Wieder betrachtete er mich kritisch von oben bis unten. „Halbgöttin, sagst du?“ „Ja, eventuell! Hast du ein Problem damit? Übrigens, du hast da einen Pickel.“ Ich deutete auf seine Schläfe. Ich hatte keine Angst, nicht vor ihm – wenn er mich hätte töten wollen, läge ich jetzt hier bestimmt mit einer Axt im Schädel.

Ich linste über seine Schulter, während er sich in das Gesicht fasste. Er schien völlig aus der Bahn geworfen zu sein. In dem sanften Licht konnte ich eine Gestalt ausmachen, die in einer merkwürdig zusammengekrümmten Haltung dalag. Ich machte mich klein, schlüpfte unter den Armen von Mr. Superkrieger durch und huschte, bevor er mich wieder packen konnte, zu der Gestalt. Entsetzt sah ich das Messer in der Brust des absolut hässlichsten Wesens unter der Sonne stecken. Entgeistert drehte ich mich wieder um und zeigte anklagend auf ihn. „Du hast Hugo umgebracht! Mit einem Scheißmesser!“ Ich wusste, dass ich ihm eigentlich dankbar hätte sein sollen, dass er mir das Leben gerettet hatte, trotzdem lag da ein totes Irgendwas. Nicht dessen Tod schockierte mich, sondern dass der Tod unmittelbar in meiner Gegenwart eingetreten war.

„Das ist kein Messer, das ist ein Dolch. Und es tut mir leid, wenn ich eurer kleines Versteckspiel unterbrochen habe; vielleicht wollte Hugo ja einfach nur Hallo sagen!“ Mir reichte es, und zwar gründlich! „Ich geh jetzt! Und wehe, du folgst mir!“ Wütend wollte ich mit dem letzten bisschen Würde, das mir geblieben war, an ihm vorbeistolzieren, als er schon wieder vor mir stand. „Oh, ich werde dir nicht folgen, denn du bleibst schön hier!“ Mein Versuch, in die andere Richtung davonzumarschieren, scheiterte kläglich, und so fand ich mich ihm gegenüber auf meinen vier Buchstaben sitzend wieder. Oh, wie ich es hasste, wenn man mich bevormundete! Anscheinend sah man mir mein Missfallen deutlich an, denn er hob beschwichtigend die Hände. „Ich will nur reden.“ „Vielleicht will ich aber nicht reden!“ „Wir werden sehen“, meinte er nachdenklich und strich über sein Messer oder seinen Dolch oder was auch immer.

„Ich heiße Espen.“ Er blickte mich hochmütig an, als wäre das etwas ganz Besonderes, und ich entschloss mich, mal wieder den Kulturtrampel zu spielen und prustete los. „Also wie das Espenlaub?“ Ich ahmte ein übertriebenes Zittern nach. Er schien das allerdings nicht so lustig zu finden und sagte mit geschwellter Brust: „Eher wie Herrscher, aber das kann eine zu groß geratene Lichtalbi wie du ja nicht wissen!“ Ich schaute ihn an. „Kumpel, wenn deine Beleidigung sitzen soll, dann musst du mir erst mal erklären, was eine Lichtalbi ist …“ Moment mal, hatte mein Vater nicht so was erwähnt? Auch egal, wie es aussah, überraschte ich diesen Typen immer wieder aufs Neue. „Du hast keine Ahnung, was ein Lichtalb ist?“ „Nein, und ich kann dir auch versichern, dass ich keiner bin! Ich bin einfach nur ich, mit komischen Eltern.“ Als ich auf meine Hände schaute, kickste ich erschrocken auf; jetzt wusste ich, woher das Licht kam. Ich leuchtete, und zwar heller und strahlender als jede Christbaumbeleuchtung. Entgeistert nahm ich eine Haarsträhne zwischen meine Finger und krempelte meine Hose hoch. Ich war eine lebendige Glühbirne und hatte es in meiner Panik die ganze Zeit nicht bemerkt.

„Ich unterbreche deinen Selbstfindungskurs ja nur ungern, aber wer, sagtest du, waren deine Eltern?“ Mir war sein lauernder Blick nicht entgangen, doch ich tat ihm den Gefallen und antwortete wahrheitsgemäß: „Mein Vater ist der festen Meinung, Odin zu sein, dieser Rabengott halt, und meine Mutter hat beschlossen, eine Lichtelfe, oder wie auch immer du sie nennen willst, zu sein.“ Als ich mein Hosenbein wieder in Ordnung gebracht hatte und aufblickte, schaute ich in sein verblüfftes Gesicht „Du bist Odins Tochter?“ „Ähm, ja, ist das etwa so schwer vorstellbar?“ Er stand auf und bot mir seine Hand an, die ich erneut ignorierte. Umständlich rappelte ich mich hoch. Er verdrehte die Augen. „Komm, wir bringen dich zu deinen Eltern.“

Der Ton, in dem er das sagte, duldete keinen Widerspruch, und da ich schon einige Male die Erfahrung hatte machen müssen, dass ich sowieso nicht abhauen konnte, fügte ich mich widerwillig und brummend. Während er nun so vor mir lief, hatte ich genug Zeit, ihn ausgiebig zu betrachten. Anscheinend war da, wo er herkam, der Wikingerlook angesagt, und ich musste zähneknirschend zugeben, dass diese Kriegermode echt verdammt gut aussah. Espen trug Oberkörper-, Arm- und Beinschützer, und zu meiner großen Verwunderung Jeans und Sneakers. Als hätte er meine Blicke gespürt, wandte er sich zu mir um. „Ach übrigens, das ist kein Pickel, das ist ein Muttermal.“ Sagte es, drehte sich um und ging ohne ein weiteres Wort.

Rabengelächter

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