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Kapitel 2

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Der schrille Ton des Weckers riss mich schließlich aus meinem Dämmerzustand. Und wie jeden Morgen verfluchte ich den Erfinder dieser Höllenmaschine, die beschlossen hatte, mich in den Wahnsinn zu treiben. Wüst fluchend, die Augen immer noch geschlossen, befreite ich meine Hand aus dem Deckengewühl und leerte mit einem Wisch mein Nachtkästchen. Zufrieden grummelte ich, als das Piepsen mit einem Mal erstarb. Das war dann wohl Wecker Nummer sieben gewesen. Aber es half alles nichts, na ja, außer ein überzeugendes Schauspieltalent, mit dem ich mich hätte krank stellen können, und wenn ich was nicht hatte, dann das.

Ich strampelte mich von der Bettdecke frei, setzte mich auf, pustete mir ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht und wankte, wie ein Betrunkener nahe dem Tod, ins Bad. Der Blick in den Spiegel stellte sich wie jeden Morgen als eine Mutprobe heraus. Auf alles gefasst, hob ich den Kopf, als ich mir die Hände wusch, und schaute in den kleinen angelaufenen Spiegel. Ich hätte mir vielleicht davor doch die Haare kämmen sollen, aber was soll’s, es war zu spät. Ich quiekte entsetzt auf. Herrgott! Das würde meine Haarbürste unter die Erde, oder besser gesagt, in den Müll bringen. Meine Haare hingen wie ein bronzefarbener Vorhang bis zu meinen Hüften. Wie ein lockiger Vorhang mit einer Reihe von Knoten. Vielleicht sollte ich doch auf meine Mutter hören und mir über Nacht Zöpfe flechten, wie sie es mir jeden Morgen von Neuem predigte.

Die Badezimmertür flog auf und meine Mutter stob hinein, wie ein kleiner Wirbelwind. Schon am Morgen hatte sie Farbkleckse im Gesicht und strahlte so, als hätte sie eine Packung Sonnen gefrühstückt. Dieser Morgenenthusiasmus musste wohl von den Genen von Mr. Unbekannt überlagert oder aufgefressen worden sein, denn das Einzige, was ich am Morgen ausstrahlte, war miese Laune, die man tonnenweise hätte verpacken können. „Guten Morgen!“

„Moin“, murmelte ich zurück. Ekelhaft, diese Morgenmenschen, ganz widerlich.

„Ach Ano! Deine Haare, ich hab dir doch schon tausend-, nein, zweitausendmal gesagt …“

Und so ging das jeden Morgen. Ich wandte mich von meinem finster dreinschauenden Spiegelbild ab und schlurfte zusammen mit Mum aus dem Bad, die kleine pastellgelb angestrichene Wendeltreppe hinunter in die Küche, machte hin und wieder zustimmende Laute und schüttete mir eine Ladung Schokolade, Hafer, Bananenchips und Honig in eine Schüssel und stellte alle Gläser wieder zurück in die Regale. Selbst die Schokolade war in Gläsern, ich meine, hallo?! Das war ja wohl gegen die Naturgesetze! Alles stand voller Einmachgläser mit Schnappverschlüssen. Auf den Schränken, in den Schränken. Ich hatte schon oft mit meiner Mutter darüber diskutiert, warum wir nicht einfach alles so, wie es war, in die Schränke packen konnten, aber nein! Dann könnte ja nicht vorhandenes Ungeziefer rankommen. Na schön, wenn es ihr Spaß machte … Sie war so fanatisch, dass sie sogar die Metallverschlüsse in ihrem Atelier zu filigranen, kleinen Schnörkeln umschmiedete. Die überall aufgehängten Kräuter brachten die kleine hellblaue Küche fast zum Platzen.

Ich griff, ohne hinzuschauen, in den Kühlschrank, der durch die ganzen Gläser zum Bersten voll war, holte die Milch heraus, ließ den Verschluss des Milchglases aufschnappen und goss die Milch langsam über das bis jetzt ganz gesund aussehende Frühstück. Und ich habe nicht umsonst bis jetzt gesagt.

Wie von selbst fielen mir die Augen wieder zu. Blind holte ich ein Glas Mini-Marshmallows und ein Glas Kakao aus dem Apothekerschrank und kippte beides bis zum Rand der Schüssel hinein. Mums schrilles „Ano, musst du denn immer so viel ungesundes Zeug in der Früh essen!“ unterbrach mein Frühstücksritual schließlich. Ich schlurfte zu dem bunt gefliesten Esstisch, hockte mich auf einen der zusammengewürfelten Stühle und schaufelte mir meinen, heute wahrscheinlich einzigen, Lichtblick rein. Zwischen einer Löffelladung mampfte ich mit vollem Mund, die Milch noch schnell runterschlürfend. (Hinreißend, nicht wahr?)

„Das ist kein …“, ich ahmte ihren Tonfall nach, was jedoch in einem unverständlichen Gekrächze endete, als ich mich hoffnungslos an einem Marshmallow verschluckte und zwischen zwei Atemzügen „… ungesundes Zeug“ hervorstieß. Besorgt stellte meine Mutter ein neues Glas (keine Ahnung, wo sie das noch hinstellen wollte) auf den kleinen Tresen, um mir auf den Rücken zu klopfen.

„Geht’s?“, fragte sie, als sie mir zweimal so heftig auf den Rücken geschlagen hatte, dass ich jetzt wirklich keine Luft mehr bekam. „Jaja“, würgte ich unter tränenden Augen hervor, um einer weiteren gut gemeinten Schlägerattacke zu entgehen. Ja, auf den ersten Blick würde man meiner Mutter so eine Kraft wohl gar nicht zutrauen, so klein und elfenhaft wirkte sie. Und wieder einmal fragte ich mich, warum ich nicht auch so aussehen konnte wie sie: klein, zierlich, große, kornblumenblaue Augen. Wären die Haare nicht gleich, wäre ich ganz ehrlich nicht sehr überrascht gewesen, wenn mir jemand gesagt hätte, ich sei adoptiert.

Im Gegensatz zu ihr war ich mit meinen eins sechsundsiebzig geradezu ein Riese. Meine Haare waren noch unbändiger als ihre.

„Da siehst du mal, dass das Zeug nicht nur ungesund, sondern auch noch gefährlich ist. Probiere doch mal dieses neue Obstmüsli, das ich gekauft habe!“ Missmutig starrte ich sie an; musste ich ihr jetzt ernsthaft erklären, dass ich selbst an Obstmüsli ersticken könnte? Ungehalten erwiderte sie meinen Blick, und das mag bei meinen Augen was heißen! Die meisten wandten sich immer unangenehm berührt unter meinem Blick ab.

„Solange Kakaobohnen auf Bäumen wachsen, ist Schokolade für mich Obst!“ Während meine Mutter im Stillen Argumente suchte, die meine gar nicht so unlogische These entkräften könnten, wandte ich mich wieder meinem Musil zu.

Genervt blickte ich mich in dem kleinen lindgrünen Badezimmer um; alles bei uns war irgendwie klein und bunt. Wo war denn nur dieser lästige Concealer? Mit diesen Augenringen konnte ich mich auf gar keinen Fall unter Menschen wagen. Also, wo verflixt noch mal war denn … Ah, da war er ja, bedeckt von schwarz verschmierten Wattepads, die von meinem letzten missglückten Schminkversuch zeugten. Mit spitzen Fingern klaubte ich ihn unter diesen hervor. Ich wandte mich wieder dem Spiegel zu, aus dem mich jetzt ein blasses Mädchen mit dunklen Augenringen anstarrte. Umso mehr stachen seine eisblauen Augen aus seinem feinen Gesicht hervor. Wie ich verzog es seinen vollen Mund zu einer genervten Grimasse. Diese Augen. Das war eigentlich immer das Erste, worauf ich angesprochen wurde, und es störte mich. Es störte mich, wenn man mich auf sie ansprach, sie faszinierend nannte.

Meine Augen waren groß und in ihrer Mitte war ein weißer Ring, in dem ein kräftiges Hellblau zu Eis erstarrt schien. Weiße Linien zogen sich wie Lichtstrahlen zu der Pupille hin. Ich fand sie … gruselig. Abnormal, ja, das ist wohl der richtige Begriff für so was. Nachdem ich meine Augenringe bis ins Unkenntliche übermalt hatte, schaute ich noch einmal prüfend in den Spiegel. Erfreut erkannte ich, dass die Rötung auf der Spitze meiner geraden Nase verschwunden war, die ich immer bekam, wenn es kalt war. Wenigstens musste ich nicht auch noch meine Geheimidentität als Rudolph das Rentier verschleiern.

Ich streckte mich und zog eine Grimasse, als es an meiner Hüfte unangenehm knackte. Nein, ich war nicht neunzig und auf Pflegestufe fünf, sondern sechzehn mit massivem Bewegungsmangel (nicht dass ich vorgehabt hätte, etwas dagegen zu unternehmen …). Das große Handtuch um meinen Körper gewickelt, ging ich in mein Zimmer und suchte meine Unterwäsche zusammen. Ich wühlte in meinem kleinen gelben (ja, meine Mutter hatte auch hier gewütet) Bauernschrank, bis ich eine schwarze Hose und einen schwarzen Pullover mit silbernen Stickereien gefunden hatte. Im Gegensatz zu meiner Mutter war mein Motto, was Farben betraf: Je neutraler, desto besser! Denn schwarz, schwarz, schwarz sind alle meine Farben …

Rabengelächter

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